El Mar - Das Meer

- | Spanien 1999 | 112 Minuten

Regie: Augustin Villaronga

In einem Sanatorium für Lungenkranke auf Mallorca kreuzen sich in den 40er-Jahren die Lebenswege dreier junger Menschen, die in ihrer Kindheit die "Säuberungsaktionen" der Faschisten auf ihrer Heimatinsel erleben mussten und selbst schuldig am Tod eines Jungen wurden. Eine ebenso blutig wie dick aufgetragene Geschichte, präsentiert als Mischung aus Tod, Erotik und Mystik. Die bekannten Neurosen des franquistischen Spaniens werden lediglich in erstarrten Klischees aneinander gereiht. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
EL MAR
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Massar d'Or Prod. Cinematogràfiques i Audiovisuals
Regie
Augustin Villaronga
Buch
Toni Aloy · Biel Mesquida · Augustin Villaronga
Kamera
Jaime Peracaula
Musik
Javier Navarrete
Schnitt
Raúl Román
Darsteller
Roger Casamajor (Andreu Ramallo) · Bruno Bergonzini (Manuel Tur) · Angela Molina (Carmen Onaindìa) · Simón Andreu (Akántara) · Antonia Torrens (Schwester Francisca)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (1.85:1, DD2.0 span.), CMV-Laservision (16:9, 1.85:1, DD2.0 span.)
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Diskussion
In Spanien tobt der Bürgerkrieg. Wie auf dem Festland beginnen auch auf Mallorca die spanischen Faschisten mit der Vernichtung ihrer Gegner. Liberale, Kommunisten und Anarchisten werden auf Lastwagen gekarrt, an verborgenen Plätzen erschossen und verscharrt. Im Hintergrund verborgen, beobachtet eine Gruppe von Kindern, wie Verwandte und Nachbarn von den Erschießungskommandos liquidiert werden. Es ist dies ein bekanntes Motiv im spanischen Kino psychologischer Metaphern der 60er-Jahre: das Kind, das als Augenzeuge seine Unschuld verliert. In „El Mar“ werden die Kinder zu Tätern, als sie Tage später in einer großen Grotte einen Schulkamaraden töten, dessen Vater zu den führenden Repräsentanten des neuen Regimes zählt. In diesem kollektiven Mord werden die Kinder schuldig. Diese Vorgeschichte steht fast wie ein Kurzfilm der eigentlichen Handlung voran, und sicherlich wäre es dem Film besser bekommen, wäre diese Stringenz der ersten Minuten weitergeführt worden. Regisseur Augustín Villaronga ist kein Unbekannter, aber doch ein Außenseiter der spanischen Filmproduktion. Mit seinem Erstlingswerk „Tras el Cristal“ („Hinter dem Glas“), einem dunklen Film um morbide Gewalt und sentimentale Abhängigkeit, wurde er auch in Deutschland bekannt (der Film lief 1985 im „Panorama“ der „Berlinale“); 1988 präsentierte er seinen zweiten Film „El Niño de la Luna“ („Das Kind des Mondes“), und danach wurde es still um ihn. „El Mar“ nun beruht auf dem gleichnamigen Roman des mallorquinischen Schriftstellers Blai Bonet und paraphrasiert eine Melange aus Tod, Erotik und Mystik. Die eigentliche Hauptgeschichte spielt Jahre nach der Einleitung in der finstersten Phase der spanischen Nachkriegszeit: in den 40er-Jahren auf Mallorca, in einer Zeit der umfassenden politischen Repression, als die Tuberkolose noch zu den gefürchtetsten und todbringendsten Krankheiten zählte. In einem Sanatorium für Lungenkranke warten junge Männer auf den Tod, und hier treffen drei der kindlichen Protagonisten aus dem einleitendem Teil erneut aufeinander. Der introvertierte, sanftmütige Mystiker Tur hat sich längst mit dem Sterben abgefunden und sublimiert seine Homosexualität durch exzessive Religionsausübung. Ramallo dagegen verdrängt die Angst vor dem Tod ebenso wie seine homoerotischen Neigungen durch die Gier nach sexuellen Abenteuern. Die junge Nonne Francisca arbeitet als Krankenschwester für die Sterbenden. Der morbide „Zauberberg“ unter mallorquinischemn Himmel wird zum Treibhaus schwülstiger, sadomasochistischer Gewaltfantasien von Trieben und Triebverzicht, wobei der Film zum Bilderbuch der Archetypen des spanischen „machismo“ konvertiert: Heilige und Hure – die junge Nonne und die sexuell erfahrene Gärtnersfrau Carmen, die die todgeweihten jungen Männer in die Geheimnisse der fleischlichen Liebe einweist – , gleichzeitig Mutter und Geliebte. Eine inzestuöser Nebel durchwabert den Film. Ramallo, ein junger Don Juan, bewältigt die eigene Homosexualität nur durch blutige Exzesse, und Blut wird überhaupt zum Kleister der ganzen Geschichte – gehustetes Blut, das im weißen Waschbecken in roten Schlieren langsam den Ausguss hinunter rinnt, Blut aus gewalttätigen sexuellen Exzessen. Alles ist schwülstig übersteigert und von pathethischer Ernsthaftigkeit, gleichsam ein pubertäre Poesie – die Protagonisten bleiben dabei so fremd wie flüchtige Gespenster. Hilflos beobachtet die junge Nonne Francisca, wie die erotische Beziehung zwischen dem religiös-mystischen Einzelgänger und dem exaltierten Aufschneider in der Katastrophe endet, und ebenso fassungslos beobachtet der Zuschauer, wie der Film angesichts der zunehmend dicker aufgetragenen Klischees der „España Negra“ immer schneller entgleist – Mystik zwischen Blut und Sperma. Was eine dicht gesponnene Parabel um die Repression in einem versteinerten Nachkriegsspanien hätte werden können, wird hier – trotz der beeindruckenden Kamera – zu einem Provinz-„Zauberberg“ aneinander gereihter Morde und Selbstmorde, bei deren letztem Blutschwall fast schon unfreiwillige Komik aufkommt. Villaronga zeigt die Archetypen, die kollektiven Neurosen des franquistischen Spanien, Religionsbesessenheit, Todesverehrung und Männlichkeitswahn mit der ungebrochenen Direktheit eines Bilderbogens. Bereits 1970 hatte sich Fernando Arrabal in „Viva la muerte – Es lebe der Tod“ (fd 17 537) mit wilder Fantasie und wagemutiger Traumakrobatik an das kollektive Unterbewusste des „ewigen Spaniens“ gewagt – verglichen mit Arrabals brillanter Aufarbeitung, wirkt Villarongas postmoderne Morbidität hausbacken: eine Phantasmagorie des neokonservativen Spaniens.
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