Die Farben des Paradieses

Drama | Iran 1999 | 88 Minuten

Regie: Majid Majidi

In den Sommerferien kehrt ein blinder Junge aus der Schule in Teheran in sein abgelegenes Heimatdorf zurück, wo er mit seinen reduzierten Sinnen die ganze Schönheit des Lebens aufsaugt, schließlich aber das tragische Opfer im verzweifelten Lebenskampf seines Vaters wird, der sich für den blinden Sohn schämt und ihn als Strafe Gottes empfindet. Eine märchenhafte Fabel, die einfühlsam und in Bildern von zunehmend archaischer Wucht und Symbolkraft für die Sinne und die Sinneswahrnehmungen der Menschen sensibilisiert und dies mit elementaren Grundfragen der menschlichen Existenz verbindet. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RANG-E KHODA | THE COLOUR OF PARADISE
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Varahonar Company
Regie
Majid Majidi
Buch
Majid Majidi
Kamera
Hashem Attar · Mohammad Davudi
Musik
Alireza Kohandairy
Schnitt
Hassan Hassandust
Darsteller
Hossein Mahjoub (Vater) · Mohsen Sarab (Mohammad) · Salemeh Feizi (Großmutter) · Farahnaz Safari (Mohammads große Schwester) · Elham Sharifi (Mohammads kleine Schwester)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Attraction Movies/Al!ve (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Bereits die ersten Minuten sensibilisieren für ein Thema, das für ein visuelles Medium wie das Kino denkbar ungeeignet zu sein scheint: Ohne bereits zu wissen, dass man sich in einer Blindenschule für Kinder in Teheran befindet, wird die Aufmerksamkeit während des Vorspanns ganz auf die akustische Sinneswahrnehmung gelenkt, als ein Lehrer seinen blinden Schülern dabei hilft, ihre Musik- und Hörspielkassetten zu ordnen, indem er sie kurz anspielt und die Kinder sie identifizieren lässt. So wird man behutsam in die Alltagswelt der Schule eingeführt, folgt den schmucklos-sachlichen, dokumentarisch anmutenden Bildern, bevor sich allmählich die Spielhandlung herauskristallisiert. Dass diese sich zu einer erschütternden Tragödie von unausweichlicher Konsequenz entwickeln wird, kann man noch nicht annähernd erahnen, und man gut tut daran, sich immer an diesen Anfang zu erinnern, um sich die ganze Tiefe des Dramas zu vergegenwärtigen. Denn die an sich schlichte Geschichte des blinden Jungen Mohammad und seines am Leben (ver-)zweifelnden Vaters ist zugleich die Folie für einen wahrlich epischen Schicksalsstoff, der über die Hinwendung zu den Sinnen und Sinneswahrnehmungen der Personen auf elementare Grundfragen der menschlichen Existenz zu sprechen kommt, existenzielle wie religiöse Fragen stellt und durchaus an einigen Grundfesten der islamischen Kultur und ihrer Bilderfeindlichkeit rüttelt. Der etwa zehnjährige Mohammad wartet am Ende des Schuljahres fast umsonst auf seinen verwitweten Vater, der sich für die Sehbehinderung seines Kindes schämt und sie als eine Strafe Gottes betrachtet. Es wäre ihm durchaus recht, wenn der Junge die drei Monate Ferien in der Schule bleiben könnte, doch dann muss er sich doch mit ihm auf die lange Reise in die abgelegene Region seines Heimatdorfs machen. Während Mohammad noch auf ihn wartete, hatte er einem aus dem Nest gefallenen Vogelbaby das Leben gerettet und dabei erstaunliche Geschicklichkeit und Sicherheit im Umgang mit seinen reduzierten sinnlichen Wahrnehmungen gezeigt. Jetzt reagiert er nicht minder aufmerksam, ja enthusiastisch auf die Geräusche und Gerüche, den Wind, die Pflanzen und das Klima in der idyllische Natur, die sein Heimatdorf umgibt – ganz im Gegensatz zum Vater, der schweigsam und abwesend ist, dessen Sinne unter der vermeintlichen Last seines Schicksals abgestumpft sind. Neben Mohammad muss der Vater noch für zwei kleine Töchter sowie seine alte Mutter sorgen, zugleich will er sich neu verheiraten und wirbt um die Gunst der streng islamischen Familie der Zukünftigen, vor der er Mohammad am liebsten verstecken möchte. Nichts lässt er von Mohammads Glücksgefühlen im Umgang mit seinen Schwestern und der geliebten Großmutter an sich heran, nichts geht von der Schönheit der Natur und vom Leben im Einklang mit ihr auf ihn über. Als er, gewiss nicht ohne Fürsorgepflicht, Mohammad bei einem ebenfalls blinden Zimmermann in die Lehre gibt, ist dies der erste Schritt in die Katastrophe. Erst am Ende einer langen Kette von Schicksalsschlägen besinnt sich der Vater auf seine lange verschüttete Liebe zu Mohammad, ohne den Lauf der Tragödie noch aufhalten zu können. Am Ende ist Mohammad tot, der Vater kniet am Meeresufer, hält ihn weinend in den Armen. So sieht er nicht das seltsame Licht, das auf die Hand des toten Kindes fällt und es zu neuem Leben zu erwecken scheint. Erst jetzt, in der bittersten Stunde, scheinen der bislang an Gott zweifelnde Vater und der Gott so dringlich suchende Junge zusammenzufinden und sich die Worte des blinden Zimmermanns zu bewahrheiten: Gott sei unsichtbar, aber überall, Mohammad könne ihn mit seinen Fingern fühlen, wenn er nach im greift. Als wahren Mahlstrom hatte Regisseur Majid Majidi unmittelbar zuvor die Suche des Vaters nach seinem ertrinkenden Sohn in den Fluten eines reißenden Flusses illustriert: die Wildheit und die tosenden Geräusche kontrastierten „erbarmungslos“ mit der absoluten Stille unter Wasser. Nichts erinnerte da mehr an die schlichte teilnehmende Beobachtung des Anfangs, jetzt befand sich die Welt in einem virtuos inszenierten Aufruhr. Majidis märchenhafte Fabel steht in der Tradition vieler iranischer Filme, die über die Beschreibung der kindlichen Sicht auf Natur und Mensch zu ihrer Aussage finden. „In der Welt der Kinder“, so Majidi, „kommt die Wahrheit sehr viel klarer zum Ausdruck.“ Die archaischen Bilder speisen sich deutlich auch aus der islamischen Religion der Furcht und Belohnung und der daraus resultierenden Vorstellung von Himmel und Hölle, wobei die Vermischung mit weltlichem Schmerz sowie die im guten Sinne „naive“ Bebilderung göttlicher Anwesenheit in manchem auch ans Christentum erinnert. Gerade in der behutsam eingeflochtenen symbolischen Ebene des Films – die Großmutter, die einen Fisch rettet, während sie das Geschenk des Enkels verliert, der Vater, der das Leben um ihn herum mehrfach missachtet – vertieft sich der Reiz des betörend schönen Films, der in seiner Fremdheit letztlich nie so ganz fassbar ist und zu dem man dennoch eine tiefe emotionale Nähe entwickelt.
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