- | Frankreich 2000 | 98 Minuten

Regie: Benoît Jacquot

Marquis de Sade, Autor ausschweifend freizügiger Romane, sitzt 1794 als Adeliger und quasi natürlicher Feind der Französischen Revolution in einem Pariser Luxusgefängnis ein. Dort führt er seinen Mitgefangenen die Gräueltaten der Revolution vor Augen und schafft es, ein neugieriges unschuldiges Mädchen dazu zu bringen, dass es sich nach Lektüre seiner sexuellen Vorlieben freiwillig hingibt. Ein in der Hauptrolle bestechend interpretierter, nachdenklich stimmender politisch-philosophischer Film über Außenseiter, Macht, Normen und die Würde des Menschen.
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Filmdaten

Originaltitel
SADE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Aliceleo/TF 1/Cofimage 11
Regie
Benoît Jacquot
Buch
Jacques Fieschi
Kamera
Benoît Delhomme
Musik
Francis Poulenc · Nicolas Fiorenza
Schnitt
Luc Barnier
Darsteller
Daniel Auteuil (Sade) · Isild Le Besco (Emilie de Lancris) · Marianne Denicourt (Marie-Constance Quesnet "Sensible") · Grégoire Colin (Fournier) · Jeanne Balibar (Madame Santero)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 2.35:1, DS frz./dt.)
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„Sind Sie bereit?“, fragt der ältere Mann und funkelt das blutjunge Mädchen mit geheimnisvollem Blick an. Das Mädchen schaut erwartungsvoll zurück und schweigt. In den französischen Kinos wurde dieser Trailer jeweils dreimal hintereinander gespielt. So erzeugt man eine voyeuristische Spannung, denn ist dieser Marquis de Sade nicht der Mann fürs schmerzhafte Lustempfinden aller Art? Aber das Sadistischste an dem Film, den Benoît Jacquot über de Sade (1740-1814) drehte, hat nichts mit der Person des Schriftstellers zu tun; dies sind vielmehr die Körper der Guillotinierten der Französischen Revolution, die im Massengrab landen. „Sade“ ist keine richtige Biografie, der Film beschränkt sich auf die wenigen Wochen des Jahres 1794, in denen Sade in einer Art Luxusgefängnis lebt – und er zeigt den Marquis eher als müden, abgekämpften, freiheitsliebenden Philosophen und sensiblen Verführer denn als lustvollen Perversen. Das unterscheidet Jacquots Film von den bisherigen Filmdarstellungen, die Sade als knallharten Egoisten präsentierten oder ihn lächerlich machten. Daniel Auteuil gibt dem inhaftierten Sade etwas Weiches und Geheimnisvolles zugleich. Jede Geste, jeder Blick, jeder pointiert gesprochene Satz sitzt und trifft den Zuschauer direkt. Vor allem Auteuils ambivalente Darstellung zwischen Genius und Dämon, die so natürlich wirkt, als wäre er mit der Rolle eins, macht den Film glaubwürdig und spannend.

Wenn der Film beginnt, ist Sade schon 50. Wegen seines freizügigen skandalösen Romans „Justine“ saß er schon unter den Monarchisten im Gefängnis. Jetzt ist er für die neue Republik, trotzdem sperrt man ihn im Pariser Gefängnis Saint-Lazare ein, gilt doch ein Adeliger automatisch als Gegner der Revolution. Sade ist niedergeschlagen, pleite und am Ende seiner Kräfte. Da schafft es seine langjährige Geliebte Marie-Constance, die inzwischen mit einem Jakobiner zusammen lebt, der mit Robespierre befreundet ist, dank dieser Beziehungen, dass Sade in das ehemalige Kloster und Sanatorium Picpus verlegt wird. Picpus ist eine Art Luxusgefängnis, in das sonst nur Gefangene kommen, wenn sie genügend zahlen. In diesem Gebäude können sie sich frei bewegen und vergessen, dass auch auf sie die Guillotine wartet. Die Inhaftierten von Picpus essen gut, sprechen über die schrecklichen Zustände draußen im Land und leben zusammen wie entfernte Verwandte. Sade inszeniert mit ihren sogar ein kleines Theaterstück, um sie von ihrem Schicksal abzulenken. So kann er sich auch problemlos der etwa 16-jährigen Emilie nähern. Bei ihren Eltern, einem Freidenker als Vater und einer depressiven Mutter, ist es ihr langweilig. Neugierig und jung, fühlt sie sich von Sade angezogen, weil ihn der Ruf des Verrufenen und Verbotenen umgibt. Sade nähert sich ihr langsam und behutsam, gibt ihr erst spät einen Aufsatz zu lesen, in dem er seine sexuell ausschweifenden Wünsche beschreibt, womit er Emilie unfreiwillig schockiert, denn eigentlich will er sie umwerben. Aber als er endlich die Frage „Sind Sie bereit?“ stellt, hat Emilie doch genug Vertrauen, sich auf sein Spiel einzulassen und sich entjungfern zu lassen, nicht vom Marquis selbst: Er beauftragt damit einen Knecht – was relativ scheu und ästhetisch abgefilmt ist. So lebt auch Sade noch einmal auf. Als Marie-Constance den inzwischen zum Tode Verurteilten, den sie immer noch liebt, inständig bittet, zu fliehen, lehnt Sade ab. Er werde wohl immer verfolgt werden, und vor dem Tod habe er keine Angst.

Die konzentrierte Geschichte und das abrupte Ende machen aus „Sade“ (der noch weitere Gefängnisse überlebte und erst 1814 in der Anstalt von Charenton starb, in der man ihn wegen seiner „wahnhaften Vorstellungen“ zuletzt einsperrte) fast einen guten Menschen, was natürlich eine fragwürdige Sache ist. Benoît Jacquot hat Wahrheit und Fantasie verknüpft, über das Leben Sades in Picpus ist nur wenig bekannt. Marie-Constance Quesnet hat wirklich gelebt, auch ihre Liebe und ihr Bestreben, Sade zu helfen, sind authentisch. Aber die Figur der Emilie (gespielt mit derselben Haltung zwischen Naivität und Entschlossenheit, mit der die 17-jährige Isild Le Besco schon eine Das-erste-Mal-Rolle in „La Puce“ von Emmanuelle Bercot ausgestaltete) ist fiktiv. Sie dient dazu, Sades Verhalten und seine Wirkung auf andere Menschen zu illustrieren. Da wirkt er als Verführer im positiven (bei der Regie des Theaterstücks) wie im negativen Sinn, aber immer auch ein bisschen wie ein Lehrer, der andere von seinen radikalen Werten überzeugen will. Dass seine Ideen nicht jedem gefallen, akzeptiert er, er bedrängt auch keinen seiner Mitbewohner in Picpus, ihm hörig zu sein. Wenn er manchmal gegenüber dem Knecht brutal wird, dann geschieht das mit dessen Einverständnis. „Ich bin kein Krimineller und kein Mörder“, sagt Sade einmal mit Blick auf die Verfechter der Revolution, die gleich reihenweise töten und für deren Opfer rund um Picpus Gräben angelegt werden. Jacquot bettet eine wenig bekannte Episode aus Sades Leben in ein Sittengemälde der Zeit ein. Das kunstvolle Licht, das die Szenen oft wie Gemälde wirken lässt, die nicht zu langen Monologe Sades und der Kontrast zwischen intimen wortkargen Szenen, in denen Blicke und Gesten alles sagen, und der Geschwätzigkeit und Geschäftigkeit des Lebens außerhalb der Gefängnismauer, machen aus „Sade“ in seinen besten Momenten einen politisch-philosophischen Diskurs über die Würde des Menschen, der geschickt zum Nachdenken über Außenseiter, Gesetze und Freiheit verleitet.
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