Liberty Heights

- | USA 1999 | 127 Minuten

Regie: Barry Levinson

Autobiografisch gefärbte, hervorragend gespielte Hommage Barry Levinsons an seine Heimatstadt Baltimore, angesiedelt im jüdischen Wohnviertel "Liberty Heights" während der 50er-Jahre. Geschildert werden der Alltag einer jüdischen Familie sowie der Umbruch einer Gesellschaft, deren Rassenschranken zwar langsam fallen, deren Wohnviertel aber immer noch von unsichtbaren Grenzen durchtrennt werden und deren alltäglicher Rassismus weiter blüht. Mit fast dokumentarischem Blick und ohne jede Effekthascherei inszeniert, wird der von tiefem Verständnis für die Figuren getragene Blick in die Vergangenheit auch zur kritischen Reflexion der Gegenwart. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LIBERTY HEIGHTS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Baltimore/Spring Creek Pictures
Regie
Barry Levinson
Buch
Barry Levinson
Kamera
Chris Doyle
Musik
Andrea Morricone
Schnitt
Stu Linder
Darsteller
Ben Foster (Ben Kurtzman) · Rebekah Johnson (Sylvia) · Adrien Brody (Van Kurtzman) · Joe Mantegna (Nate Kurtzman) · Bebe Neuwirth (Ada Kurtzman)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. eine separate Soundtrackspur sowie ein Feature mit nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Nach „American Diner“ (fd 28 509), „Tin Men“ (fd 26 239) und „Avalon“ (fd 28 774) ist „Liberty Heights“ die vierte autobiografisch gefärbte Hommage von Barry Levinson an seine Heimatstadt Baltimore. Diesmal erinnert er sich an seine Jugendzeit Mitte der 50er-Jahre, als sich die amerikanische Gesellschaft im Umbruch befand, die Rassen- und Religionsschranken einerseits langsam fielen, andererseits die Wohnviertel in den Städten immer noch voneinander abgegrenzt waren. „Liberty Heights“ ist der jüdische Stadtteil, in dem die Familie Kurtzman wohnt. Vater Nate betreibt mit drei Geschäftspartnern ein schlecht gehendes Varieté mit Stripeinlagen und eine illegale Lotterie, Mutter Ada versorgt Haushalt und Großmutter; der älteste Sohn Van geht aufs College, während Ben noch die High-School-Bank drückt. Dort werden gerade die ersten schwarzen Schüler integriert, und Ben verliebt sich ausgerechnet in eine dieser neuen Mitschülerinnen. Im Gegensatz zu ihm kommt sie aus einer wohlhabenden Familie, die jeglichen Kontakt mit Weißen ablehnt, genauso, wie seine Mutter entsetzt über Bens Zuneigung zu einer Schwarzen ist. Aber auch die weiße christliche Upper-Class hat ihre Vorurteile gegen ihre jüdischen Nachbarn, was Van und seine Freunde schmerzlich erfahren müssen, als er sich auf einer Party in eine blonde „Prinzessin“ verliebt. Während Van alles daran setzt, seine scheinbar vergebene Traumfrau wiederzutreffen, erkennen Ben und Sylvia bei ihren heimlichen Treffen ihre Seelenverwandtschaft. Als sie ihn zu einem James-Brown-Konzert mitnimmt, werden sie von Nates neuem Geschäftspartner, dem windigen Schwarzen Little Melvin, entführt, weil der sich von Bens Vater übers Ohr gehauen fühlt. Als Lösegeld muss Nate ihm das ganze Lotteriegeschäft übergeben. Little Melvin übernimmt sich zwar und kehrt reumütig zurück, nun aber muss sich Nate des Vorwurfs des Mädchenhandels erwehren; seine Geschäfte mit dem wegen Drogenhandel ins Visier der Polizei geratenen Melvin bringen ihn vor den Kadi. Während sich Bens und Sylvias Wege nach dem High-School-Abschluss trennen, wird Nate dieses Jahr nach dem jüdischen Neujahrsfest die Synagoge nicht vorzeitig verlassen, um beim Autohändler seinen neuen Cadillac abzuholen, sondern um für einige Zeit hinter Gitter zu wandern.

Als Sylvias Vater Ben im Wandschrank entdeckt und notgedrungen nach Hause fahren muss, tönt bei ihrer Ankunft in Liberty Heights gerade Frank Sinatras Song „Young at Heart“ aus dem Autoradio. Mit seiner Weigerung auszusteigen, bevor das Lied zu Ende ist, zollt Ben seinem Idol jenen Respekt, den er gerne von Sylvias Vater erfahren hätte. In dieser wunderbar auf den Punkt gebrachten Szene offenbart sich auch der Respekt, mit dem Levinson seine Figuren behandelt. Keine von ihnen gibt er der Denunziation frei, und seien ihre Verhaltensweisen noch so unverständlich. Sein Blick auf jene Jahre bleibt der eines liebevoll-kritischen und zugleich nostalgischen Beobachters, der manchmal selbst zu staunen scheint, das zu jener Zeit noch Schilder mit der Aufschrift „Für Juden, Hunde und Farbige verboten“ vor den Schwimmbädern der weißen Christen Gang und Gäbe waren. Wohl deshalb fallen die Proteste seiner Protagonisten auch so beiläufig und ohne erkennbare Folgen aus: Ben küsst zum Abschied vor versammelter Elternschaft Sylvia, und er und seine beiden Freunde malen sich je einen Buchstaben des Wortes „Jew“ auf die Brust, montieren das Verbotsschild vom Zaun und setzen sich als „lebendes Transparent“ mitten unter die Rassisten. Während selbst die Stripperin auf ihre Art gegen die verklemmte (Gesetzes-)Moral protestiert, fällt einem Freund von Van nichts Demütigenderes ein, als sich die Haare blond zu färben und seinen Glauben zu verleugnen, um an die begehrten „Christen-Blondies“ heranzukommen. Auch diese Figur hat in Levinsons Erinnerungen einen mit Humor und Verständnis gezeichneten Platz, ähnlich wie Levinson jene den Atem stocken lassende Szene mit seinem distanzierten Inszenierungsstil entschärft, in der sich Ben zu Hallowen als Hitler verkleidet. Ein Jude in der Uniform seines Henkers: Mutter und Großmutter trifft der Schlag, Nate erteilt ihm Hausarrest, Ben aber weigert sich stur, ein anderes Kostüm anzuziehen, weil er sich der Tragweite seiner Handlung gar nicht klar ist. Darin unterscheidet er sich letztlich in Nichts von dem gedankenlosen, alltäglichen Rassismus seiner ihn diskriminierenden Umgebung.

Der Verdienst von Levinsons Inszenierung liegt vor allem in dem fast dokumentarisch wirkenden, nie auf Effekte ausgerichteten Inszenierungsstil, der selbst noch in den Gruppenszenen wie ein intimes Kammerspiel wirkt, das sich ernsthaft, aber auch mit Humor gesellschaftlichen Problemen und den darin gefangenen Menschen nähert. Die Schauspieler scheinen diese Ernsthaftigkeit zu spüren, spielen sich in keiner Szene in den Vordergrund, sodass selbst die kleinste Nebenrolle der ungeteilten Aufmerksamkeit des Zuschauers sicher ist. Obwohl die meisten damals noch gar nicht geboren waren, scheinen alle die Zeit der Mittfünfziger verinnerlicht zu haben. Das gilt auch für die fast statische, oft in halbnahen Einstellungen verweilende Kamera, die Levinsons inneres Auge zu ersetzen scheint. Wie in „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (fd 34 161) entwickelt das amerikanische Kino offensichtlich immer dann seine überzeugendsten gesellschaftskritischen Ambitionen, wenn es mit der Betrachtung der jüngeren Vergangenheit die heutige Generation zum Nachdenken über die Gegenwart anregen will.
Kommentar verfassen

Kommentieren