- | Frankreich/Belgien/Haiti/Deutschland 2000 | 109 Minuten

Regie: Raoul Peck

Ende Juni 1960 wurde Patrice Lumumba zum ersten Premierminister der eben in die Unabhängigkeit entlassenen Republik Kongo gewählt. Trotz seiner charismatischen Persönlichkeit gelang es ihm nicht, die widerstrebenden Gruppen des Landes zu versöhnen. Zwei Monate später wurde er abgesetzt und am 17. Januar 1961 unter Mithilfe belgischer Kolonialtruppen ermordet. Packender, historisch genauer Spielfilm, der Lumumbas Schicksal aus "afrikanischer" Perspektive schildert, in dem er dem Blick der Europäer den Spiegel vorhält. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LUMUMBA
Produktionsland
Frankreich/Belgien/Haiti/Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
JBA/Entre Chien et Loup/Essential/Velvet S.A./Arte
Regie
Raoul Peck
Buch
Raoul Peck · Pascal Bonitzer
Kamera
Bernard Lutic
Musik
Jean-Claude Petit
Schnitt
Jacques Comets
Darsteller
Eriq Ebouaney (Patrice Lumumba) · Alex Descas (Joseph Mobutu) · Théophile Moussa Sowié (Maurice Mpolo) · Maka Kotto (Joseph Kasa Vubu) · Dieudonné Kabongo (Godefroid Munungo)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Die Sahara zerschneidet den afrikanischen Kontinent nicht nur geografisch, sondern vor allem auch medial: Nachrichten aus den Ländern Schwarzafrikas passieren die westliche Aufmerksamkeitsschranke meist nur dann, wenn sie von Gräueln und Massakern handeln. Auf fatale Weise pflanzt sich darin das kolonialistische Erbe fort, das im „schwarzen Mann“ vorzugsweise den gefährlichen „Wilden“ oder gar den Kannibalen sah. Das Wort vom „Anthropophagus“, vom „Menschenfresser“, markiert auch in Raoul Pecks neuerlicher Beschäftigung mit Patrice Emery Lumumba die sarkastische Spitze einer brisanten Rekonstruktion, die das Schicksal des ersten Premierministers der Republik Kongo aus einer „afrikanischen“ Sichtweise schildert. Lumumba (1925-61) war eine charismatische Persönlichkeit, der innerhalb der winzigen Elite europäisierter Kongolesen rasch zum Wortführer aufstieg und 1958 die „Kongolesische Nationalbewegung“ (MNC) gründete. Nach der Entlassung des Landes in die Unabhängigkeit am 30. Juni 1960 blieben ihm allerdings nur zwei Monate, in denen er als Regierungschef vergeblich um einen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Gruppen rang. Vor allem die reiche Bergbauprovinz Katanga unter Moise Tshombé widersetzte sich seiner Vision einer nationalen Union. Angesichts des um sich greifenden Bürgerkrieges suchte er schließlich bei der Sowjetunion Hilfe und rief UN-Truppen ins Land, um die belgischen „Force Publique“ in Schach zu halten. Die Lage spitzte sich auch deshalb zu, weil sowohl die CIA als auch die belgische Kolonialbehörde die Spannungen zusätzlich anheizten. Am 5. September wurde Lumumba seines Amtes enthoben und von General Joseph Mobutu unter Hausarrest gestellt, ehe er am 17. Januar 1961 nach Katanga transportiert und dort unter belgischer Mithilfe ermordet wurde. Seit Raoul Pecks dokumentarischem Filmessay („Lumumba – Der Tod des Propheten“) vor knapp zehn Jahren hat sich die Erkenntnislage über die Hintergründe und Umstände der Ermordung Lumumbas – vor allem nach dem Sturz Mobutus – massiv verändert: Vieles, was zuvor lediglich Vermutung war, ist inzwischen durch Fakten erhärtet, zu denen auch die Beseitigung des Leichnams zählt, der Wochen nach der Hinrichtung exhumiert und in Schwefelsäure aufgelöst wurde. Peck stellt eine entsprechende Szene an den Anfang, die an (sinn-)bildhafter Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lässt. Zusammen mit dem Prolog, historischen Schwarz-Weiß-Fotografien weißer „Herrenmenschen“ in Belgisch-Kongo und einigen anderen dezenten Verdichtungen deutet sie den grundlegenden Perspektivenwechsel an, den der Film vollzieht und in der historischen Gestalt Lumumbas vorgebildet sieht: Nicht die Bantus, sondern die Europäer und ihre Helfershelfer sind die wahren Barbaren, die, blind vor Arroganz und Eigennutz, bestialische Züge tragen. In der historisch überlieferten Antrittsrede als Premiereminister lässt Peck Lumumba als energischen Kämpfer für Würde und Wahrheit auftreten, der in seiner harschen Antwort auf die herablassende Haltung des belgischen Königs Baudoin jede diplomatische Vorsicht fahren lässt; die Unabhängigkeit des Landes sei kein Gnadenakt, der sich der junge Staat nun würdig erweisen müsse, sondern das Ergebnis eines entbehrungsreichen Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Es ist dies einer der wenigen Momente, wo sich die Inszenierung einen Anflug von Überwältigung gestattet, wenn sie die Reaktionen der Zuhörer zu einer wachsenden Stafette der Euphorie montiert. Ansonsten wahrt die eindrucksvolle Dramaturgie eine wohltuende Distanz zum Politthriller amerikanischer Provenienz, indem sie die in einer langen Rückblende geschilderten Ereignisse eher nüchtern beobachtet und auch zwischen der öffentlichen Symbolfigur und dem Privatmann Lumumba eine Balance findet. Auch bei den anderen Figuren gelingen Peck kleine Miniaturen, in denen Physiognomie, Rolle und Auftreten Grundzüge der jeweiligen Persönlichkeit durchscheinen lassen, ohne ein simples Gut/Böse-Schema bemühen zu müssen. Auch wem der Name Lumumba bislang nichts sagte oder wer die Um- und Rückbenennung des Landes von Zaire in Kongo nicht zur Kenntnis nahm, wird am Ende des packenden Spielfilms über die komplizierten Verhältnisse des afrikanischen Landes eher informiert sein als über die Wirren auf dem Balkan. Trotz einer Vielzahl an Personen, Motiven und Ereignissen gelingt es der konzentrierten Regie, die Handlung klar zu strukturieren und nicht nur mit Bildern eines riesigen, landschaftlich sehr reizvollen Landes zu durchsetzen, sondern auch die wenigen historischen Fotodokumenten über Lumumba nachzuinszenieren. Seit dessen Ermordung sind 40 Jahre vergangen, in denen der schwarzafrikanische Staat nicht zur Ruhe kam, weil er entweder unter seinen Diktatoren erstarrte oder zum Spielball rücksichtsloser Interessen wurde. Gegen diese Form des Chaos setzt Peck Lumumbas eindringliche Worte, die aus dem Off sein eigenes Schicksal als eine Art Vermächtnis kommentieren, wenn er die Kraft der Einheit als Schlüssel zur Zukunft beschwört. Darin steckt – nicht nur in afrikanischen Perspektive – mehr als der Wunsch nach prosperierender Wohlfahrt.
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