Bye Bye Bluebird

- | Dänemark 1999 | 93 Minuten

Regie: Katrin Ottarsdóttir

Zwei junge Frauen wollen nach langer Abwesenheit an ihre familiäre Vergangenheit auf den Faröer-Inseln anknüpfen und sich mit ihren Eltern aussöhnen. Daraus entwickelt sich ein schmerzhafter Annäherungsprozess, bei dem alle Beteiligten lernen müssen, über ihre Schatten zu springen. Road Movie, das sich ganz auf den empfindsamen Seelenzustand der Protagonistinnen konzentriert und ihr schrilles Aussehen in einen reizvollen Kontrast dazu stellt. Ein überzeugendes Plädoyer für Vergebung und die Allmacht des Verzeihens, das die behutsamen humoristischen Untertöne in den Dienst einer ebenso glaubwürdigen wie ernsthaften Geschichte stellt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BYE BYE BLUEBIRD
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Peter Bech Films/Scanbox
Regie
Katrin Ottarsdóttir
Buch
Katrin Ottarsdóttir
Kamera
Jørgen Johansson
Musik
Hilmar Örn Hilmarsson
Schnitt
Elísabet Ronaldsdóttir
Darsteller
Hildigunn Eyofinnsdottir (Rannvá) · Sigri Mitra Gaini (Barba) · Johan Dalsgaard (Runi) · Elin K. Mouritsen (Barbas Mutter) · Peter Hesse Overgaard (Stiefvater)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Junge Frauen im Punk-Look suchen die Fremde heim, in diesem Fall die Faröer-Inseln irgendwo im Nordatlantik, auf denen die Sonne im Sommer nicht untergeht, und auf denen, weit ab vom wenig geliebten dänischen Mutterland, ein sonderlicher Menschenschlag lebt. Hier fallen Rannvá und Barba ein, die auf dem Kontinent als Models arbeiten und sich mit einem gerüttelten Maß an großstädtischer Arroganz gewappnet haben, um den anstehenden Strapazen gelassen entgegen sehen zu können. Denn eigentlich sind die beiden keine Fremden, nur fremd geworden. Vor Jahren verließen sie die Insel, um ihrer Enge zu entgehen; nun kehren sie als Freundinnen zurück, um sich mit ihren Eltern zumindest auszusprechen, im besten Fall sogar auszusöhnen. Doch ihr Selbstbewusstsein bröckelt rasch. Schon im ersten Quartier parliert die vermeintlich hinterwäldlerische Wirtin trefflich Französisch und auch sonst entwickelt sich nicht alles so, wie es sich die Beiden vorgestellt haben. Lediglich der Transport über die Insel gestaltet sich problemlos: der arbeitslose Runi chauffiert sie mit seinem uralten Ford überall hin. Auch er fühlt sich auf der Insel nicht mehr so richtig zuhause. Seit er in einem Fernsehinterview illegale Fischfang-Methoden anprangerte, leidet er unter Ächtung und Arbeitslosigkeit. Sein hellblaues Fahrzeug wird für die Drei zur Zufluchts- und Kommunikationsstätte; außerhalb ihres Faradayschen Käfigs sind sie den Gewittern ihrer Vergangenheit nahezu schutzlos ausgeliefert. Schon beim ersten Blickkontakt mit ihrer Mutter bricht Barba einen Streit vom Zaum; Rannvá mäandert verzagt dem eigentlich Ziel ihrer Reise entgegen, weil sie sich vor der Begegnung mit ihrer kleinen Tochter fürchtet, die sie vor Jahren zurück ließ; und Runi handelt sich bei seinen unermüdlichen Versuchen, doch noch eine Arbeit zu finden, bestenfalls Absagen, in der Regel jedoch Prügel ein. Diese Eigen- und Verschrobenheiten sind es augenscheinlich, die die Regisseurin Katrin Ottarsdóttir, wie so viele der auf Faröer Geborenen ebenfalls ein Heimatflüchtling, auch ihren dritten Film auf der verschlafenen Insel inszenieren ließ. Eine Arbeit, die ihr nicht unbedingt die Liebe der Insulaner einbrachte, denn bei aller Sehnsucht nach Heimat und Nähe ist stets auch ein stiller Schrecken zu spüren, der nach Distanz ruft, zumal an Orten, an denen der Wort „Privatsphäre“ fremd zu sein scheint. Diese Liebe auf Distanz mag – neben etlichen biografischen Bezügen – erklären, warum sich Katrin Ottarsdóttir der Heimat auf so vertrackte Weise nähert. Auch das Genre trägt dazu bei: Eine Insel mit gerade mal 1000 Kilometer Straßennetz ist nicht unbedingt für ein Roadmovie prädestiniert. Genau das aber macht den Reiz ihres Films aus, weil sie die Essenz eines Genres in eine geografische Beengtheit zwängt und das eigentliche Geschehen nicht im Raum, sondern im Bewusstsein und den Seelen ihrer drei hervorragenden Protagonisten stattfinden lässt. Doch Ottardóttier scheut sich auch nicht, das gewählte Genre gegen Ende kippen zu lassen, wenn sich ein sattes Melodram Bahn bricht, das viele der verqueren Enden zusammenführt und sogar Liebe und Verantwortung tränenreich feiert. „Bye Bye Bluebird“ ist ein Film, der trotz schriller Momente nicht den Mainstream bedient, sondern dem europäischen Erzählkino huldigt – und trotzdem von einer weltweiten Durchsetzungskraft überzeugt ist: Märchen sind universell, auch wenn durch die zutiefst empfundene Hassliebe zu Dänemark (und umgekehrt) etwas wunderbar Provinzielles Einzug hält. Diese Begrenztheit wird auf der anderen Seite durch die stimmungsvolle Zusammenstellung der additiven Filmmusik unterlaufen, die sich nicht hinter beliebigen Tönen verschanzt, sondern Weltmusik bemüht: Country, karibische, irische oder russische Klänge. Auch filmische Reminiszenzen verweisen auf den Rest der Welt: „Das Fenster zum Hof“ (fd 3934) wird ebenso bedacht wie der Running Gag des klassischen Slapsticks, etwa wenn Runi nach jedem missglückten Bewerbungsgespräch lädierter von dannen zieht, ohne niemals ans Aufgeben zu denken. Ein wunderbarer Film über Stehaufmännchen, die wissen, dass sie zeitlebens auf der Suche sind, die aber auch die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass sich immer wieder Heimatinseln finden lassen – bei anderen Menschen oder sich selbst. Grundlage dafür allerdings ist die Kunst, Verzeihen und Solidarität üben zu können, und der Wille, Verständnis füreinander zu entwickeln.
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