- | Schweiz 2000 | 97 Minuten

Regie: Sabine Gisiger

Die Lebenserinnerungen des Schweizers Daniele von Arb, der als Jugendlicher in den 70er-Jahren aus Idealismus in die internationale Terroristen-Szene schlitterte. Beim Versuch eines Attentats auf den Schah werden von Arb und seine Freunde verhaftet und im anschließenden Prozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der aus Archivmaterial, Amateuraufnahmen und Interview-Szenen klug montierte Dokumentarfilm zeigt einen geläuterten Menschen, der sich lachend von seinen Aktionen distanziert. Gleichzeitig dokumentiert er einen gesellschaftlichen Wandel, in dessen Verlauf politische Ideale durch den Rückzug ins Private verdrängt wurden. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DO IT
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Dschoint Ventschr/Schweizer Fernsehen DRS
Regie
Sabine Gisiger · Marcel Zwingli
Buch
Sabine Gisiger · Marcel Zwingli
Kamera
Helena Vagnières
Musik
Peter Bräker · Balz Bachmann · Dimitri de Perrot
Schnitt
Patrizia Wagner
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Daniele von Arb lacht viel. Er kann über sich und seine Vergangenheit lachen, bis ihm die Tränen in die Augen schießen; hat gut Lachen angesichts seiner Gegenwart. Doch ganz so lustig ist seine Geschichte nicht, auch wenn sie stellenweise umwerfend komisch wirkt. 1970 stieg er als 16-Jähriger aus dem gesellschaftlichen System der Schweiz aus. Es galt, Unterdrückung und Kapitalismus zu bekämpfen, die Befreiung der Völker voran zu treiben. Mit gleich gesinnten Freunden gründete er im Züricher Stadtteil Altstetten unter Führung eines väterlichen Freundes eine revolutionäre Zelle; man setzte auf den bewaffneten Kampf, überfiel Munitionsdepots der Schweizer Armee – mit Fahrrädern und einem Mofa – und narrte mit der Gruppe, die bald im Besitz von Handfeuerwaffen, Sprengstoff, Tret- und Panzerminen war, Polizei und Staatsschützer. Doch bald wuchs den Möchtegern-Revoluzzern die selbst geschaffene Realität über den Kopf. Sie lebten im Untergrund, sofern das in der Schweiz möglich war, trugen mit Che-Mützen, Kampfjacken und Springerstiefeln ihre militante Gesinnung durch die Straßen Zürichs – und blieben unerkannt. Angesichts des Nordirland-Konflikts boten sie der IRA Waffen an, die aber winkte ab, vermittelte immerhin einen nach Italien; dort schien man an der Bildung internationaler Brigaden interessiert. An dieser Stelle des Films bricht Arb in haltloses Lachen aus: Italien und Organisation, Italien als verlässlicher Partner im Kampf gegen den Imperialismus? Es kam zwar zu Kontakten, doch die Zusammenarbeit gipfelte in der Begegnung mit einem italienischen Autoknacker, den die Schweizer Gruppe brauchte; nach Wochen stellte sich allerdings heraus, dass der viel zu lange im Knast war und nicht einmal Lenkradschlösser knacken konnte. Dennoch bildete Italien eine wichtige Bastion, von der aus Kontakte nach Griechenland und Spanien geknüpft wurden – in den frühen 70er-Jahren faschistische Bastionen in Europa, die es zu bekämpfen galt. Von hier aus entstehen auch Verbindungen zur deutschen „Rote Armee Fraktion", die zumindest an Waffen interessiert ist. In diese Zeit fallen die ersten ideologisch-moralischen Bedenken an: die Kontaktperson zur Palästinensischen Befreiungorganisation wird vom Top-Terrorist Carlos erschossen. Fragen tauchen auf: Ist man wirklich so gewaltbereit wie die RAF; schließlich schonte man bei eigenen Aktionen das Leben von Menschen? Die Gruppe ist zerstritten und belautert sich. Eine Vorentscheidung fällt, als der spanische Anarchisten Salvador Puig Antich, dem 1974 die Garrottierung droht, freigepresst werden soll. Die Schweizer schmieden abenteuerliche Pläne, machen dann aber doch nicht mit. Weniger Bedenken gab es im Falle des Schahs, der 1975 die Schweiz besuchte. Sein Tod schien schon beschlossene Sache, scheitert dann aber daran, dass sich der Attentäter verliebte. Der iranische Geheimdienst dagegen leistete ganze Arbeit und hob die Terrortruppe aus. 1977 wurde ihren Mitgliedern in Winterthur der Prozess gemacht. Doch auch nach der Haftverbüßung in der Schweiz ist von Arbs Geschichte noch längst nicht vorbei. Es ist eine ebenso unbekannte wie abenteuerliche Geschichte, gespickt mit Episoden und Namen, die heute kaum noch jemand kennt, wobei Archivaufnahmen, Amateurfilme und Interviewsequenzen zu einer Einheit verschmelzen. Arbs joviale Selbstdarstellungen werden durch die Aussagen ehemaliger Genossen, seinen Bruders und seiner Mutter sowie vieler Zeitzeugen flankiert, wodurch ein komplexes Geflecht an Sachinformationen entsteht. Dass ihre Geschichten nie dröge klingen, liegt an der klugen Herangehensweise, durch die kein Revolutionsdenkmal errichtet, sondern eine historische Episode mit ihren Hoffnung und Fehlentwicklungen beleuchtet wird. Von Arb ist heute Kaffeesatzleser und medialer Lebensberater, geht über glühende Kohlen und hat sich einem Leben in „nicht-christlicher Religiösität" verschrieben. Er kann über sich selbst lachen, scheint über allem zu schweben, sieht Fehler und Fehlentwicklungen ein, verfügt über Distanz zu seinem Vorleben, ohne sich davon zu distanzieren. Dadurch macht der Film Träume, Hoffnungen und Visionen deutlich, die vor nicht allzu langer Zeit mitten in Europa noch geträumt wurden. Er denunziert sein Gegenüber nicht, sondern stellt einen sympathischen Luftikus vor, der seinem Herzen und seinen Idealen folgt. Bei aller Lebensfreude macht er auch ein wenig traurig, weil nicht einzusehen ist, was im Prinzip an politischem Idealismus falsch ist – wenn er nur kanalisiert wird. Dies wird durch die Privataufnahmen des jungen Arb vermittelt, der mit unglaublicher Naivität die Welt verändern und verbessern wollte, der sich daran erinnert, dass ihnen die besten Ideen stets Liegen auf einer sommerlichen Wiese gekommen seien. Hier schafft es der Dokumentarfilm, zum Nachdenken übers eigene Leben anzuregen, über eigene Ideale und Haltungen, auch über die eigene Naivität. Was ist schlimm daran, auf einer Wiese zu liegen und Träume zu haben? Man muss nur das Richtige daraus machen! Das Schlussbild rundet den Film: Hatte Daniele von Arb am Anfang dem Filmteam noch die Zukunft aus dem Kaffeesatz gelesen, hält er ihnen nun die weiße Untertasse vor die Kamera – Tabula rasa, ein Neuanfang ist immer möglich.
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