- | VR China/Deutschland/Niederlande/Japan/Frankreich 2000 | 82 Minuten

Regie: Lou Ye

Eine melodramatische, mit märchenhaften Motiven angereicherte Liebesgeschichte im kriminellen Milieu des heutigen Shanghai, die sich in mehrfacher Hinsicht um den Fluss Suzhou zentriert, auf dem sich ein unglücklich verliebter, voyeuristischer Videofilmer bewegt, Menschen beobachtet und sie mit allerlei Geschichten ausstattet. "Suzhou River" ist eine seiner Fantasien, eine Art Variation von Hitchcocks "Vertigo" in Kombination mit Vigos "L’Atalande", erzählt in wunderbar modernistischen Bildern, die hinreichend Leerstellen in der Erzählung und zwischen den Bildern lassen, um den Film zu einem spannenden ästhetischen und intellektuellen Vergnügen zu machen. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
SU ZHOU HE
Produktionsland
VR China/Deutschland/Niederlande/Japan/Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Essential Film/Dream Factory/Hubert Bals Fund/ZDF/arte/Studio Babelsberg/Uplink Co./Goutte d'Or Distribution/Göteburg FilmFestival Filmfund/BR
Regie
Lou Ye
Buch
Lou Ye
Kamera
Wang Yu
Musik
Jörg Lemberg
Schnitt
Karl Riedl
Darsteller
Nai An (Xiao Hong) · Yao Anlian (Boss) · Hua Zhongkai (Lao B.) · Zhou Xun (Moudan/Meimei) · Jia Hongshen (Mardar Jia)
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Diskussion
Ausgerüstet mit einer Videokamera, fährt der namenlose, stets unsichtbare Ich-Erzähler auf dem Fluss Suzhou, der mitten durch Shanghai fließt und aufgrund seiner Verschmutzung berüchtigt ist, und macht visuelle Notizen: Schnappschüsse mit dem Potenzial zu einer Geschichte. Er erzählt von seiner Liebe zu Meimei, einer Nachtclubtänzerin, die im Kostüm einer Meerjungfrau die Gäste des „Happy Tavern“ unterhält und manchmal für einige Tage verschwindet. Ab und zu stellt er seine Dienste als Dokumentarist Kunden zur Verfügung, die sich Bilder ihrer Hochzeit oder auch obskurerem Zeitvertreib sichern wollen. Lieber als zu arbeiten, beobachtet er jedoch. Zum Beispiel den Motorradkurier und Kleinkriminellen Mardar, der manchmal den Auftrag erhält, Moudan, die Tochter eines reichen Schmugglers von Büffelgras-Wodka, zu ihrer Tante zu begleiten, wenn sich ihr Vater mit einer Geliebten trifft. Mardar und Moudan verlieben sich ineinander, doch dann taucht Mardars alte Clique mit dem Plan einer Entführung Moudans und Erpressung von Lösegeld auf und zwingt Mardar zum Mitmachen. Die Entführung misslingt, Moudan aber ist derart enttäuscht von Mardars Verrat, dass sie sich in den Fluss stürzt. Ihre Leiche wird nie gefunden. Mardar wird verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. Jahre später durchstreift Mardar in der Gewissheit, dass Moudan noch lebt, ruhelos Shanghai. Immer wieder taucht er im „Happy Tavern“ auf und versucht – überzeugt, dass es sich bei ihr um Moudan handelt – , die Tänzerin Meimei zu verführen. Der eifersüchtige Ich-Erzähler lässt Mardar daraufhin zusammenzuschlagen, woraufhin dieser die Stadt verlässt. Irgendwann erhält der Ich-Erzähler eine Nachricht von Mardar, der berichtet, dass er die wahre Moudan in den Vororten entdeckt habe. Wenig später wird der Ich-Erzähler von der Polizei aufgefordert, zwei Leichen zu identifizieren, die aus dem Fluss gezogen wurden. Es sind Mardar und Moudan, die bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen sind. Auch Meimei kommt hinzu, fragt den Ich-Erzähler, ob er sie so liebe, wie Mardar Moudan geliebt habe. Er bejaht, sie bezichtigt ihn der Lüge und verschwindet. Als der Ich-Erzähler in ihre Wohnung kommt, findet er eine Notiz mit den Worten: „Finde mich, wenn du mich liebst!“ In welchem „film noir“ versicherte einen noch gleich eine Stimme aus dem Off, dass die Großstadt voller Geschichten stecke und „this is one of them!“, um anschließend immerhin noch eine richtige Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende zusammen zu bringen? Im Falle von „Suzhou River“ ist die Sache komplizierter, es handelt sich gewissermaßen um einen Film im Konjunktiv. Kurz nachdem sich Mardar und Moudan verliebt haben, fragt der Ich-Erzähler aus dem Off, wie die Geschichte weitergehen könnte – der Erzählfluss kommt ins Stocken, und der Erzähler setzt auf die Option, die Liebesgeschichte mit dem kriminellen Milieu Shanghais in Beziehung zu setzen, um sich neues „Erzählfutter“ zu verschaffen. In diesen Momenten fällt der filmische Diskurs in die rohe Bildsprache von Video zurück, die „Suzhou River“ eröffnete, je eindeutiger die Erzählung wird, desto „klarer“ gerät der filmische Diskurs. Insofern könnte man sagen, dass der Film eine Kontrafaktur von Hitchcocks „amour fou“ „Vertigo“ (fd 7 835) als Märchen (das Meerjungfrauen-Motiv ist in China unbekannt) ist, wobei nicht einmal als ausgemacht gelten kann, wieviele Protagonisten dieser Film hat bzw. wieviele Liebesgeschichten hier erzählt werden. Dieser „West“-Bezug des Films wird durch eine Reihe von Bezugnahmen zu den Filmen Wong Kar-wais („Chungking Express“, fd 31 851) mit ihrer repetitiven Zufallsdramaturgie, ihren Spiegelungen und Verdoppelungen ergänzt. Die Romantik, mit der der Film unterfüttert ist, lässt – nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung des Flusses für die Handlung – auch an archaischere Formen filmischen Erzählens wie Jean Vigo „L’Atalande“ denken: eine Art poetischer Videoclip-Realismus. Doch das Resultat ist mehr als die Summe seiner Teile, ein eigenwilliges Vexierbild, das das bemerkenswerte Talent des 1965 geborenen Lou Ye („Weekend Lover“, 1994) unterstreicht, der auch dem Ich-Erzähler seine Stimme leiht. Lou Ye gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „6. Generation“ des chinesischen Films, die in den 80er-Jahren studierte und deutlich auch von europäischen und US-amerikanischen Autorenkino beeinflusst ist, dies souverän und undogmatisch nutzt, um eigene Erfahrungen im heutigen China zu vermitteln. In China wurde „Suzhou River“ noch nicht gezeigt. Er wartet noch auf die Freigabe durch die chinesische Filmzensur.
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