Der König tanzt

Biopic | Belgien/Frankreich/Deutschland 2000 | 115 Minuten

Regie: Gérard Corbiau

Leben und Sterben des aus Florenz stammenden Jean-Baptiste Lully (1632-1687), der 34 Jahre Staatskomponist und Tanzlehrer von Ludwig XIV. war. Zusammen mit Molière entwickelt er die "comédies ballets", sieht sich wegen seiner Homosexualität ständigen Intrigen des Hofes ausgesetzt und verkraftet schließlich den Liebesentzug seines abgöttisch geliebten Sonnenkönigs nicht. Opulent gefilmtes und eindringlich gespieltes Historiengemälde, in dem Bilder, Musik, Tanz, persönliche Schicksale und politische Hintergründe zu einer rauschhaften Choreografie verschmelzen, die die Sinne des Zuschauers gleichermaßen fesselt wie betört. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LE ROI DANSE
Produktionsland
Belgien/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
K-Star/France 2 Cinéma/MMCI/K-Dance/K2/RTL TVI
Regie
Gérard Corbiau
Buch
Eve de Castro · Andrée Corbiau · Gérard Corbiau · Didier Decoin
Kamera
Gérard Simon
Musik
Jean-Baptiste Lully
Schnitt
Ludo Troch · Philippe Ravoet
Darsteller
Benoît Magimel (Ludwig XIV.) · Boris Terral (Lully) · Tcheky Karyo (Molière) · Colette Emmanuelle (Königin Anna) · Cécile Bois (Madeleine)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic | Historienfilm
Externe Links
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Diskussion
Nach dem Opernsänger-Wettstreit „Maestro“ (fd 28 640) und dem Kastraten-Opus „Farinelli“ (fd 31 454) stellt Gérard Corbiau auch in seinem vierten Spielfilm „Der König tanzt“ die Musik in den Mittelpunkt der Handlung. Er erzählt die Geschichte des Florentiners Giovanni Battista Lulli (1632-1687), der als 14-Jähriger nach Frankreich kommt und dort als Jean-Baptiste Lully am Hof Ludwig XIV. Karriere macht. Von 1653 bis zu seinem Tod war Lully Tanzlehrer und Staatskomponist des legendären „Sonnenkönigs“, der sich selbst als Künstler und Förderer der Künste sah. Die über den Boden gleitende Kamera fängt zwei unruhig auf und ab gehende Füße ein, dann einen wütend auf den Boden hämmernden Taktstock, der nach wenigen Schlägen einen der Füße durchbohrt. Dem infolge der schweren Fußverletzung von Wundbrand befallenen Bein Jean-Baptiste Lullys droht die Amputation, und während der Verletzte halb betäubt vom Fieberwahn dahindämmert, laufen vor seinem inneren Auge die letzten 34 Jahre seines Lebens ab: 21 Jahre war er alt, als der damals 14-jährige Ludwig sein Talent erkannte. In den Jahren darauf entwickelte Lully das in Frankreich traditionsgemäß als Mittel der Repräsentation sowie als Ausdruck gesellschaftlichen Ranges geltende höfische Ballett zu einer genuin politischen Manifestation, das ausschließlich dazu diente, vom Ruhme seines Herrschers zu künden. Ludwig, selbst ein hervorragender Tänzer, tanzt fortan die Titelrollen in nahezu allen Balletten Lullys. Als Ludwig 1661, nach dem Tod des Staatsministers Kardinal Mazarin, die alleinige Macht übernimmt und auch seine Mutter aus dem Obersten Rat ausschließt, setzt er als erste Amtshandlung der von seinem Vater gegründeten „Académie Française“ seine „Académie de Danse“ entgegen. Mit der Erbauung des Schlosses von Versailles setzt er sich ein weiteres Denkmal und ermuntert den Dichter Molière, gemeinsam mit Lully der italienischen Oper Paroli zu bieten. So entsteht die neue Gattung der „comédie ballets“, die komische Dialoge mit Musik und Tanz kombiniert. Der Einfluss der Künstler auf Ludwig wird am Hof mit Neid und Angst um die eigenen Pfründe gesehen. Lullys musikalischer Rivale Cambert, dessen ehemalige Verlobte Madeleine nun das Bett des bisexuellen Lully teilt, führt die Intrigen an. Zuerst gelingt es ihm, Molières gegen die Bigotterie der Kirche zielendes Stück „Tartüff“ verbieten zu lassen, dann ist er an der Ermordung eines von Lullys „Lustknaben“ beteiligt. Auch unter den ehemaligen Freunden Molière und Lully breitet sich Missgunst aus, fürchtet Lully doch um seine Favoritenrolle bei Ludwig. Lully lässt Molière die Aufführungsrechte für die gemeinsam entwickelten Bühnenmusiken entziehen, worauf sich Molière wieder ganz dem Sprechtheater widmet. An Tuberkulose erkrankt, bricht er im Jahr 1673 während einer Aufführung von „Der eingebildete Kranke“, bei der er selbst die Hauptrolle spielt, tot zusammen. Noch einmal kann Lully den König mit der von ihm geschaffenen französischen Oper für sich einnehmen, spürt aber als Auswirkungen von Ludwigs (außen-)politischen Misserfolgen immer mehr dessen Desinteresse an den schönen Künsten - bis er eines Tages nicht einmal zu Lullys eigens zur Genesung des abgöttisch geliebten Königs komponierten „Te deum“ erscheint und damit unfreiwillig jenen todbringenden Schlag mit dem Taktstock provoziert. Der Kontrast der ersten fließenden Einstellungen zum harten Schnitt der folgenden entwickelt sich sehr schnell zum Credo einer Inszenierung, die einerseits den Augen mit opulenten Bildkompositionen schmeichelt, andererseits mit den düsteren Abgründen des von inneren Machtkämpfen zerissenen Königreiches konfrontiert. Die erlesenen Bildkompositionen von Kameramann Gérard Simon, sein stimmungsvolles Spiel mit Licht und Farben, ergänzen sich dabei kongenial mit den vom Kölner „Musica Antiqua“-Orchester (Dirigent: Reinhard Goebel) eingespielten Lully-Kompositionen, dessen Interpretation besonders das Lustvolle des barocken Originals betont. Corbiau entwickelt dazu einen Inszenierungsstil, bei dem Gesichter, Mimik und Gestik zu einer rauschhaften Choereografie verschmelzen. Die Darsteller sind diesem Regie-Prinzip auf den ersten Blick untergeordnet, wirken aber durch das präzise Typen-Casting und ihr zurückgenommenes Spiel jederzeit überzeugend, ohne sich aufdringlich in den Vordergrund zu spielen. Musik und Tanz sind die großen „Spannungsbögen“, unter denen die unerfüllte Liebe Lullys zu Ludwig und die standespolitischen Scharmützel zwar immer sichtbar bleiben, sich letztlich aber mehr im Kopf des Zuschauers abspielen. Der Blick in eine vergangene Epoche, auf ihre politischen wie menschlichen Irrungen und Wirrungen und ihre Künste, das Lauschen einer mit den Bildern verschmelzenden Musik – das alles kulminiert in ein sinnliches Erlebnis, wie man es in den Zeiten des „Gebrauchskinos“ nur noch selten auf der Leinwand erlebt.
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