Als Großvater Rita Hayworth liebte

- | Deutschland/Tschechien/Schweiz 2000 | 90 Minuten

Regie: Iva Svarcová

Ein 13-jähriges Mädchen emigriert mit seinen Eltern nach dem gewaltsamen Ende des "Prager Frühlings" nach Deutschland und findet dort allmählich eine neue Heimat, indem es den falschen Träumen ihrer konsumorientierten Eltern Paroli bietet und sich an die Würde, Standfestigkeit und Integrität ihres in der CSSR zurückgebliebenen Großvaters erinnert. Anekdotisch erzählter Spielfilm, dem ein präziser, undogmatischer und zugleich sehr amüsanter Blick auf die bundesdeutsche Befindlichkeit jener Jahre gelingt. Dem schrillen Konsumrausch der frühen 70er-Jahre setzt er die von Herzenswärme geprägte Einsicht entgegen, dass sich innere wie äußere Heimat nicht mit dem Verlust von Erinnerungen und Identität erkaufen lässt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KDYZ DDA MILOVAL RITU HAYWORTHOVOU
Produktionsland
Deutschland/Tschechien/Schweiz
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Svarcová Film/Bernhard Lang AG/ZDF
Regie
Iva Svarcová
Buch
Iva Scarcová
Kamera
Hille Sagel
Musik
Annette Focks
Schnitt
Georg Janett
Darsteller
Karen Fisher (Hannah) · Ewa Gawryluk (Lida) · Vladimir Hajdu (Kuba) · Veronika Albrechtová (Maruska) · Vlastimil Brodský (Großvater Zikmund)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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IMDb | TMDB

Diskussion
Ein wenig fühlt sich die 13-jährige Hannah wie die amerikanischen Astronauten, die im Jahr 1969 den Mond betreten wollen: ’rausgeworfen aus der Umlaufbahn. Im ersten Winter nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ hat Hannah mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Maruska die Heimat verlassen, um in der Emigration ein neues, „freies“ Zuhause zu suchen. „Wo werden wir wohl landen?“, fragt der Vater mit Blick auf die Fernsehbilder des „Apollo“-Fluges; er will weiter in den Süden, nach Italien, doch seine ebenso hübsche wie resolute Frau setzt sich durch: Die Familie soll in Deutschland bleiben. Was folgt, sind ernüchternde, teils gar erniedrigende Stationen der schrittweisen Einbürgerung: ein Auffanglager für Asylsuchende, peinliche Befragungen zur politischen Gesinnung durch die Spionageabwehr, schließlich die erste eigene Baracken-Wohnung. Alles registriert Hannah mit messerscharfer Distanz zu den Dingen und den Personen, wobei sie zunehmend nicht nur auf die kleine Schwester achten muss, sondern auch auf ihre Eltern, die sich ihren lange gehegten Träumen vom „goldenen“ Westen hingeben. Vor allem Mutter Lida erliegt ihrem Konsumrausch, nachdem sie die entscheidende Hürde der ihr unbekannten Rolltreppe im Kaufhaus gemeistert hat: die schrille Farbigkeit der anbrechenden 70er-Jahre bricht sich in neuer Kleidung und standesbewusst gewählten Möbeln eine Bahn. Nur Hannah bewahrt den Überblick, kämpft sich durch Schule und deutsche Kleinbürgerlichkeit und beherzigt dabei stets die weise Lebenssicht ihres schmerzlich vermissten Großvaters: Manchmal sei es so, dass die Heimat nur außerhalb der Heimat überleben könne, hatte er einmal erklärt, und Hannah will ihre neue Heimat nicht mit dem Verlust ihrer Erinnerungen und Identität erkaufen. Iva Svarcová, geboren 1961 in der CSSR, greift auf ihre eigenen Erfahrungen aus jener Zeit zurück, als auch sie als Kind ihre Heimat verlassen musste, um mit den Eltern nach Deutschland zu emigrieren. In ihrem ersten langen Spielfilm gelingt ihr dabei ein ausgesprochen undogmatischer, zugleich präziser und entspannt-amüsanter Blick auf die bundesdeutsche Befindlichkeit jener Jahre, die den orientierungslosen Emigranten alles andere als Trost und Lebensperspektive bietet. Während die Eltern die Zwänge in ihrer kommunistischen Heimat als unerträglich empfinden und sie möglichst schnell verdrängen, schauen die Kinder auf die Kehrseite der Medaille: Vor allem Hannah erkennt und verinnerlicht die Würde und Standfestigkeit ihres Großvaters, der seine politische wie menschliche Haltung beharrlich gegen alle Repressionen verteidigt und seiner Enkelin damit ein Stück existenzieller Grundfestigkeit vorlebt. Nie wirkt Hannah in ihren Versuchen, ihm nachzueifern, altklug, bleibt vielmehr ein spontan reagierendes, impulsives Kind, freilich mit einem von der Regisseurin einfühlsam und subtil eingefangenen intiutiven Gespür für den bloßen Schein der Dinge, den sie mühelos durchschaut. Iva Svarcová addiert anekdotisch aneinander gereihte Szenen, die vor allem von der lakonischen Aufmerksamkeit für Details leben, für Blicke und Gesten - vor allem ein Italien-Urlaub der Familie wird virtuos in einem Minimum an Szenen zum Sinnbild dafür, wie eng große Träume und Katzenjammer ob deren Grenzen zusammen liegen. Angesichts des geringen Budgets ist es umso bemerkenswerter, welch beredte Vielschichtigkeit dank detailfreudiger Ausstattung, hervorragend akzentuierender Musik und einem geschickt verknappenden Schnitt erzielt werden. Manches ist dabei überpointiert, anderes verliert sich im anekdotischen Reigen; so bleibt die tragische Lebens- und Liebesgeschichte des einst in Prag stationierten Herrn von Hartlieb (hervorragend: Charles Brauer) allzu bruchstückhaft. Dafür beeindruckt der souveräne Umgang der Regisseurin mit Sinnbildern und Chiffren, die vom mehrfach gezeigten Schlagbaum bis zum Topos der Mondlandung reichen. Mit Herzenswärme und Zuneigung zu den Figuren spiegelt sich darin Hannahs Umgang mit „großen“ Themen wie Fremdsein, Heimat, Erwachsenwerden und Lebenskultur, was in ihrer Umkehrung des legendären Satzes von Astronaut Armstong eine schöne Quintessenz findet: Hannahs Entscheidung für die neue Heimat ist nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für sie. Ein 13-jähriges Mädchen emigriert mit seinen Eltern nach dem gewaltsamen Ende des „Prager Frühlings“ nach Deutschland und findet dort allmählich eine neue Heimat, indem es den falschen Träumen ihrer konsumorientierten Eltern Paroli bietet und sich an die Würde, Standfestigkeit und Integrität ihres in der CSSR zurückgebliebenen Großvaters erinnert. Anekdotisch erzählter Spielfilm, dem ein präziser, undogmatischer und zugleich sehr amüsanter Blick auf die bundesdeutsche Befindlichkeit jener Jahre gelingt. Dem schrillen Konsumrausch der frühen 70er-Jahre setzt er die von Herzenswärme geprägte Einsicht entgegen, dass sich innere wie äußere Heimat nicht mit dem Verlust von Erinnerungen und Identität erkaufen lässt. - Sehenswert ab 14.
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