Der Schneider von Panama

Spionagefilm | USA/Irland 2001 | 109 Minuten

Regie: John Boorman

Ein in Ungnade gefallener britischer Spion wird nach Panama versetzt, um Informationen über die Zukunft des Kanals zu beschaffen, wobei er in einem Schneider mit dunkler Vergangenheit einen ebenso widerwilligen wie unzuverlässigen Informanten findet. So gegensätzlich wie die beiden Männer, die er porträtiert, sind die narrativen Taktiken, die Regisseur John Boorman in seinen Film integriert: Zugleich als weltpolitische Farce und intimes Drama angelegt, gelingt ihm ein delikater Balanceakt zwischen scharfer Satire und leiser Anteilnahme, der von hervorragenden Darstellern geprägt ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE TAILOR OF PANAMA
Produktionsland
USA/Irland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Merlin Films
Regie
John Boorman
Buch
Andrew Davies · John le Carré · John Boorman
Kamera
Philippe Rousselot
Musik
Shaun Davey
Schnitt
Ron Davis
Darsteller
Geoffrey Rush (Harry Pendel) · Pierce Brosnan (Osnard) · Jamie Lee Curtis (Louisa Pendel) · Leonor Varela (Marta) · Brendan Gleeson (Mickie Abraxas)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Spionagefilm | Thriller
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen dt. untertitelten Audiokommentar des Regisseurs mit nicht verwendeten Szenen sowie ein kommentiertes Feature mit einem alternativen Filmende.

Verleih DVD
Columbia TriStar Home (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Wenn man zu Beginn des Films die Zentrale des britischen Geheimdienstes MI 6 erblickt, glaubt man sich auf vertrautem Kino-Terrain. Immerhin diente das Gebäude James Bond bei seinem letzten Abenteuer als Ausgangspunkt einer rasanten Verfolgungsjagd. Und tatsächlich beherbergen die dicken Mauern des Hochsicherheitstraktes auch diesmal Pierce Brosnan als Agent mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Drinks und One-Night-Stands. Doch Andy Osnard verfügt weder über eine Lizenz zum Töten, noch kann er sich des Wohlwollens seiner Vorgesetzten sicher sein. Denn gerade erst hat er die Geliebte des Außenministers der langen Liste seiner Eroberungen hinzugefügt, sodass man ihn vorsichtshalber ans Ende der Welt versetzt. Dort soll er Informationen über die Zukunft der wichtigsten Verkehrsader der Welt einholen, dem Panama-Kanal. Als Nachrichtenquelle nimmt Osnard den britischen Luxus-Schneider Harry Pendel ins Visier, der sich bei seinem ersten Auftritt im strahlend weißen Anzug und stolz geschwellter Brust vor dem eigenen Geschäft präsentiert. Doch die weiße Weste hat er sich selbst auf den Leib geschneidert und dabei die dunklen Flecken seines Charakterkostüm sorgsam eliminiert. Vor Jahren war er wegen eines Versicherungsbetruges im Gefängnis gesessen, wo er mit Stoff und Schere umzugehen lernte. Ein Onkel hatte ihn nach der Entlassung mit dem nötigen Kleingeld versorgt, sodass der Nobody aus England in Panama zum Schneider der oberen Zehntausend avancieren konnte. Kurz nach seiner Ankunft hatte er die Tochter eines reichen Amerikaners erobert und mit ihr eine Familie gegründet, ohne seiner Herzdame je die Wahrheit über seine Vergangenheit gebeichtet zu haben. Da Harry zudem hoch verschuldet ist, kann er sich Osnards Erpressungsversuchen kaum widersetzen. Allerdings verfügt nicht über von Osnard so begierig gesuchten Informationen - weshalb er sie schlichtweg erfinden. Action-Sequenzen such man im „Schneider von Panama“ vergeblich, denn das Spionage-Geschäft hat hier wenig mit riskanten Manövern und waghalsigen Aktionen zu tun. Es stellt sich vielmehr als abstraktes Passion selbstsüchtiger Männer dar, die viel reden, aber wenig tun. Osnard beherrscht die Regeln dieses Spiels perfekt; scheinbar mühelos gelingt es ihm, dem englischen Geheimdienst Millionenbeträge für eine Rebellenorganisation abzuschwatzen, die nur in Harrys Fantasie existiert. Doch der Held der Geschichte ist nicht der versierte Global-Player Osnard, sondern der halbseidene Schneider, der sich um Kopf und Kragen redet, um die Liebe seines Lebens vor seinen dunklen Seiten zu beschützen. Würde der Film sich darauf beschränken, die Mechanismen internationaler Machtspiele ad absurdum zu führen, gäbe er eine amüsante Satire ab, die den Zuschauer allerdings einem emotionalen Vakuum aussetzen würde. Indem er jedoch mit feiner Ironie den Realitätsverlust in den Sitzungssälen der Profis vorführt, während er mit unaufdringlicher Anteilnahme zeigt, wie Harry um seine Familie kämpft, gelingt ein Balanceakt, der die politische Farce mit dem privaten Drama konterkariert. Zu diesem Zweck entwickelt Regisseur John Boorman Harry und Osnard als gegensätzliche Identifikationsfiguren. Auf der einen Seite steht der selbstsicher auftretende Agent, dem Brosnan den virilen Charme und weltgewandten Glamour eines Bond verleiht. Doch zugleich zeigt der „Bond“-Darsteller lustvoll das hässliche Antlitz der Kino-Ikone, indem er Osnard als Menschen spielt, der Frauen nur als Lustobjekte wahrnimmt und Politik lediglich als probates Mittel betrachtet, Kapital auf sein Konto umzuleiten. Wenn er auf dem Bett eines Stundenhotels sitzend, Harry über die Zukunft des Panama-Kanals ausfragt, dabei mit einem Auge ein Porno-Video verfolgt und gelegentlich an seinem Drink nippt, ist er ganz in seinem schäbigen Element. An den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen ihm und Harry ist daher nie zu denken. Denn der Schneider mag ein Träumer und Lügner sein, doch Osnards Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitmenschen ist ihm vollkommen fremd. Im Mittelpunkt seiner Existenz steht seine Familie; Harry stört es deshalb kaum, dass sein weißer Anzug am Ende besudelt ist, während Osnard in das Reich hedonistischer Jet-Set-Fantasien entkommt. So lange er seinen Kindern das Frühstück machen kann, weiß der Schneider von Panama alles Glück der Welt auf seiner Seite.
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