Danach hätte es schön sein müssen

- | Deutschland 2000 | 73 Minuten

Regie: Karin Jurschick

Die Filmemacherin Karin Jurschick befragt ihren 91-jährigen Vater über sein Leben und seine Ehe sowie den frühen Tod ihrer Mutter, die 1974 Selbstmord beging, und versucht, über die gemeinsame Erinnerungsarbeit das Bild ihrer Familie zu rekonstruieren. Ein lediglich auf den ersten Blick sehr privater dokumentarischer Film, der, wenn auch an einem extremen Beispiel, ein ausgesprochen klares Bild familiärer und gesellschaftlicher Strukturen der 60er- und 70er-Jahre entwirft und dabei wichtige Fragen nach emotionaler Kälte und den Gründen für Einsamkeit stellt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Jurschick 2000/ZDF
Regie
Karin Jurschick
Buch
Karin Jurschick
Kamera
Karin Jurschick
Schnitt
Bettina Böhler
Länge
73 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Diskussion
Eine Frau sucht ihre Familie – ihre Mutter, ihren Vater und letztlich sich selbst. Eigentlich ist sie auf der Suche nach dem, was Familie ausmacht. Dabei steht nicht ein ominöser Glücksanspruch im Vordergrund, sondern die Frage, warum es dieser Familie nicht geglückt ist, über längere Dauer ein klein wenig glücklich zu sein, warum die Mutter so früh sterben musste, warum das Kind verwaist aufwuchs, warum der Vater, bei dem so viele Unglücksfäden zusammen laufen, so unbelehrbar scheint. Ein interessantes Sujet für einen Dokumentarfilm. Doch wenn die Filmemacherin selbst die Betroffene ist, deren Mutter sich 1974 nach elfjähriger Ehe das Leben nahm, und die nun mit ziemlicher Beklemmung ihren 91-jährigen Vater aufsucht, der seit mehr als 25 Jahren in der unveränderten elterlichen Wohnung lebt, dann besteht nicht nur die Gefahr, dass allzu viel Intimität preis gegeben wird, sondern auch, dass Privates zum Gegenstand des öffentlichen Interesses gemacht werden soll. Karin Jurschick versucht, dies zu vermeiden, indem sie eine möglichst große Distanz zwischen sich und ihren Film legt. Sie redet im Off-Kommentar nur von „dem Mann“, wenn der Vater gemeint ist, der trotz seines hohen Alters beileibe kein Greis ist; im analogen Sprachgebrauch ist „die Frau“ Mutter Hannelore, „das Kind“ die Filmemacherin selbst. Privates und dokumentaristisches Interesse versuchen so, eine nützliche Symbiose einzugehen, treffen sich jedoch auf einer fast unwirklichen Metaebene, die immer dann deutlich wird, wenn die Tochter den Vater und nicht die Dokumentaristin „den Mann“ zur Rede stellt. Wenn die Filmmacherin etwa nach der „Mutti“ fragt und auf die Gegenfrage, wer gemeint sei, nur recht fassungslos mit „meine Mutter, deine Frau“ antworten kann, dann sagt ein Satz mehr als tausend Familienbilder und Worte, dann offenbart sich die Mikrostruktur einer Ehe, die auf Machtstrukturen und Träumen vom Wirtschaftswunderland aufgebaut war, die jedoch niemanden glücklich machte. Über diese ebenso eindrucksvolle wie berührende private Ebene hinaus offenbart der Film einen grundlegenden Konflikt, der auch den Nachgeborenen der NS-Diktatur nicht erspart blieb. Der wesentlich ältere Mann, Schiffsingenieur, Angehöriger einer SA-Betriebsgruppe, später Kommandant in einer Fabrik in Weißrussland, trifft auf die junge Frau, die den 50er-Jahre-Traum vom eigenen Haus träumt und ihn im Ehealltag in Tablettenabhängigkeit und Alkohol verliert. Dabei stellt für sie der große harmonische Familiensonntag einen enormen Stress dar, während er noch immer glaubt, durch die Anschaffung immer neuer Küchengeräte hätte alles „schön sein müssen“. Es ist der Film eines Kindes, das alles gesehen hat – den latenten Hass, den sturen Ordnungssinn, die Logik eines Familienkrieges, die letztlich zum Selbstmord der Mutter geführt haben mag – , und dem es letztlich gelingt, dem Vater einmal gleichberechtigt, ja sogar überlegen zu sein. Ein Kind, das alles mit angesehen hat, auch die Dinge, die der zähe Vater über lange Jahre ignorierte, die nun aber angesprochen werden können. Die Ignoranz des Vaters, der Frau und Tochter wohl nie so recht anerkannt hat, und die klammheimliche Freude der Beiden, ihm zumindest beim Fahrradfahren den Schneid abgekauft zu haben. „Der alte Mann ist zäh, er sieht nicht, was ich sehe“, sagt Karin Jurschick gegen Ende des Films. Damit bilanziert sie zwar nur ihre eigene Familiengeschichte, fasst jedoch auch unzählige andere Geschichten zusammen. Ein eindrucksvoller Film über den Mangel an Nähe und die Einsamkeit aller Beteiligten, ein Film auch über den Mut zur Nähe und die Anstrengung, sie aushalten zu können.
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