I.T. - Immatriculation Temporaire

Drama | Guinea/Frankreich 2001 | 78 Minuten

Regie: Gahité Fofana

Ein junger Mann reist von Paris nach Guinea, der Heimat seines verschollenen Vaters, um nach dessen Spuren zu suchen. Unmittelbar nach der Ankunft werden ihm Gepäck und Papiere gestohlen; in Verkennung der Lage begibt er sich in die Obhut eines ominösen Mannes, der mit den Ganoven unter einer Decke steckt. In dem Maße, wie er sich in die Konstellationen seines eigennützigen Gastgebers verwickelt, gerät seine ursprüngliche Absicht aus dem Blickfeld. Aus dem "befristeten Aufenthalt" wird ein schwebender Zustand mit ungewissem Ausgang. In einer Mischung aus Roadmovie und Studie über die Spätfolgen der Kolonialzeit entwickelt der spannende und aufschlussreiche Film eine eigene Sogwirkung und reflektiert unprätentiös universelle Grundfragen. (Sousson, Pular und Französisch m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
I.T. (IMMATRICULATION TEMPORAIRE)
Produktionsland
Guinea/Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
arte France/Léo & Cie/F.G.F.
Regie
Gahité Fofana
Buch
Gahité Fofana
Kamera
Peter Chapell
Musik
Sékou Kouyaté
Schnitt
Yannick Kergoat
Darsteller
Gahité Fofana (Mathias Lénault) · Fatoumata Kanté (Rama) · Yves Guichard Traoré (John Tra) · Ibrahima Sano (Sylla) · Mohamed Dinah Sampil
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
„Katzen wühlen in Mülltonnen, die Unvorsichtigen fallen hinein“, lautet ein Sprichwort aus der westafrikanischen Republik Guinea. Mathias, Sohn einer Französin und eines Afrikaners, scheint sich genau nach dieser Maxime zu verhalten. Aus dem fernen Paris reist er in die Heimat seines verschollenen Vaters, um nach dessen Spuren zu suchen. Unmittelbar nach seiner Ankunft sitzt er bereits dem Taschenspielertrick einiger Vagabunden auf und geht seines Gepäcks verlustig. Wenig später nimmt er die Hilfeleistung eines ominösen Mannes an, der sich John Tra nennt, und realisiert wiederum nicht, dass dieser mit den Ganoven unter einer Decke steckt, vermutlich sogar deren Anführer ist. Mathias begibt sich mit seinem Begleiter in die ruinöse Kleinstadt Fria, in der sich sein Vater aufhalten soll, lernt dort die Schwester John Tras kennen und baut zu ihr eine verkorkste Beziehung auf. Immer tiefer verstrickt er sich in die privaten und kriminellen Konstellationen seines wenig uneigennützigen Gastgebers. Als er tatsächlich den gesuchten Vater trifft, gelingt es ihm nicht, zu dem von Enttäuschungen und Drogen zerstörten Mann eine sinnvolle Kommunikation aufzubauen. Endlich entschließt er sich, aus dem Bannkreis auszubrechen und sich in der Hauptstadt Conakry um einen neuen Pass zu bemühen, der ihm eine Rückkehr nach Frankreich ermöglichen soll. Doch die Gesandtschaft erweist sich für einen anonymen Afrikaner, zu dem Mathias inzwischen geworden zu sein scheint, als faktisch unzugänglich. Die Odyssee des Reisenden ist noch lange nicht zu Ende. Der Filmtitel „Immatriculation Temporaire“ („Befristeter Aufenthalt“) beschreibt zunächst Mathias’ Absicht, in Guinea das offene Verhältnis zu seinem Vater zu klären und danach in seine europäische Heimat zurückzukehren. Durch die Eigendynamik des Geschehens kippt diese Absicht jedoch schnell um; die Aufmerksamkeit fokussiert sich auf die Verwicklungen vor Ort. Die Schauplätze und Begegnungen entwickeln eine eigentümliche Sogwirkung, rücken immer mehr das ursprüngliche Vorhaben in den Hintergrund. Als Mathias dann seinen Vater trifft, scheint ihm dies schon relativ gleichgültig geworden zu sein. Spätestens in diesem Moment wird die intelligente, dabei auf angenehme Weise beiläufige Konstruktion des Films deutlich: Anders als bei einem herkömmlichen Road Movie, bei dem eine konkrete Zielsetzung als Anlass für eine Reihe von diversen, den Helden mit Erkenntnismaterial versorgenden Abenteuern dient, löst sich hier der Anlass unversehens auf. Die Bewegungen des Helden schwenken in eine Kreisbewegung ein, aus dem geplanten Intermezzo in Afrika wird ein gleichnishafter Zustand jenseits von Raum und Zeit. Für diesen Film kann es deshalb auch nur ein offenes Ende geben. Fällt Mathias zu Beginn durch Kleidung und Habitus als Fremdkörper auf und wird von den Ortsansässigen sogar ironisch als „Weißer“ betitelt, so verwandelt er sich später in zunehmenden Maße seiner Umgebung an. Sein „befristeter Aufenthalt“ verschwimmt zu einem schwebenden Zustand. Im Grunde fehlt ihm selbst der wesentliche Antrieb, aus dem einengenden Zirkel auszubrechen. Wie eine der Modellfiguren Kafkas hat er sich der ungeheuren Trägheit der ihn umklammernden Situation ergeben. Der Filmtitel gewinnt somit eine hintergründige, existenzialistische Doppelbedeutung. Neben dieser philosophischen Ebene lebt der Film von der Konfrontation inkompatibel erscheinender Kulturkreise. Die Kleinstadt Fria zeigt sich ebenso wie die Metropole Conakry von Trümmern der französischen Kolonialmacht durchsetzt. Der Versuch, den afrikanischen Einflusssphären die Segnungen der europäischen Zivilisation überzustülpen, lebt in seinem Scheitern noch immer fort. Gahité Fofana (Jahrgang 1965) hat einen stark autobiografisch gefärbten Film gedreht. Durch seine Sozialisation sowie durch Literatur- und Filmstudium in Frankreich eher von europäischer Kultur geprägt, spielt er die Rolle des nach seinen afrikanischen Wurzeln suchenden Mannes bezeichnenderweise selbst. Die Folgerichtigkeit, mit der er die eigene Person zur Disposition stellt, spricht von hoher künstlerischer Integrität. „’I.T.’ ist ein Film mit Schauspielern, die den Figuren, die sie verkörpern, ähneln – vielleicht ist es auch umgekehrt. Er ist das Porträt einer Generation in Afrika, einer Jugend, die weiß, dass sie verloren ist, und die für das Heute lebt“, beschreibt der Filmemacher seine Intention. In der Genauigkeit seiner Beobachtung lässt er keinen Zweifel an seinen Sympathien. Ihm ist einer der spannendsten und aufschlussreichsten afrikanischen Filme der letzten Jahre gelungen.
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