Hundstage (2001)

Drama | Österreich 2001 | 122 Minuten

Regie: Ulrich Seidl

Ein heißes Wochenende im Wiener Süden: Vier Paare leiden unter der Hitze, aber auch unter den Gemeinheiten und Verletzungen, die sie sich zufügen. Als Bindeglied dient eine Anhalterin, die durch dreiste Fragen immer wieder zum Kern der Inhumanität vordringt. Spielfilm mit dokumentarischem Anstrich, der schonungslos die Hässlichkeit der Menschen, die Trostlosigkeit ihres Lebens sowie den alltäglichen Schrecken zeigt. Ein drastischer, in der Sprache derber Film, der zwar an die Grenzen des Zumutbaren geht, dabei aber stets Zuneigung oder wenigstens Verständnis für die Menschen, ihre Einsamkeit und ihr Scheitern erkennen lässt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
HUNDSTAGE
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Allegro Film
Regie
Ulrich Seidl
Buch
Ulrich Seidl · Veronika Franz
Kamera
Wolfgang Thaler
Schnitt
Andrea Wagner · Christof Schertenleib
Darsteller
Maria Hofstätter (die Anhalterin) · Alfred Mrva (der Mann für Sicherheit) · Erich Finsches (der alte Mann) · Gerti Lehner (die Haushälterin) · Franziska Weisz (das junge Mädchen)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 18.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Ein entscheidender Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen scheint darin zu liegen, dass die Menschen im Alpenland über sich selbst lachen können, wobei sie mitunter in Kauf nehmen, tief in die Abgründe der eigenen Gesellschaft zu blicken, während man in Deutschland den wahren Befindlichkeiten sorgfältig und manchmal auch kunstvoll aus dem Weg geht. Nicht selten stoßen österreichische Künstler bei der Suche nach dem Wesen ihres Landes an die Grenzen des allgemeingültigen Geschmacks und werden als Nestbeschmutzer verdammt, so wie jüngst Gerhard Haderer mit seinem Jesus-Comic. Auch Ulrich Seidl werden immer wieder Zuneigung wie Abneigung zuteil. Unter den Filmregisseuren seines Landes ist er sicherlich derjenige, der am weitesten geht mit seiner Offenlegung seelischer Niederungen und menschlicher Katastrophen, die letztlich auch gesellschaftliche sind. „Tierische Liebe“ (fd 32 066) behandelte mit erschreckender Offenheit den Mangel an Bindungen in allen sozialen Schichten, der dazu führt, dass Menschen ihre Haustiere unter erdrückenden Formen der Zuwendung leiden lassen. „Models“ (1998) porträtierte junge Frauen, die mehr oder weniger erfolgreich als Fotomodelle arbeiten und für diese Karriere bewusst oder unbewusst jede Art von Demütigung und Selbstzerstörung in Kauf nehmen. Man konnte kaum glauben, dass diese Filme Dokumentarfilme waren, alle Mitwirkenden also ihre wirklichen Niederlagen preisgaben. Genauso wenig mag man glauben, dass „Hundstage“ ein Spielfilm ist – reine Fiktion also. Seidl selbst trennt nicht zwischen diesen beiden Begriffen, ebenso wenig wie zwischen Profi- und Laiendarsteller, wobei er letzteren bescheinigt, dass sie oft weniger Scheu haben. Entscheidend ist für ihn die Wahrhaftigkeit des Dargestellten; und das ist zweifellos nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, schon deshalb nicht, weil die Fiktion bei ihm so rein nicht ist. Es ist ein besonders heißes Wochenende, an dem Seidl seinen Film irgendwo im Wiener Süden ansiedelt, zwischen „Autobahnzubringern, Einfamilienhaussiedlungen und Megamärkten“, wie er die Gegend beschreibt. Ein älterer, sehr dicker Herr im Unterhemd kontrolliert den Eingang seines Gartens per Videokamera und bewacht ihn mit seinem Hund. Wenn sich die Nachbarn streiten, ermahnt er sie zuerst und stellt später einen laufenden Rasenmäher an den Zaun. Am Geburtstag seiner Haushälterin, die Ehefrau ist längst verstorben, bittet er sie um einen „orientalischen“ Tanz. Ein anderes, ebenfalls fülliges Pärchen, nutzt den Tag für ein Sonnenbad zwischen Betonwänden. Ein Drittes redet kein Wort mehr miteinander, kann sich aber im geräumigen Neubau aus dem Weg gehen. Auch das Grab des einzigen Kindes besuchen sie getrennt. Ein viertes Paar ist noch sehr jung, was den Mann in seinem tiefergelegten Protz-Auto nicht daran hindert, seine Geliebte aufs Wüsteste zu beschimpfen. Dann ist da noch eine nicht mehr ganz junge Dame, die ihr erotischstes Outfit anzieht, bevor ihr Partner nach Hause kommt, aber der ist nicht allein. Zwischendurch taucht ein Vertreter für Alarmanlagen auf, der dringend den Kerl fassen muss, der dauernd die Autos der Gegend zerkratzt. Irgendwann nimmt er, wie einige andere, eine Anhalterin mit, die nicht ganz bei Sinnen zu sein scheint, deren dreiste Fragen aber im Grunde sehr treffend sind. Manche Figuren werden von renommierten Darstellern gespielt, andere sind Laien, die zum Teil genau den im Film dargestellten Berufen nachgehen. Der Unterschied ist praktisch nicht auszumachen, und daher sollte man vielleicht die Wahrheit, wer Profi ist und wer „echt“, verschweigen wie den Mörder in einem Krimi. Jedenfalls hat sich Seidl von den drei Jahren der Vorbereitung für seinen Film allein ein Jahr Zeit fürs Casting genommen. Das Drehbuch blieb auch während der Dreharbeiten eine grobe Vorgabe, die sich ständig aus den Mitwirkenden, den Schauplätzen und Ereignissen nährte. Man wähnte sich in einer weiteren Seidl-Doku, wären da nicht einige Kameraeinstellungen, die technisch nur in einer Inszenierung möglich (etwa im Auto) oder die zu sorgfältig komponiert sind, und wäre da nicht eine Dramaturgie, die die Verlorenen der Wiener Vorstadt mehr oder weniger zufällig zusammen führt. Seidl ist schonungslos bei seinen inszenierten Beobachtungen des Spießeralltags, was die Hässlichkeit der Umgebung und der Menschen angeht, die Trostlosigkeit des Lebensraums oder auch die Derbheit der Sprache – die untertitelt ist, weil man diesseits der Alpen Wiener Schmäh solchen Ausmaßes kaum versteht. Seidls Anliegen ist aber nicht allgemein sozialkritisch, sondern spezifisch menschlich. Er zeigt das Scheitern der Liebe, den Verlust von Achtung voreinander und vor sich selbst, das hemmungslose Ausleben niederer Instinkte, den Verlust von seelischem Halt. Die Diagnosen, die Seidl stellt, sind niederschmetternd, weshalb er mitunter bewusst an die Grenzen des Zumutbaren geht. Das ORF bestand darauf, vor der Ausstrahlung eine Szene heraus zu schneiden, in der der Freund der Lehrerin von seinem Kumpel gezwungen wird, mit einer brennenden Kerze im Hintern die Nationalhymne zu singen. Diese Szene sei nur als Beispiel für das Ausmaß des Schreckens genannt, den Seidl dem Zuschauer zumutet, ein Schrecken, der aber, wie manche Geschichten aus den Zeitungen vermuten lassen, vermutlich nicht übertrieben ist. Unter den Dächern der Mitbürger herrscht das nackte Grauen, davon ist Seidl überzeugt. Er zeigt es deutlich wie kein anderer, aber er klagt niemanden an oder stellt eine Figur aus. Im Gegenteil lässt er deutlich seine Zuneigung oder wenigstens sein Verständnis für sie spüren, zeigt ihre Einsamkeit, ihr Scheitern. Seidl zeigt einfach, was es gibt und geben kann, und das ist zweifellos der größte Schrecken.
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