Die Lady und der Herzog

- | Frankreich 2001 | 129 Minuten

Regie: Eric Rohmer

Die Verfilmung der Memoiren der englischen Aristokratin Grace Elliott, die als Mätresse des Herzogs von Orléans und Fürsprecherin des Königs in den Strudel der französischen Revolution geriet. Ein visuell atemberaubender Film, der seine Protagonisten dank Digitaltechnik in gemalte Kulissen des damaligen Paris einbettet, ansonsten aber auf filmwirksame Effekte verzichtet und aus subjektiver Sicht der englischen Lady die Chronik der Ereignisse schildert. Ein überzeugender, betont unparteiischer Geschichtsentwurf, der auf spielerische Weise die visuelle Wirklichkeit der Epoche aufscheinen lässt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
L' ANGLAISE ET LE DUC
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Compagnie Eric Rohmer/Pathé Image Prod.
Regie
Eric Rohmer
Buch
Eric Rohmer
Kamera
Diane Baratier
Schnitt
Mary Stephen
Darsteller
Lucy Russell (Grace Elliott) · Jean-Claude Dreyfus (Herzog Philippe d'Orléans) · François Marthouret (General Charles Dumouriez) · Léonard Cobiant (Champcenetz) · Caroline Morin (Nanon)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, sich in eine andere historische Epoche zurückversetzen lassen zu können? Ein Traum, von dem das Kino mit unzähligen Literaturverfilmungen und Historienfilmen von Anfang an zu profitieren wusste. Die Französische Revolution entwickelte sich – nicht zuletzt dank des (Bild-)Mythos Napoléon, begründet durch klassizistische Gemälde Jacques-Louis Davids und seiner Schüler Ingres und Gros – zum Modellfall des Monumentalfilms, an dem man die dramaturgischen Signaturen des historischen Ausstattungsfilms, seine Ikonografie und die etablierten Verfahren der Mythisierung studieren kann: Hagiografie, ein Effektkino der Superlative mit ins Kolossale gesteigerter Architektur, die Fotogenität des Massakers, Reinszenierung des Dekors im Verlangen nach vollständiger Wirklichkeitsillusion, realhistorische Gestalten als Projektionsfläche. Nicht zu vergessen, das überwältigende Bildformat des CinemaScope. Ein Genre, in dem die Grundlagen eines Zeitalters, die politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche zum Exempel für die Gegenwart avancieren und der Heroisierung der Akteure dienen. D.W. Griffiths „Zwei Waisen im Sturm“, Abel Gances „Napoléon“ und Jean Renoirs „La Marseillaise“ hat sich Eric Rohmer angeschaut, als er sich für sein jüngstes Projekt vorbereitete: die Adaption der Memoiren von Grace Elliott, in denen die englische Aristokratin ihre intime Beziehung zum Herzog von Orléans schildert, einem Cousin von König Ludwig XVI., der selbst ein Verfechter revolutionärer Ideen war. Stand Renoir über den Parteien, erschien sein „La Marseillaise“ wie eine Wochenschaumontage über die Französische Revolution, so ist Romers Chronik einiger Geschehnisse, die zum Sturz der Monarchie beigetragen haben, ebenso unparteisch, auch wenn er sich die subjektive Perspektive seiner Heldin zu Eigen macht – für die französische Presse ein Sakrileg und Rückfall ins Reaktionäre, war Grace Elliott nun mal eine Royalistin (vgl. fd 5/02, S. 44). Als Tochter einer schottischen Adelsfamilie um 1760 geboren, heiratete sie nach ihrem Studium in Frankreich Sir John Elliott, ließ sich bald wieder scheiden und war die Mätresse des Prinzen von Wales, des zukünftigen Georges IV., dem sie eine Tochter gebar. Prinz Philippe, Herzog von Orléans, wurde auf sie aufmerksam und nahm sie 1786 mit nach Paris. Als die Revolution beginnt, geht ihre Liaison zu Ende; sie bleiben aber trotz politischer Differenzen Freunde. Der Dame gelingt es, den Herzog davon zu überzeugen, einen geächteten Königsgetreuen, seinen Intimfeind Champcenetz, zu retten, obwohl sie ihn selbst nicht gerade zu ihren Freunden zählt. Sie kann Philippe aber nicht davon abhalten, für die Hinrichtung des Königs zu stimmen, woran ihre Beziehung zu zerbrechen droht. Als General Dumourier und sein Adjutant Herzog Chatres, Sohn des Herzogs von Orléans, zum Feind überlaufen, ist dessen Schicksal besiegelt. Schließlich gerät sie selbst trotz Protektion in die Fänge der Revolutionäre, kommt aber – Ironie der Geschichte – auf Befehl von Robespierre wieder frei, während der Herzog verhaftet, verurteilt und guillotiniert wird. Jenseits von Helden- und Heiligenlegenden jener oder anderer Couleur betreibt Rohmer (wie zuvor Jean Renoir, allerdings im Geiste der Volksfront) eine andere Geschichtsschreibung, bei der man trotz Kostümen und historisch verbürgter Episoden, die nur fragmentiert am Rande ins Bild kommen, glaubt, Zeuge eines gerade sich abspielen den Geschehens zu sein. Dieser Eindruck entsteht, da der Film eher nach theatralischen und malerischen Gesichtspunkten konzipiert ist, als dass er einer herkömmlichen Dramaturgie gehorchen würde, also statt der Dramatik des äußeren Handlungsverlaufs statische Einstellungen außen und innen, lange Konversationen und Tafelbilder bevorzugt. Die Story beruht auf der Polarisierung zwischen der friedlichen Wohnung, die Grace als Versteck dient, und dem Rest der Stadt voller revolutionärer Turbulenzen. Dabei wird Rohmer seinem Ruf eines nicht besserwisserischen Sittenschilderers und asketischen Regisseurs abermals gerecht, indem er konsequent Spektakuläres und Melodramatisches meidet, sich auf die Figuren und ihre eloquenten Dialoge konzentriert, blutige Gemetzel durch keine Großaufnahmen dramatisiert, sondern den Terror in nüchternen Arrangements zeigt und die Musik auspart. Wie in seinen früheren Literaturadaptionen „Die Marquise von O.“ (fd 19 831) und „Perceval le Gallois“ (fd 22 952) hält er sich genau an die Akzente seiner Vorlage, fünf wichtige Daten der Revolution, die den Zeitrahmen der Handlung abstecken: Jahrestag der Erstürmung von Bastille 1790, der Sturz Ludwigs XVI. am 10. August 1792, die September-Massaker desselben Jahres, Exekution des Königs am 21. Januar 1793, Verrat von General Dumouriez am 1. April 1793. Inserts, die den Memoiren-Text zitieren, helfen, die Erzählung zu rhythmisieren und zu gliedern, mit dem distanzierten Erzählduktus korrespondiert die wohlkalkulierte Verwendung filmischer Mittel. Rohmers Film huldigt einer feinen Stilisierung zwischen dem Sensualistischen und der Abstraktion, versucht, die Ereignisse der Revolution als lebendiges Ganzes von Haupt- und Nebensachen sichtbar werden zu lassen. Die Sicht der Dinge ist die seiner Heldin, die den König verteidigt, fern jedem Fanatismus auch republikanische Freunde hat, vor ihrer jakobinischen Köchin zittert; sich in ihrer unkorrumpierbaren Treue zu sich selbst in die Galerie der für Rohmer typischen Frauenfiguren einreiht. Revolution durch Augen jener gesehen, die sie miterlebt haben. Die wahre Attraktion des Films ist seine Bildsprache, die das alte Paris in Gemälden zum Leben erweckt, an die Plätze und Landschaften Claude Lorrains, Interieurs und Stillleben Jean-Babtiste Chardins denken lässt, in die Welt von Boucher, Fragonard, Watteau einzutauchen erlaubt. Ein faszinierender Effekt, der sich modernster Digitaltechnik verdankt: Rohmer hat bei Außenaufnahmen werkgetreu Bühnenbilder nach der damaligen Topografie der Stadt anfertigen lassen und die Darsteller in die gemalte Kulisse intergriert, die digitalen Videobilder dann auf 35mm kopiert. Auch die Innenaufnahmen entstanden in Anlehnung an die damalige Ästhetik, inspiriert von zeitgenössischer Malerei und Gravierungen. Tableaus vivantes, die sich zu bewegen beginnen, sich wie mentale Dokumente jener Zeit ausnehmen, durch einen klar erkennbaren Kunstgriff auf spielerische Weise die visuelle Wirklichkeit der Epoche evozieren.
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