Wolken - Briefe an meinen Sohn

Filmessay | Belgien/Deutschland 2001 | 75 Minuten

Regie: Marion Hänsel

Die Filmemacherin Marion Hänsel reflektiert in Briefen an ihren Sohn Stationen ihres Lebens, das durch ihre Rolle als Mutter mit Freuden und Glücksmomenten, aber auch zuvor ungekannten (Verlust-)Ängsten bereichert wurde. Die sensible Beschreibung eines Ablösungsprozesses bebildert sie mit Bildern von Wolken in allen Variationen, quasi als Reflex auf "klimatische" menschliche Seelenzustände. Eine Meditation als poetische Standortsuche und Anregung zur Reflexion und Sinnsuche. Gerade die schlichte Schönheit der Bilder und Texte fördert die Glaubwürdigkeit der Gedanken und erleichtert es dem Betrachter, einen eigenen assoziativen Zugang zum Sujet zu finden. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
NUAGES - LETTRES A MON FILS
Produktionsland
Belgien/Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Man's Films Prod./Pegasos Film
Regie
Marion Hänsel
Buch
Marion Hänsel
Kamera
Didier Frateur · Pio Corradi · Bernard Lutic · Jan Vancaillie · Pierre Gardower
Musik
Michael Galasso
Schnitt
Michèle Hubinon
Darsteller
Barbara Auer (Sprecherin)
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Filmessay
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Mit ihrer Schwangerschaft begann für Marion Hänsel (geb. 1949) ein neues Leben im doppelten Sinne: Auch sich selbst lernte sie mit neuen Augen kennen, erlebte bislang ungeahnte Freuden und Glücksmomente, aber auch zuvor ungekannte (Verlust-)Ängste. Dabei war zu Beginn „alles einfach“, wie sie sich rückblickend in einem jener Briefe erinnert, die sie ihrem heranwachsenden und schließlich erwachsenen Sohn schickte. Ausschnitte aus diesen Briefen, vorgetragen von Barbara Auer (in den anderen europäischen Filmfassungen von Catherine Deneuve, Charlotte Rampling, Carmen Maura und Antje de Boeck), strukturieren ihre Erinnerungen, spiegeln die Höhen und Tiefen ihrer Empfindungen und fördern im Laufe vieler Jahre die Einsicht, dass ein unausweichlicher Ablösungsprozess bevorsteht: „Es wird Zeit zu lernen, ohne Dich zu leben“, heißt es am Ende, „die Einsamkeit anzunehmen, Dich ziehen zu lassen. Ich liebe Dich.“ Es ist dies eine ausgesprochen intime private Zwiesprache, bei der man sich als Zuschauer resp. Zuhörer beinahe schon scheut, in diese Sphäre einzutreten. Marion Hänsel lädt indes auf ebenso sensible wie offene Weise dazu ein, an ihrem Diskurs teilzunehmen, den sie als grundsätzliches Forschen nach Lebenssinn und -qualität versteht. Philosophisch deckt sich diese Haltung mit der ihres Spielfilms „Die Verschwörung der Kinder“ (fd 30 077), in dem sie ebenfalls zu vermitteln versuchte, dass Liebe, Fürsorge und Verantwortungsbereitschaft nicht nur den Einzelnen, sondern auch die gesamt Welt verändern können; konzeptionell indes verdichtet sie diese Reflexion in ihren filmischen Brief an den Sohn weit rigoroser, stilisierter und abstrakter: nämlich als meditative Himmelsbetrachtung, in der das konkrete Abbild des Menschen konsequent ausgespart wird. Menschliche Regungen werden ganz „nach innen“ verlegt, während „außen“, auf der sichtbaren filmischen Ebene, unentwegt Wolken ziehen: hohe, mittelhohe, tiefe, vertikale Wolken, Cirrus, Stratus, Cumulus und alle Spielarten dazwischen. So, wie wissenschaftlich erwiesen ist, dass Wolken das Klimasystem der Erde beeinflussen, so spiegeln sich die Gedanken und Gefühle der Regisseurin mehr oder weniger nachvollziehbar in ihren Wolkenbildern. Und wenn Wolken als Thermostat der Erde zu betrachten sind, dann sind sie für Marion Hänsel offensichtlich auch der Reflex auf „klimatische“ menschliche Seelenzustände: Regulatoren für Wärme und Kälte, Spiegelbilder aufgewühlter Emotionen, donnernd, vom Wind durchwühlt, im wilden Aufruhr, im nächsten Moment wieder träge und statisch, traumhafte Abbilder für im wahrsten Sinne himmlische Ausgeglichenheit und Ruhe, von der Sonne beschienene Wattegebilde von unvergleichbarer Schönheit. Marion Hänsel nähert sich ihrer Sicht der Dinge aus der Ferne: Zunächst umkreist eine Satellitenkamera die Erde, registriert ihre Wolkenbänder aus weitester Entfernung. Schritt für Schritt tauchen die Kameras danach ein in alle Spielarten der Wolken, wozu auch Nebelschwaden in frühmorgendlichen Tälern, die Gischt tosender Wasserfälle und schließlich auch die von Menschenhand verursachte, industrielle Variante gehört: Rauchwolken quellen aus Schornsteinen, ähnlich wie Geysire ihre Dämpfe herausschleudern, was freilich in der Konnotation extrem gegensätzlich besetzt ist, quasi als antagonistisches Sinnbild für Schuld und Unschuld. Von Belgien bis Island, Madagaskar bis zur Schweiz, vom Senegal bis Schottland reiste Marion Hänsel für „ihre“ Wolken, die sie lediglich durch einige Stillleben menschlicher Behaustheit unterbricht, die die Folie für die Briefe bilden. Dies alles mag man lediglich als cineastisches Sedativum empfinden, als unverbindliche Variante des beruhigenden Blickes in ein Aquarium oder ein elektrisches Kaminfeuer; man kann sich aber auch öffnen für die betörende Schönheit der visuellen Momente und den Bilderfluss als kontemplatives Innehalten interpretieren, als poetische Standortsuche, als Versenkung im Spirituellen, Anregung zur Meditation, Reflexion und Sinnsuche. Marion Hänsels „Wolken“ kommen nie übertrieben artifiziell, intellektuell „verblasen“ oder philosophisch aufgebläht daher; gerade diese schlichte Schönheit fördert die Glaubwürdigkeit ihrer Gedanken und erleichtert es dem Betrachter, einen jeweils ganz eigenen assoziativen Zugang zum Sujet zu finden.
Kommentar verfassen

Kommentieren