- | Deutschland 2001 | 89 Minuten

Regie: Christian Petzold

In einem Stuttgarter Schwimmbad lernt ein Anwalt eine junge Frau kennen, die so schnell wieder aus seinem Leben verschwindet, wie sie erschienen ist. Als er sie später im Umfeld eines seiner Klienten wiedertrifft, schwant ihm Übles. Raffiniert konstruierter und erzählter Krimi, der sich durch seine kunstsinnige Form und eine meisterhafte Inszenierung zu einer Studie über Einsamkeit und innere Leere verdichtet. Durch die unaufdringliche Transformation des konventionellen Themas verwandeln sich gesellschaftliche Reizthemen in ebenso irritierende wie wichtige Erfahrungsfelder. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
teamworx/ZDF/arte
Regie
Christian Petzold
Buch
Christian Petzold
Kamera
Hans Fromm
Musik
Stefan Will
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Nina Hoss (Leyla) · André Hennicke (Thomas Richter) · Sven Pippig (Blum) · Heinrich Schmieder (Richard Richter) · Kathrin Angerer (Sophie)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Idealerweise müsste man vor der Sichtung nichts über Petzolds neuen Film wissen oder lesen, weil sich dann dessen raffinierte Erzählstrategie am besten entfalten kann. Petzold vertraut ganz auf die Kraft konzentrierter Bilder, was seine Arbeiten fast karg, manchmal sogar asketisch wirken lässt. Gesprochen wird nur das Nötigste, dann aber schnörkellos und direkt; statt eines illustrativen Soundtracks setzt Petzold auf sorgfältig montierte O-Töne, die den Szenen Resonanz und Volumen geben. Wenn „Toter Mann“ mit einer Halbtotale in einem Stuttgarter Schwimmbad eröffnet, befindet man sich sofort mitten drin und bleibt im selben Augenblick doch auch draußen, weil Kamera und Regie keine Zugeständnisse machen. Aus mittlerer Distanz beobachtet man eine Frau in einem blauen Badeanzug, die aus dem Wasser steigt und im Begriff ist, das Bad zu verlassen. Ein Mann läuft ihr nach, weil sie ein Buch verloren hat. Später begegnen sie sich an der Bushaltestelle; der Mann scheint an der Frau interessiert zu sein. Tage später spricht er sie an; zum ersten Rendezvous kommt sie viel zu spät und schläft dann auf seiner Couch ein. Am nächsten Morgen ist sie verschwunden. Bis dahin ist man einer leicht unterkühlten, aber doch ernsthaften Annäherung gefolgt und hat dabei vor allem den Mann besser kennengelernt: Thomas Richter, einen Anwalt, der zwar in einem schicken Penthouse hoch über Stuttgart wohnt, sich für einen Yuppie aber eine Spur zu intensiv um seine Klienten sorgt. Sein Bruder, mit er zusammen die Kanzlei betreibt, scheint das pure Gegenteil von ihm: leicht füllig, eine Spur zu aufgedreht, ständig in aufreibende Aktionen verstrickt. Über die Frau erfährt man wenig; außer ihrem Namen, Leyla, prägen sich vor allem ihre Augen und ein offensichtliches Faible für die Farbe Blau ein. Sie bleibt verschwunden. Außer einem Foto, das die Schlafende mit offenen Augen zeigt, verlieren sich ihre Spuren, obwohl Thomas hartnäckig und zunehmend verzweifelter nach ihr sucht. Es bedarf einer wachen Aufmerksamkeit, um außer Leylas etwas seltsamer Verhaltensweise ein Detail nicht zu übersehen, das Petzold wie viele anderen Aspekte zwar genau, aber beiläufig in Szene setzt. In einem Zugabteil fixiert die Kamera die apathische Leyla, der Tränen über die Wangen laufen, während sie in ein Laptop starrt, das Thomas nach ihrem Besuch nicht mehr finden kann. Tage später begegnet man ihr an einem anderen Ort, weit weg von Stuttgart. In einer blauen Kittelschürze arbeitet sie in einer Kantine, gibt Essen aus, schrubbt metallerne Wannen. Einer der Arbeiter hat es ihr offensichtlich angetan: Blum, ein dicker, trauriger Koloss, der das Alleinsein liebt und gerne am Wasser den Schiffen nachstarrt. Wieder beginnt ein verhaltenes Spiel von verstohlenen Blicken, zufälligen Begegnungen und einer schüchternen Annäherung, ohne dass man so recht versteht, was beide Episoden mit einander zu tun haben. Auffällig ist weniger ein Muster als eine dezente Farbdramaturgie, die eine Klammer bildet und durch ihre fein nuancierten Blautöne ein Atmosphäre von leiser Melancholie verbreitet. Bis Leyla für einen Augenblick die Fäden aus den Händen zu gleiten drohen, als Thomas auftaucht, der einen Klienten besucht: Blum. Wiederum bedarf es der wachen Erinnerungsgabe, um sich an einen Satz vom Anfang zu erinnern, in dem über Blum und seine Geschichte die Rede war: von den Jahren im Gefängnis und dem Versuch, ihn nun wieder in ein normales Leben zu integrieren. „Toter Mann“ ist ein Krimi, der mit den gängigen Vertretern seines Genres nichts gemein hat. Statt Figuren begegnet man Charakteren, die sich nur langsam erschließen, statt wohlkalkulierter Plot points wird man mit scheinbar alltäglichen Details konfrontiert, die allein durch die Art, wie sie gefilmt sind, in Bann schlagen. Selbst dann, wenn die verborgene Dramaturgie ahnbar wird, erschöpft sich das Geschehen nicht im Getriebe der Handung, sondern verdichtet die sorgsam gelegten Fäden zu einer irritierenden Studie über Einsamkeit und innere Leere, die eingefahrene Vorstellungen von Täter und Opfer ins Schlingern bringt. Was an dieser Art filmischen Erzählens fasziniert, ist die spielerische Transformation eines konventionellen Stoffs in eine brisante Konfrontation mit aktuellen Reizthemen, die statt boulevard-tauglicher Thesen ein wichtiges Erfahrungsfeld eröffnet. Begriffe wie Vergewaltigung, Sexualmord, Strafe, Schuld, Vergeltung, Rache oder was man mit der komplexen Materie noch an Assoziationen verbindet, verlieren in Petzolds „film blue“ zwar nicht ihre Kontur, wohl aber ihre monströse Schärfe, die sich vornehmlich gegen andere richtet. Wie fein die Inszenierung mit ihren einzelnen Strängen dabei balanciert, erkennt man am deutlichsten an den drei Hauptfiguren, die bis zum Ende nahezu gleichberechtigt bleiben, obwohl sich ihre Wege nur oberflächlich kreuzen. Der Titel wie die eigenwillige und doch dezente Blautönung des Films artikulieren dabei eine fast metaphysische Trauer, die Petzold mit Rekurs auf Georges Simenon als Antwort darauf bezeichnet hat, „dass die Menschen so schlecht ausgestattet seien für das Leben“. Gut, dass solche Reflexionen in gängigen Sujets noch einen Platz finden.
Kommentar verfassen

Kommentieren