Meine Schwester Maria

- | Deutschland/Österreich/Schweiz 2002 | 90 Minuten

Regie: Maximilian Schell

Dokumentarfilm über den ehemaligen Filmstar Maria Schell. Er zeigt die zur Zeit der Dreharbeiten 76-Jährige, wie sie einsam und nur von Fernsehern umgeben, auf einem Berghof in Kärnten ihr Dasein fristet. Das eigenwillige Porträt, realisiert von ihrem Bruder Maximilian Schell, greift auf alte Filmausschnitte und Interviews zurück, stützt sich bei der Schilderung der Gegenwart aber auf inszenierte Elemente. Eine in Anlehnung an das "Marlene"-Porträt desselben Regisseurs entstandene, ebenso kunst- wie würdevolle Annäherung an einen von großen Erfolgen und herben Schicksalsschlägen geprägten Menschen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MEINE SCHWESTER MARIA
Produktionsland
Deutschland/Österreich/Schweiz
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
MFG Film/Epo Film/Dschoint Ventschr
Regie
Maximilian Schell
Buch
Maximilian Schell · Gero von Boehm
Kamera
Piotr Jaxa
Musik
Tibu Stricker
Schnitt
Charlotte Müllner
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Maximilian Schell lässt sich in einer Arztpraxis die Ultraschallaufnahme eines Kopfes erklären. Es ist der seiner Schwester Maria. Nachdrücklich bittet er den Neurologen, ihr zu helfen. Es ist eine verstörende und zugleich schonungslos offene Szene, mit der der Film beginnt und die den Ton des Folgenden vorgibt. Schell hat ein Porträt seiner Schwester Maria gedreht, das so tiefe Einblicke in deren Wesen und Leben gibt, wie sie wohl nur einem Familienmitglied gewährt werden. Er besuchte sie auf dem Anwesen der Familie in Kärnten, einem abgelegenen Berghof, auf den sie sich zurückgezogen hat. Maria Schell, nach Marlene Dietrich die international erfolgreichste deutschsprachige Schauspielerin, verlässt kaum noch das Haus, selten auch das Bett. Dieses ist umgeben von Fernsehern, auf denen ständig das aktuelle Programm wie auch Videos von ihren alten Filmen flimmern. Besonders letzteres tue ihr nicht gut, ermahnt der Bruder. Doch, erwidert die 76-ährige Maria Schell, schließlich könne sie sich sofort in jede Szene zurückversetzen und damit in die Zeiten, in denen sie glücklich gewesen sei. Maximillian Schell, der sich nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Regisseur einen Namen gemacht hat, inszeniert das dokumentarische Porträt seiner Schwester als sehr eigenwillige Mixtur aus Inszenierung, Interview, Filmausschnitten und Reflexionen: eine Collage auf der Grundlage von Assoziationen und Erinnerungen. Schon für seinen preisgekrönten Dokumentarfilm „Marlene“ (fd 24 429) über die andere deutsche Diva hatte Schell diese besondere, ihrem Thema vollkommen adäquate Form entworfen. Aufgrund seines Versprechens, keine Bildaufnahmen von ihr zu machen, ließ Marlene Dietrich, die „Totfotografierte“, ihn damals in ihr Pariser Appartment, das als letztes Refugium diente. Dennoch gelang Schell eine persönliche und erschütternde Annäherung an ein glamouröses Leben, das in der – selbstgewählten – Isolation endete. Auch der Film über seine Schwester, deren Schicksal dem der Dietrich in manchem ähnelt, zeigt anfangs nur das häusliche Umfeld und die Hände, spart zunächst das Gesicht aus. Anders als bei der Dietrich hat Schell hier aber die Gegenwart inszeniert. Die Menschen aus der Umgebung seiner Protagonistin, selbst aus dem Dorf, versammelte er eigens vor der Kamera und schrieb ihnen Dialoge. Marias Haushälterin, ihr Enkel, auch Maximilian und sogar Maria Schell spielen in gewisser Weise sich selbst. Angesichts des körperlichen und geistigen Zustandes der Schell, die sich nur mit Mühe zum Gehen erhebt und zwar der Kommunikation fähig ist, aber in einer ganz eigenen Welt lebt, erscheint diese Art der Annäherung als angemessen und würdevoll. Indem sich das Porträt über das reine Abfilmen erhebt, das immer auch etwas Distanziertes, ja Sezierendes haben kann, und Maria Schell samt ihrer Umgebung die Chance eröffnet, das eigene Dasein filmisch zu verdichten, kann die Schauspielerin noch einmal die Rolle ihres Lebens spielen. Damals, in den Tagen des Ruhms, war sie als „das Seelchen“ bekannt. Strohblond und sehr hübsch, spielte sie seit Ende der 40er-Jahre das aufrichtige, verletzliche und daher oft verletzte zarte Wesen, dessen Drama sich meistens in tränennassen Augen artikulierte, dem sie aber oft ein engelhaftes Lächeln entgegensetzte. Schell zitiert solche Filmausschnitte, wenn seine Schwester über ihre Niederlagen spricht, ihre schwierige Beziehung zu ihrem Sohn, über Geldprobleme in jüngster Zeit, die sie allerdings kaum berühren, oder über ihre Liebe zum Filmpartner Gary Cooper. Er zeigt aber auch, meist in Verbindung mit Szenen, in denen er ihr Mut zum Weiterleben macht, die andere Seite der Schell: eine temperamentvolle Schauspielerin in Tanz- und Verführungsszenen, die auch dort ihr Innerstes nach außen zu kehren schien. Genau das liebten die Regisseure in Hollywood, Italien, England, Frankreich und Deutschland an ihr, unter ihnen Anthony Mann, Visconti, Clément, Käutner. Dieselbe Verletzlichkeit kennzeichnete auch ihr Privatleben und mündete schließlich vor wenigen Jahren in einem Selbstmordversuch. Mal spielte sich dieses Leben vor den Augen der Öffentlichkeit in der Boulevardpresse ab, dann wieder in völliger Vergessenheit. All das, ihre ganze Weltkarriere mit derart vielen Filmen (über siebzig) und Trophäen (Bambis, Coppa Volpi, „Oscar“-Nominierungen), scheint so lange her zu sein und so weit weg vom Kärntner Hof, als sie es nie wahr gewesen. Womöglich dienen die alten Videos deshalb auch zur Selbstvergewisserung. Heute hat Maria Schell eine Formel und zugleich ein bitteres Resümée für ihr Schicksal gefunden. Ihr ganzes Leben lang habe sie so vielen Menschen Freude und Liebe gegeben; jetzt sei es an der Zeit, dass sie etwas davon zurückbekomme, dass sich einmal die Menschen auch einmal um sie kümmerten.
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