Zwischen Himmel und Hölle (1963)

Krimi | Japan 1963 | 143 Minuten

Regie: Akira Kurosawa

Ein Schuhfabrikant in Yokohama muß sich zu einer Entscheidung durchringen, als statt seines kleinen Sohnes dessen Spielkamerad entführt und er vom Kidnapper unter moralischen Druck gesetzt wird. Zwar zahlt er das verlangte Lösegeld, und die Polizei kann in akribischer Kleinarbeit den Täter stellen, doch seine wirtschaftliche Existenz ist zerstört. Eine äußerst komplexe, virtuos mit verschiedenen Stilmitteln jonglierende humanistische Parabel über Verantwortung, Moral und Korrumpierbarkeit in einer aus den Fugen geratenen modernen Welt, die eine neue Standortbestimmung jenseits allzu leichter Ordnungs- und Bewertungskriterien verlangt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TENGOKU TO JIGOKU
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1963
Produktionsfirma
Kurosawa Films Prod. (für Toho)
Regie
Akira Kurosawa
Buch
Ryuzo Kikushima · Hideo Oguni · Akira Kurosawa
Kamera
Asakazu Nakai
Musik
Masaru Satô
Schnitt
Akira Kurosawa
Darsteller
Toshirô Mifune (Kingo Gondo) · Kyôko Kagawa (Reiko, seine Frau) · Tatsuya Nakadai (Inspektor Tokura) · Tsutomu Yamazaki (Ginji Takeuchi, der Entführer) · Yutaka Sada (Aoki, der Chauffeur)
Länge
143 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Krimi | Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Dass sich Akira Kurosawa auch außerjapanischer Literaturvorlagen bedient, ist vor allem durch seine Adaption von Dostojewskis ,Der Idiot“ (1951) bekannt. „Zwischen Himmel und Hölle“ basiert auf einem amerikanischen (Trivial-)Roman: ,,Kings Lösegeld“ (,,King's Ransom“, 1959) des damals 33jährigen Evan Hunter (Pseudonym: Ed McBain) ist ein Krimi aus der bis heute erfolgreichen Serie um das „87. Polizeirevier“, angesiedelt in einer fiktiven amerikanischen Großstadt, die leicht als New York erkennbar ist. Die akribische Schilderung der Polizeiarbeit eines Morddezernat steht in jedem Roman der Serie im Mittelpunkt; sie basiert auf authentischen Ermittlungsmethoden und verdichtet sich zumeist zu einem Hohen Lied auf Gerechtigkeitssinn und Teamgeist der eifrigen Polizisten, die gleichsam die urbanen Flurschäden bereinigen. Die Welt ist in den meisten (vor allem den frühen) Geschichten um das „87. Polizeirevier“ klar geteilt in Gut und Böse, gerät nur vorübergehend aus den Fugen, bevor am Ende Recht und Ordnung siegen und allenfalls zaghafte Zweifel bleiben. Bei Kurosawa ist von der Handlungsstruktur des Romans und der akribischen Darstellung der mühevollen Recherche-Arbeit der Polizisten überraschend viel geblieben - und doch ist alles anders und gedanklich weitaus konsequenter. So ist das, was sich „zwischen Himmel und Hölle“ an Abgründen auftut, differenzierter und düsterer als die Krimi-Folie vermuten lässt: eine humanistische Parabel über Verantwortung, Moral und Respekt, vor allem aber über deren Verschwinden in einer Welt, die aus den Fugen gerät. Weltliche Ordnung und Gerechtigkeit entpuppen sich als Worthülsen, die weder den Menschen noch der Sache gerecht werden. Kurosawa verlegte den Schauplatz nach Yokohama. Dort steht auf einem Hügel oberhalb der Stadt die Villa des reichen Schuhfabrikanten Gondo - Handlungsort des ersten Filmteils. Eine Art Vorspiel auf dieser Bühne führt Gondos Schwierigkeiten mit den übrigen Direktoren der Schuhfirma „National“ vor Augen: sie wollen den Besitzer entmachten, weil er zu sehr auf Qualität setzt und damit keine effektive Gewinnmaximierung erzielt. Dazu benötigen sie die Zustimmung Gondos, dessen Firmenanteile das Zünglein an der Waage sind. Doch auch Gondo ist ein Vertreter der „alten ehrlichen Schule“, der für gutes Geld gute Ware liefern will. Dass er, um nicht selbst gestürzt zu werden, vorgesorgt hat, erfahren seine Frau Reiko und sein junger Assistent und Vertrauter: Gondo hat alles auf eine Karte gesetzt und sein Haus beliehen, um mit einer enormen Geldsumme die Mehrheit der Firmenanteile zu erwerben. Diese Transaktion ist in letzter Sekunde erfolgreich, der Assistent soll den Scheck überbringen - doch da klingelt das Telefon: eine Stimme teilt die Entführung von Gondos kleinem Sohn mit. Alles droht zusammenzubrechen, doch dann stellt sich heraus, dass sich der Entführer geirrt hat. Nicht Gondos Kind, sondern dessen Spielgefährte, der Sohn des Chauffeurs, wurde gekidnappt. Doch für den Entführer ändert dies nichts: Gondo bleibt in der moralischen Verpflichtung, alles zu tun, um den Tod des Kindes zu verhindern. Solche Verantwortung weist er zwar zunächst heftig zurück und ruft die Polizei, was er bei seinem eigenen Kind wohl nicht getan hätte. Aber während die Polizisten durchs Haus huschen und Telefongespräche abhören, muss sich Gondo seiner Verantwortung stellen. Er entschließt sich, das Lösegeld zu zahlen - und nimmt damit seinen wirtschaftlichen Ruin hin. Ein Zwischenspiel: Unter den Augen der Polizisten reist Gondo auf Geheiß des Entführers in einem Schnellzug und wirft an vorgegebener Stelle zwei Geldtaschen aus dem Fenster - er weiß, dass es sein Leben ist, das er fortwirft. Der zweite Teil des Films: Er drängt Gondo als aktiv handelnde Person an den Rand der Ereignisse - ab jetzt ist sein Dasein fremdbestimmt. Nach der Freilassung des Kindes beginnen die Polizisten intensiv mit ihren Recherchen und setzen Indiz um Indiz zusammen. Das Gesicht des Entführers, der in einem Armenviertel unterhalb von Gondos Villa lebt, ist dem Zuschauer bald bekannt, doch auch die Polizisten kommen seiner Identität immer näher, kreisen ihn ein und überführen ihn schließlich. Fast das gesamte Geld wird sichergestellt und Gondo überreicht - er bedankt sich ohne Überschwang, denn er weiß, dass die Veränderungen in seinem Leben nicht rückgängig zu machen sind. Dass die schmerzlichen Erfahrungen vielleicht sogar so etwas wie „heilsam“, zumindest erkenntnisgewinnend waren, deutet indirekt der Epilog an: Gondo begegnet im Gefängnis dem Entführer, der wegen eines Mordes zum Tode verurteilt wurde. Ein kurzer Moment des Gesprächs, das die tragischen Irrtümer schmerzhaft vor Augen führt: Warum mussten sich die beiden Männer hassen, weshalb stehen sie auf verschiedenen Seiten, sind sie sich nicht sogar viel näher als sie denken? „Zwischen Himmel und Hölle“ - programmatisch verdeutlicht der Titel das Abwiegen von - thematischen wie formalen - Gegensätzen. Inszenatorisch verdeutlicht sich dies im Aufeinanderprallen disparater Stilelemente: das extrem karge Kammerspiel des ersten Teils, das seine Dramatik vor allem aus den Zuordnungen und Bewegungen der Personen innerhalb des Raumes bezieht, prallt auf die brillante Rasanz des kurzen Mittelteils, der wiederum in die inszenatorisch einfallsreich aufgelösten Aktionen des zweiten Hauptteils mündet. Fast meint man zwei Filme in einem zu sehen, doch deren Verschiedenartigkeit ist ebenso nur scheinbar wie der Wechsel von Nähe und Distanz zu den handelnden Personen: der erste Filmteil kann nicht ohne den zweiten existieren und umgekehrt. Was sich freilich permanent ändert, ist der Blickwinkel, die Perspektive, und damit verliert sich allmählich die Eindeutigkeit des Gezeigten. Zunehmend wird klarer, dass die Gegensätze nur existieren, damit sie der Welt eine Struktur geben. Gegensätze aber sind nur eine Illusion: das, was zwischen „oben“ und „unten“, zwischen „gut“ und „böse“, „arm“ und „reich“ existiert, das ist die eigentliche Wahrheit. Kurosawas Figuren haben archetypischen Charakter, stehen für Haltungen, Instanzen und Ansichten, offenbaren aber zugleich auch deren Brüchigkeiten und Auflösungserscheinungen: die Fabrikdirektoren sind keine verantwortungsvollen sozialen Vorbilder, vielmehr korrupt und die eigentlichen Verbrecher (die nicht dem einzelnen, sondern „der Gesellschaft“ schaden). Gondos engster Vertrauter erweist sich als „undankbar“, aber als logisch und durchaus vernünftig handelnder Geschäftsmann und Repräsentant einer neuen, modernen Welt; Gondos ergebener Chauffeur, der noch wie dessen Leibeigener lebt und eine archetypische Welt vertritt, die sich überlebt hat, empfindet wenig Sympathien für Gondo und ist zugleich nicht in der Lage, dessen Großzügigkeit gedanklich wie ethisch zu verkraften. Die Polizisten wiederum erscheinen als eingeschworene Gemeinde: als Samurais, die wie die „Sieben Samurai“ in Kurosawas gleichnamigem berühmtem Film aus aufrichtiger Solidarität mit Gondo handeln und sich weniger aus Profession denn aus Passion der fremden Sache annehmen. Für sie ist Gondo ein bedauernswertes Opfer, eine tragische Gestalt, die nicht nur ihre, sondern die Sympathie der gesamten Öffentlichkeit verdient. Später verbünden sie sich gar mit den Journalisten als den expliziten Vermittlern von (scheinbaren) Tatsachen: da geht es dann nicht mehr ausschließlich gegen den Entführer, sondern gegen „die Chefs“, die gute Menschen wie Gondo fallenlassen. Aber auch die Polizisten (und erst recht die Journalisten) kennen nur ihre eigene subjektive „Wahrheit“. Gondo selbst schließlich entpuppt sich als eine Art Dinosaurier, der bei aller übersprudelnden Virilität in der modernen Welt keine Zukunft mehr hat. Der Hass des Entführers auf ihn richtet sich objektiv gegen den Falschen, weil Gondo als reicher Kapitalist zwar Macht und Unterdrückung versinnbildlicht, gleichzeitig aber selbst unterdrückt und entmachtet wird, also Opfer ist. In seiner Person vereinen sich alle Widersprüchlichkeiten des tatsächlichen Daseins: er, der seinerseits mit nicht legalen Mitteln gegen die Korrupten vorgeht und die vernichten will, die ihn vernichten wollen, erweist sich zugleich als „Großmütiger“, der die unmenschliche Logik des Entführers nicht hinnehmen will und kann. Die Welt ist aus den Fugen, und doch bildet Kurosawa ein System in vollkommener Balance ab, bei der sich alle Gegensätze und Widersprüche sinnstiftend ergänzen. Inszenatorische Kabinettstücke verkommen nie zum Selbstzweck, führen vielmehr stets zum philosophischen Hintergrund der „Schuld-und-Sühne“-Geschichte zurück. Statik und Bewegung, „Oben“ und „Unten“ im konkret räumlichen wie im sozialen Sinne, schließlich der Himmel (der Reichen und Privilegierten) und die Hölle (der Armen, Drogenabhängigen, Benachteiligten in den urbanen Ghettos) - alles wirbelt durcheinander und verlangt einen neuen komplexeren Standpunkt. Am Ende krallt sich der Entführer in urplötzlicher Aufwallung ans Gitter, das ihn von Gondo trennt - wer von beiden bedarf mehr Mitleid im Labyrinth des irdischen Chaos?
Kommentar verfassen

Kommentieren