La Ciénaga - Morast

- | Spanien/Argentinien/Frankreich 2001 | 100 Minuten

Regie: Lucrecia Martel

Der schwüle Sommer einer großbürgerlichen argentinischen Familie auf ihrem Landgut verdichtet sich zum Reigen voller Unfälle und Spannungen, wobei sich das Dasein aller Beteiligten im Kreis dreht. Ein symbolgetränkter Blick auf eine dekadente Gesellschaftsschicht, deren innere Wunden nicht heilen wollen. In einer Mischung aus Distanz und fast unerträglicher Nähe fächert der Film ein vielfältiges Universum auf und reflektiert das Leben in einer erstarrten und desillusionierten Gesellschaft. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA CIENAGA
Produktionsland
Spanien/Argentinien/Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
4 K Films
Regie
Lucrecia Martel
Buch
Lucrecia Martel
Kamera
Hugo Colace
Schnitt
Santiago Ricci
Darsteller
Martin Adjemián (Gregorio) · Diego Baenes (Joaquin) · Leonora Balcarce (Venónica) · Silvia Bayle (Mercedes) · Sofia Bertolotto (Momi)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Tropische Pflanzen inmitten einer geradezu greifbar unerträglich schwülen Hitze. Es ist Februar, Hochsommer im Nordwesten Argentiniens; verschwitzte Körper, wachsende Spannungen. Mecha ist eine Frau um die 50 mit vier etwas plumpen, pubertierenden Kindern, einem eitlen Ehemann, der sich die Haare färbt, und lustlosen Hausangestellten. Doch mit einigen Gläsern Alkohol bewältigt sie die Monotonie ihres Alltags; eines ihrer größten Probleme ist es, Eis für ihre Drinks zu besorgen. Die Familie verbringt fern des sommerlichen Infernos der Großstadt den Sommer in dem kleinen Landgut „La Mandragora“, einer gebrochenen, bukolischen Idylle, inmitten einer üppigen, aber bedrohlichen Vegetation, mit einem verdreckten Swimmingpool, zerbrochenen Gläsern und einer beklemmenden Mischung aus Hitze, Langeweile und Aggression. Tali, Mechas Cousine, lebt mit ihren vier Kindern in La Ciénaga, einem kleinen Dorf in der Nähe. Zwei Familien, laut und herzlich, ein vielstimmiger Sommer voller Unfälle und Spannungen, in dem alles und nichts passiert. Schon in ihrem preisgekrönten Kurzfilm „Rey muerto“ (Toter König) hatte Lucrecia Martel die Essenz der Handlung im Titel anklingen lassen. Auch in ihrem ersten langen Spielfilm symbolisieren die Ortsnamen die Grundstimmung der Geschichte: „La Ciénaga“ meint den Morast, „La Mandragora“ die mythenumrankte giftige Nachtschattenpflanze der schwarzen Magie. So ist der Film ein fiebriger Reigen einer fast magischen Unausweichlichkeit des Alltags, einer lähmendgiftigen Routine, ein Warten auf reinigende Gewitterschauer, ein Sumpf, in dem sich nichts mehr bewegt – die Handlungen innerhalb der Familie drehen sich im Kreis und kommen nicht vom Fleck. Die Situation wird von einer überreifen, fast aggressiven Sinnlichkeit beherrscht. Ein inzestuös-verbotener Grundton korrespondiert mit latenter Gewalttätigkeit und beherrscht die Beziehung zwischen den Geschwistern, aber auch die Leidenschaft für das junge kreolische Dienstmädchen. Neben der lastenden Sinnlichkeit werden die Figuren des Films auch durch eine extreme Verletzlichkeit charakterisiert, durch Narben und Wunden – gleich zu Beginn strauchelt die angetrunkene Mecha, stürzt zu Boden und reißt sich mit den Splittern des eigenen Glases eine blutige Wunde. Joaquín, Mechas jüngster Sohn, verlor bei einem Jagdunfall ein Auge; ein anderer Sohn, José, kehrt nach einer Schlägerei bei einer nächtlichen Tanzveranstaltung mit einer gebrochenen Nase heim. Talis Kind klettert heimlich und unbeobachtet auf eine Leiter; ein Bild, in dem sich eine Urangst von Müttern verdichtet. In den unausgesprochenen Tabus und Weltanschauungen, im latenten Rassismus bezeichnet Mechas Familie aber auch eine dekadente Gesellschaftsschicht, deren tiefe innere Wunden und Narben nicht mehr verheilen. Von Anfang an gelingt es Lucrecia Martel immer wieder, durch die Konstruktion knapper und subtiler Szenen Bedrohung aufzubauen, Konstellationen, die eine ebenso träge wie explosive Stimmung schaffen. „La Ciénaga“ beeindruckt auch durch seine vielschichtige Choralität, die nahezu ausschließlich über die Atmosphäre entsteht und herkömmliche narrativen Konventionen weitgehend beiseite lässt. In einer Mischung aus Distanz und einer fast unerträglichen Nähe entsteht ein Ensemble paralleler Handlungen und Emotionen, das die junge Regisseurin meisterhaft in Szene setzt – hier sei ihr, so die Regisseurin, die Videokamera, mit der sie schon als Kind die Feste ihrer Verwandtschaft gefilmt habe, die wichtigste Schule gewesen. Ein Umgang mit der Realität, der aus der dramatische Pointierung des Alltäglichen seine Spannung zieht und nicht aus einer genregemäßen Erzählstruktur. Lucrecia Martel gehört zu einer neuen Generation argentinischer Filmemacher, Kinder der Desillusion, die während der Militärdiktatur und der verheerenden Wirtschaftskrisen aufgewachsen sind. Eine Generation, die einfache Themen reflektiert und dem Symbolismus älterer Regisseure den Rücken gekehrt hat. Sie schöpft ihre Geschichten aus dem Leben, ohne in armseligen Naturalismus zu verfallen. Der junge argentinische Film der letzten fünf Jahre zeichnet sich durch eine bewusste Spröde und Alltäglichkeit aus – die Geschichten werden klar und nüchtern erzählt, die Dinge beim Namen genannt. Dabei verharren die Filme aber allzu oft in einer skeptisch- unterkühlten Nabelschau. Aus ihnen ragt Martels Films auch deswegen heraus, weil er sich nicht wie viele andere auf die kultivierte Lustlosigkeit urbaner Jugendlicher beschränkt, sondern ein faszinierendes, abgeschlossenes, beeindruckend vielfältiges Universum zeigt.
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