Epsteins Nacht

Drama | Deutschland/Schweiz/Österreich 2001 | 90 Minuten

Regie: Urs Egger

Am Weihnachtsabend 1985 glaubt der Holocaust-Überlebende Epstein, im Pfarrer einer Berliner Gemeinde seinen einstigen KZ-Peiniger entdeckt zu haben. Gemeinsam mit zwei Freunden stellt er ihn zur Rede. Nach langem Leugnen gibt der Beschuldigte tatsächlich seine Vergangenheit preis. Zugleich wird deutlich, dass auch Epstein am Tod jüdischer Gefangener mitschuldig geworden ist. Kammerspielartiges Drama, das trotz herausragender Besetzung an intellektueller Dürftigkeit, klischeehaften Bildern und dem Verzicht auf jegliche Verunsicherung des Zuschauers leidet. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
EPSTEINS NACHT
Produktionsland
Deutschland/Schweiz/Österreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Medien & Television München/Constantin/Dschoint Ventschr/Filmhaus Films
Regie
Urs Egger
Buch
Jens Urban
Kamera
Lukas Strebel
Musik
Christoph Gracian Schubert
Schnitt
Hans Funck
Darsteller
Mario Adorf (Jochen Epstein) · Bruno Ganz (Adam Rose) · Günter Lamprecht (Groll/Giesser) · Otto Tausig (Karl Rose) · Annie Girardot (Hannah Liebermann)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Drama | Kammerspiel
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
McOne
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Diskussion
Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv von Schuld, Sühne und Rache durch die Kinogeschichten über das Dritte Reich. Bereits im ersten deutschen Spielfilm nach dem Krieg, Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ (fd 128), wurde dieser Ton angeschlagen: Ein Wehrmachtsangehöriger suchte sich von den Traumata der Ostfront zu befreien; er stolperte durch die Trümmer Berlins, um seinen plötzlich wieder auftauchenden, einstigen Vorgesetzten zu erschießen, der sich nun als bürgerlich- jovialer Geschäftsmann gab. Schon Staudte verband seine Gegenwartshandlung mit Rückblenden in die Nazizeit: ein dramaturgisches Mittel, das später immer wieder benutzt wurde, um Abgründe der Vergangenheit aufzudecken und bleibende psychische und physische Leiden zu begründen. Das traf insbesondere auch auf Filmgeschichten über den Holocaust zu: mit am eindrucksvollsten in Joachim Haslers DEFA-Produktion „Chronik eines Mordes“ (1964), einer Adaption von Leonhard Franks Roman „Die Jünger Jesu“, in der sich eine Frau, deren Familie im KZ starb, nach Jahrzehnten an dem Mann rächt, der für die Verschleppung verantwortlich war und nun in der Bundesrepublik eine neue politische Karriere beginnt. Insofern betritt „Epsteins Nacht“ weder thematisch noch dramaturgisch Neuland. Auch die Tatsache, dass Jens Urbans Drehbuch um die Mitschuld jüdischer Gefangener am Tod ihrer Leidensgenossen kreist, und um ein lebenslanges Schweigen aus Scham und Gewissensnöten, bedeutet keinen erzählerischen Tabubruch. Die existentielle Frage, wie die Überlebenden der Lager mit den Erinnerungen an die Toten, den Massenmord und an die eigenen Strategien des Überlebens, an Anpassung und vielleicht sogar Verrat umgehen, und wie sehr dieses Nachdenken auch Verzweiflung und Selbstvorwürfe mit sich bringt, wird bestenfalls angerissen. „Epsteins Nacht“ wirkt, als seien Drehbuch und Regie mit diesem Thema überfordert gewesen. Zudem sieht der Film stilistisch wie aus zweiter Hand gefertigt aus, ein trotz des „unerhörten Vorgangs“, den er schildert, eher biederes Kinostück. Womöglich liegt es an der uninspirierten Inszenierung, die in konventionell ausgeleuchteten Bildern nur illustriert, statt künstlerisch zu verdichten. Das betrifft vor allem die grau getönten Rückblenden in die Hölle der Konzentrationslager, die einem vielfach erprobten Motivkatalog entnommen scheinen. In erster Linie krankt der Film aber an seinem Drang, alles zeigen, alles erklären zu wollen. Die Geheimnisse, die die Figuren anfangs noch umgeben, werden bald aufgelöst; für die Reminiszenzen, die im Laufe der Gegenwartshandlung aufbrechen, stehen immer sofort Belegszenen aus der Vergangenheit zur Verfügung; es gibt keinen Raum für erzählerische Doppelbödigkeit oder für die Verunsicherungen der Zuschauer: Regisseur Urs Egger bedient sich statt dessen einer glatten Fernsehdramaturgie, die dem Kinobild jegliche Tiefe raubt. Das ist doppelt schade – zum einen angesichts des Stoffes, zum anderen angesichts der Darsteller. Wann kann ein deutscher Film schon mit solch einem glanzvollen Aufgebot aufwarten: Mario Adorf spielt Jochen Epstein, jenen gebeugten, traurigen Juden, der das Geheimnis und die Schuld seiner Jugend mit sich herumträgt. Damals im KZ hatte er, um einen Freund zu schützen, andere Häftlinge an einen SS-Hauptsturmführer verraten, darunter auch das Mädchen Hannah. Die alte, überlebende Hannah, nach der Epstein 50 Jahre später fahnden lässt, wird von Annie Girardot verkörpert: mit langen, stummen Blicken, aus denen das Verzeihen spricht. Epsteins Freunde sind Bruno Ganz und Otto Tausig: der eine einen Hauch zu psychopathisch; der andere einen Hauch zu vertrottelt – Übertreibungen, die nicht unbedingt den Darstellern anzulasten sind, sondern der auch hier auf Überdeutlichkeit zielenden Regie. Schließlich ist Günter Lamprecht als Berliner Pfarrer Groll zu sehen, in Wirklichkeit jener SS-Mann, der sich seit langem einen falschen Namen gegeben hat. Alle Figuren verharren auf jenen Gleisen, auf die sie einmal gesetzt wurden: Ihre Irritationen kommen seltsam veräußerlicht daher, obwohl die Form des Kammerspiels für eine Erkundung seelischer (Un-)Tiefen gut geeignet gewesen wäre. So bleibt leider nur die Behauptung einer großen, berührenden Geschichte. Und die Tatsache, dass sich wieder ein deutscher Film am schweren Thema Holocaust verhoben hat.
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