- | Israel 2001 | 106 Minuten

Regie: Justine Shapiro

Dokumentarfilm über sieben jüdische und palästinensische Kinder, die der amerikanische Journalist B.Z. Goldberg von 1997 bis 2000 porträtierte. In den unverstellten Interviews tritt ein erschütterndes Bild der gesellschaftlichen Spannungen und Brüche zutage, die den Nahost-Konflikt am Leben erhalten. Gegen den Teufelskreis von Gewalt, Hass und Vergeltung setzt der Film durch sein eigenes eindringliches Beispiel auf die Möglichkeit eines Dialogs, der die unterschiedlichen Ansprüche miteinander zu vermitteln versucht. (Spezialpreis der Ökumenischen Jury, Locarno 2001; O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PROMISES
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
The Promises Film Project
Regie
Justine Shapiro · B.Z. Goldberg · Carlos Bolado
Buch
Justine Shapiro · B.Z. Goldberg
Kamera
Yoram Millo · Ilan Buchbinder
Schnitt
Carlos Bolado
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Seit Beginn der zweiten Intifada im Spätsommer 2000 herrscht in Israel offener Bürgerkrieg. Aus westlicher Perspektive versinkt das Land im blinden Schlagabtausch zwischen Israelis und Palästinensern; der Teufelkreis aus Anschlägen und Militäraktionen scheint unüberwindlich, weil der Hass auf beiden Seiten ins Unermessliche gewachsen ist. Man muss deshalb wohl eher verrückt als verzweifelt sein, einen Dokumentarfilm über die unsichtbaren Bruchstellen dieses Konflikts mit „Promises“ („Versprechungen“) zu überschreiben, auch wenn darin nur Kinder porträtiert werden. Denn die Gemengenlage, die sich aus den unverfälschten Einlassungen der Neun- bis 13-Jährigen ergibt, müsste jede Hoffnung im Keim ersticken: „Schalom“, Friede, ist eine Illusion. Moishe, ein dickes Siedlerkind aus den Westbanks, will alle Araber aus Jerusalem vertreiben; wie um die Ernsthaftigkeit seiner Worte zu unterstreichen, schwört er am Grab seines ermordeten Freundes Ephraim Rache, der einem Attentat zum Opfer fiel. Auch Faraj will Rache, kehrt immer wieder auf den Friedhof zurück, zu Bassan, der als Fünfjähriger 1991 während der ersten Intifada von israelischen Soldaten erschossen wurde. Was in den Straßen von Ramallah fanatische Einpeitscher den jugendlichen Demonstranten ins Ohr schreien oder in den Koranschulen Tag für Tag eingehämmert wird, markieren auf der anderen Seite das nicht weniger sture Studium der Thora oder die Schikanen des omnipräsenten Militärs: Jeder meint es blutig ernst, wenn er den anderen zum Teufel wünscht. Mit diesem frustrierenden Befund will sich B.Z. Goldberg nicht zufrieden geben, ein amerikanischer Journalist, der in Jerusalem aufwuchs und von 1997 an mehrere Jahre eine Handvoll Kinder mit der Kamera begleitete. Es war die Zeit, in der ein umfassender Friede in greifbarer Nähe lag. Am Ende saß Goldberg mit 200 Stunden Filmmaterial vor dem Scherbenhaufen des Friedensprozesses: Alle zaghaften Ansätze der Verständigung, auch jene, die er mit seinem Filmprojekt initiiert hatte, waren über Nacht der Gewalt zum Opfer gefallen. Deshalb beginnt sein Film mit einem Schattenbild und dem Dialog der Zwillinge Yarko und Daniel, die sich darüber streiten, was gefährlicher sei: mit der Linie 18 oder der Linie 20 durch Jerusalem zu fahren. Wenn sie einen arabischen Fahrgast sehen, der ihn verdächtig vorkommt, steigen sie vorsichtshalber aus. Beide sind elf, zwölf Jahre alt und stammen aus einem liberalen Elternhaus. Mahmoud könnte ihr jüngerer Bruder sein oder ein Spielkamerad; doch wenn der Blondschopf von Hamas oder Hisbollah spricht, überschlägt sich sein Arabisch vor glühender Begeisterung. Sein Rekurs auf den Koran ist ähnlich „fundamentalistisch“ wie der Moishes: Was in den Heiligen Schriften geschrieben steht, entzieht sich jeder Diskussion. Für Shlomo hingegen, Sprössling einer ultraorthodoxen Rabbinerfamilie, zählt der Krieg eher zu den lästigen Nebensächlichkeiten: Mit altklugen Sentenzen hält sich der Thoraschüler den Konflikt vom Leib, wobei sein Englisch amerikanischer als in Manhattan klingt. Sanabel schließlich stammt aus einem aufgeklärten Haus; doch seit ihr Vater, ein Journalist, von den Israelis ohne Verfahren ins Gefängnis geworfen wurde, hat sich auch ihr Geist verfinstert. Sieben Kinder, die alle im Umkreis von Jerusalem wohnen, nicht weiter als 20 Autominuten voneinander entfernt, die aber Kontinente trennen. Schärfer als bei Erwachsenen treten die gravierenden Differenzen zu Tage, weil sich die Kinder der Konsequenzen ihrer Worte kaum bewusst sind. Der unzensierte Gedankenstrom lässt erschauern, auch, weil das Räderwerk des Hasses offen zu Tage liegt, die Wunden und Verletzungen, aber auch die religiösen Ideologien, die immer wieder gegeneinander treiben. Jeder ist im Recht, das wird durch die freundschaftlichen Gespräche mehr als verständlich, doch daraus kann nur neues Unrecht, Tod und Terror erwachsen. Die meisten der jungen Interviewpartner sind erst dann für einen Moment sprachlos, wenn Goldberg ihren gemeinsamen Dialog thematisiert: Wie ist es möglich, dass jemand, der beispielsweise keine Juden kennen lernen möchte, sich mit Goldberg so intensiv angefreundet hat? Dieser Moment wird zur Rettungsleine, für Goldberg, für sein Filmprojekt, vielleicht auch für das leidgeprüfte Land. Was „Promises“ will und seinen Titel rechtfertigt, ist sein Einsatz und sein Beispiel für den unendlich mühsamen Prozess einer offenen Gesellschaft, die Rechte und Ansprüche ihrer Mitglieder kommunikativ und kompromissbereit miteinander zu vermitteln. Mehr als alle Detailinformationen und Randbeobachtungen, die so hellsichtig die bunte Patchwork-Gesellschaft Israels und Palästinas charakterisieren, vermittelt der Film einen Eindruck von der Mühsal und den kleine Erfolgen des Dialogs, der dazu führt, dass die Zwillinge Yarko und Daniel mit Goldberg zusammen in die besetzten Gebiete fahren und Faraj und Sanabel besuchen. Ein gewagtes, auch politisch brisantes Unternehmen, bei dem wiederum die kindliche Unverstelltheit siegt: Israelis und Palästineser kommen – zögernd und langsam – miteinander ins Spiel, beschnuppern sich, hören einander zu und teilen ihr Essen. Das war vor Ariel Scharon und den Al-Aksa-Brigaden: Seither herrscht wieder der offene Krieg; vom Blutzoll berichten die Abendnachrichten. Irgendwann, wenn die Waffen verstummt sind, werden sich Politiker wieder an einen Tisch setzen, später vielleicht auch normale Bürger. Die letzten Bilder zeigen Neugeborene in einem Krankenhaus: Kinder, denen noch nicht anzusehen ist, ob sie einmal Juden oder Moslems, Siedler, Rabbi oder Tänzerin werden. Sprechen aber werden sie alle lernen.
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