Road Movie | Deutschland/Südafrika 2001 | 119 Minuten

Regie: Stefanie Sycholt

Roadmovie über einen schwarzen Straßenjungen und einen ehemaligen Kämpfer der Apartheid-Armee in Südafrika. Das Gefühl von Heimatlosigkeit und der Verlust von Verwandten verbindet die beiden ungleichen Protagonisten. Einfühlsam an Originalschauplätzen in Südafrika gedreht, gewinnt der Film durch die humorvolle und spannende Dramaturgie, die sparsam eingesetzte südafrikanische Musik und die entschlossene Kameraführung. Dank der hervorragenden Schauspieler gelingt es, der jahrelangen Ausnahmesituation des Landes ohne sentimentale Anklänge gerecht zu werden und die Lebensbedingungen in Südafrika nach dem Ende der Apartheid mitfühlend zu beschreiben. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
MALUNDE - AN UNLIKELY FRIENDSHIP
Produktionsland
Deutschland/Südafrika
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Traumwerk/BR/arte
Regie
Stefanie Sycholt
Buch
Stefanie Sycholt
Kamera
Jürgen Jürges
Musik
Annette Focks
Schnitt
Ulrike Tortora
Darsteller
Ian Roberts (Kobus) · Kagiso Mtetwa (Wonderboy) · Musa Kaiser (Breakfast) · Wilmien Rossouw (Diane Malan) · Grethe Fox (Estelle)
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Road Movie
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Diskussion
Beim Betteln verdient er an guten Tagen bis zu 55 Rand, das sind umgerechnet rund acht Euro. Dem Polizisten, der ihn in einem Johannesburger Einkaufszentrum aufgegriffen hat, verspricht er zehn Prozent seiner Einnahmen, wenn er ihn wieder laufen lässt. Wonderboy, der kleine schwarze Straßenjunge mit den wachen Augen, denkt spitzfindig, läuft schnell und entwischt dem verdatterten Ordnungshüter. Mit frechen Sprüchen trotzt er handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den Kleinkriminellen und Ganoven und versucht Breakfast zu beschützen. Das Mädchen lebt wie er auf der Straße und läuft mit ihren acht, neun Jahren Gefahr, von den älteren Jungs auf den Strich geschickt zu werden. Kobus dagegen, groß, breit und mit rötlichblondem Haar, wirkt fast wie ein Ire. Seine Zigaretten raucht der Veteran der rassistischen Apartheid- Armee Kette. Die Tapferkeitsauszeichnung hat er noch in der Tasche, aber mit dem Leben kommt er nicht mehr zurecht. Die Erinnerungen an die Kämpfe lassen ihm nachts keine Ruhe; Frau und Tochter hat er verlassen. Als Vertreter für Möbelpolitur schlägt er sich durchs Leben und liegt im Dauerstreit mit seinem schwarzen Chef. Als Wonderboy seinen Weg kreuzt, könnte Kobus’ Abneigung nicht größer sein, doch Wonderboys Jim-Knopf-Image kann auch er nicht widerstehen. Auf der Flucht vor einem Drogendealer, den Wonderboy bei einer nächtlichen Razzia bestohlen hat, rettet sich der kleine Schwarze in Kobus’ Lieferwagen. Und im Gegensatz zu diesem scheint er froh, in einem Auto voller Dosen mit Möbelwachs auf dem Weg von Johannesburg nach Kapstadt zu sein.

Stefanie Sycholt lässt mit den Außenseitern Kobus und Wonderboy zwei unversöhnte Welten aufeinanderprallen. „Malunde“ (Zulu, soviel wie: obdachlos, auf der Straße) inszeniert sie wie ein amüsantes Frage- und Antwortspiel, in dem ein Greenhorn die Fragen stellt und ein kleiner Experte die Antworten gibt. „Was wollen sie mit der Wahrheit anfangen?“, fragt Kobus, als er unterwegs in einem Hotelzimmer einen Fernsehbericht über die Wahrheitskommission sieht; „warum kümmert ihr euch nicht umeinander?“, sagt er, als er von Wonderboys verschwundener Mutter hört. Das, was dem Jungen Kraft gibt, trägt er in einem Briefumschlag bei sich. Seine Mutter ist nach Kapstadt gezogen und hat ihm ein Foto geschickt. Mit Wonderboy als Begleiter entdeckt Kobus seine verschütteten Emotionen wieder. Dem alten Kämpfer wird klar, dass Wonderboy ihm einen Sohn ersetzt, für die verlorene, mit der Mutter und deren neuem Lover zusammenlebenden Tochter. Geradlinig und mit Sinn für die Gefühle ihrer Protagonisten erzählt das Road Movie die Geschichte von zwei Verlorenen. Als Kobus seine Ex Frau besucht, reißt Wonderboy aus, weil er vor der Tür im Auto warten muss. Solche Geschichten, denkt man, hat man schon tausendfach gesehen, aber weil Sycholts Blick auf Schwarz und Weiß im neuen Südafrika nicht sentimental verklärt ist, sondern auch die harten Seiten der Straße – beispielsweise Kinderprostitution – erfasst, ergibt „Malunde“ ein recht komplexes Bild. Da darf auch die neben Miriam Makeba erfolgreichste Jazz-Sängerin des Landes nicht fehlen. Dolly Rathebe als Nonne in einem Town-Ship sorgt für hinreißende Gesangs- und Tanzszenen in einem ungewöhnlichen „Sister Act“, und damit verbunden für rasenden Absatz der Möbelpolitur. Bei all dem spart die Regisseurin nicht mit Anspielungen auf die politischen Verhältnisse. „Es ist nicht einfach, den Saustall wieder hinzukriegen, den ihr nach 300 Jahren Herrschaft zurückgelassen habt“, erklärt eine schwarze Geschäftsfrau dem verdatterten Kobus auf einem Fest. Alles in allem ist „Malunde“ ein authentisch inszenierter Film, mit Gespür für das, was die Menschen berührt. Man merkt, das Stefanie Sycholt in Südafrika aufgewachsen ist und ernsthaft an den Verhältnissen im Land interessiert ist. Jürgen Jürges Kamera heftet sich unauffällig an Kobus’ Auto und fängt Bilder von (Stadt-)Landschaften ein, immer darauf bedacht, nicht allein die Landschaft, sondern die Menschen zur Geltung zu bringen – was gelingt. Zwei bemerkenswerte Schauspieler, Kagiso Mtetwa als Wonderboy und Ian Roberts als Kobus, tragen als Hauptdarsteller den Film. Und am Schluss legt die Regisseurin dem wiedergefunden Großvater des Jungen einen Kommentar zur Wahrheit in den Mund: „Sie tut weh, aber sie bricht einem nicht das Herz wie das Schweigen“.
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