Heftig und begeistert

- | Norwegen/Schweden 2001 | 105 Minuten

Regie: Knut Erik Jensen

Porträt des norwegischen Männerchors aus dem am Polarmeer gelegenen Fischerdörfchen Berlevag. Der Film vermag die kauzigen Charaktere für seine liebevolle Studie zu nutzen und seinen Protagonisten durch eine geschickte Montage Kontur und Individualität zu verleihen. Ein heiter-gelassener Dokumentarfilm, der sich in seiner unzeitgemäßen Langsamkeit von den Menschen vor der Kamera wohltuend anstecken lässt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
HEFTIG OG BEGEISTRET | HÄFTIG OCH BEGEISTRAD
Produktionsland
Norwegen/Schweden
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Barentsfilm/Giraff/Norsk Film
Regie
Knut Erik Jensen
Buch
Knut Erik Jensen
Kamera
Aslaug Holm · Svein Krovel
Schnitt
Aslaug Holm
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Da stehen verwegen dreinblickende Männer im Halbkreis und intonieren unbeeindruckt fremde Weisen, während um sie herum ein veritabler Schneesturm wütet. Und während sie sich tapfer zur dritten Strophe ihres Liedes vorarbeiten, hat der Schnee ihre imposanten Bärte weiß gefärbt und mit kleinen Eiszapfen garniert. Doch wenn man das groteske Szenario schon für die Sequenz aus einem Tourbericht über versprengte Mitglieder des einst legendären Don-Kosaken-Chores halten möchte, die sich ins sibirische Hinterland verirrt haben, fährt die Kamera zurück und man sieht, dass der Dirigent des Chores aus einem Rollstuhl heraus dirigiert. Einen Körperbehinderten als Leiter hatten die Don Kosaken nie! Also wird es sich hier kaum um jene singenden Weltreisenden in Sachen russische Seele handeln. Die hier unter widrigsten Witterungsbedingungen mit stoischer Miene Lieder zu Gehör bringen, sind Mitglieder des Heimatchores des norwegischen Fischerdorfes Berlevag, auf dem 71. nördlicher Breitegrad am Polarmeer gelegen. Eine Region, die selbst Nationalisten aus Olso als „Arsch der Welt“ bezeichnen würden. Entsprechend ist für die Menschen, die das ganze Jahr über in Berlevag leben, das Angebot an Freizeitaktivitäten nicht besonders groß. Nur so ist vermutlich zu erklären, dass die Vorfahren der heutigen Bewohner schon 1917 einen Männer-Gesangsverein aus der Taufe hoben. Der Chor umfasst derzeit 30 Mitglieder im Alter zwischen 35 und 96 Jahren und ist, ungeachtet seiner musikalischen Potenz, schon deshalb ein Kuriosum.

Der norwegische Regisseur Knut Erik Jensen hat seinen landsmännischen Sangesbrüdern nun so etwas wie ein filmisches Denkmal gesetzt. Doch auch wenn er die Chormitglieder, mal im Freizeitdress, mal im Frack, immer wieder vor imposanten (Natur-)Kulissen ihr Liedgut schmettern lässt, ist sein Dokumentarfilm weit mehr als eine wohlwollende Studie über die therapeutische Funktion gemeinschaftlichen Singens. Vielmehr lebt er in erster Linie von den kauzigen Charakteren, die dort am Polarkreis ihr Dasein fristen. Ob ein 96-Jähriger seinen jüngeren, gerade mal 87 Jahre alten Bruder mit dem Auto zur Probe abholt, oder der querschnittsgelähmte Chorleiter, in der Badewanne liegend, erklärt, welcher Weiberheld („Ich war ein echter Satyr“) er doch in seiner Jugend war – fast immer sind es die augenzwinkernd dargereichten Geschichten aus der guten alte Zeit, die dem Film seinen eigentümlichen Charme verleihen. Wozu die hier immer wieder gegen die Anekdoten geschnittenen Bestandsaufnahmen der aktuelle Lage, geprägt vom Niedergang der einst florierenden Fischindustrie, einen ernüchternden Kontrast bilden. Wie es überhaupt zu den Qualitäten des Films gehört, dass die einzelnen Protagonisten durch eine geschickte Montage mit zunehmender Dauer an Kontur und Individualität gewinnen. So entpuppt sich etwa der kauzige Vogel mit Galgenhumor irgendwann als gebrochener Spät-Hippie, der seit Jahrzehnten auf Droge ist. Und manche der zunächst glühenden Berlevag-Apologeten entpuppen sich mit der Zeit als desillusionierte Charaktere, die nie den Absprung geschafft haben. Doch bevor der melancholische Grundton allzu dominant wird, begleitet Regisseur Jensen seinen Chor auf einer Russland- Tournee. Wobei die Reise freilich nicht nach Moskau, sondern, gemessen an Berlevag, ins kaum weniger triste Murmansk führt. Nichtsdestotrotz hat der Ausflug den Charakter einer feucht-fröhlichen Klassenfahrt, bei der die wortkargen Norweger im Zusammentreffen mit ihren russischen Sangesbrüdern geradezu aufleben. Da wird Wodka selig so vergnügt über Kommunismus, Fisch und Frauen debattiert, dass man bisweilen vergisst, dass es sich hier um einen Dokumentarfilm handelt. Die vielen Sequenzen, in denen die Regie den Chor an seltsamen Orten zum Klingen bringt, mögen allenfalls Genre- Puristen stören. Alles in allem ist der mehrfach ausgezeichnete Film eine kurzweilige Reise an ein anderes Ende der Welt, auf deren gemächliches Tempo man sich allerdings einlassen muss. Denn bevor die Männer mit den verwegenen Bärten ihre Stimme erheben, schweigen sie in manchen Einstellungen auch lange Zeit beredt in sich hinein.
Kommentar verfassen

Kommentieren