Der Pornograph

Drama | Frankreich 2001 | 110 Minuten

Regie: Bertrand Bonello

Nach Jahren der filmischen Abstinenz kehrt ein Regisseur von Pornofilmen in sein Metier zurück, um Schulden zu tilgen. Über den Dreharbeiten kommt es zu Auseinandersetzungen mit seinem erwachsenen Sohn, der radikal für konservative Werte eintritt. In den Diskussionen klären sich Positionen, werden Werte und Wertewandel diskutiert, Standorte bestimmt und grundlegende Veränderungen eingeleitet. Ein meisterhafter Film, der hintergründig Fragen nach Liebe, Entfremdung und dem Ergebnis der Aufklärung stellt, wobei er eher eine pessimistische Bilanz zieht. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LE PORNOGRAPHE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Haut et Cour/In Extremis Images
Regie
Bertrand Bonello
Buch
Bertrand Bonello
Kamera
Josée Deshaies
Musik
Laurie Markovitch
Schnitt
Fabrice Rouad
Darsteller
Jean-Pierre Léaud (Jacques) · Jérémie Renier (Joseph) · Dominique Blanc (Jeanne) · Thibault de Montalembert (Richard) · André Marcon (Louis)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
Der Film beginnt im Dunkeln eines Pornokinos und zeigt einen Zuschauer. Anschließend liefert eine Off-Stimme zu einer Montage von Naturaufnahmen eine knappe bio- und filmografische Notiz über Jacques Laurent, einen Pornofilmer, der zwischen 1970 und 1984 40 Filme drehte und sich dann aus dem Gewerbe zurückzog, als sich die Finanzierung seines ambitionierten Projektes „Das Tier“ zerschlug, einer Art von pornografischem Remake von „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ (1932) mit abstraktem Finale. Nach Jahren zwingen Schulden Jacques jedoch, einen neuen Film in Angriff zu nehmen, der eine Hommage an seine alten Filme werden soll. Der erste Teil von „Der Pornograph“ berichtet von den Dreharbeiten zu diesem Film, wobei die Spannung zwischen den ambitionierten Bildern und der Tonart des selbstreflexiven Autorenfilms im Film-im-Film als Spannung zwischen den ausgesucht bürgerlichen Sets, den gespreizten Dialogen und den recht profanen, eben pornografischen Auflösungen dieser Spannung gespiegelt wird. Die Dreharbeiten werden zum umfassenden Desaster, der einstige „Genre-Erneuerer“ Jacques muss miterleben, wie seine zugegebenermaßen etwas eigenwilligen und die einschlägigen Genreregeln negierenden Regieeinfälle („Du musst nicht laut sein!“) durch die Eingriffe der Produzenten vor Ort auf groteske Weise („Jenny, bist du tot? Ich höre dich nicht!“) konterkariert werden. Jacques wendet den Blick ab. Am Abend überrascht ihn seine Frau mit der Nachricht, sein Sohn Joseph habe sein Kommen telefonisch angekündigt. Die Beiden haben sich längere Zeit nicht gesehen, weil Joseph es nicht akzeptierten konnte, dass sein Vater als Pornofilmer und dann auch noch ohne Pseudonym gearbeitet hat. Mittlerweile sympathisiert Joseph mit der politisch radikalen Jugendbewegung, die die Konsequenz der 68er-Libertinage im Bankrott aller Werte erkennt und in einer Gegenbewegung mit moralischem Rigorismus nach Orientierung und beständigen Werten sucht. Es ist Joseph, der ihnen die spektakulärste Widerstandsstrategie vorschlägt: Schweigen als ultimativem Protest, keine Zugeständnisse und keine Gegenvorschläge für das politische System, das sich seines Gegenübers nur mittels kursierender Bilder versichert. Bei einem Spaziergang sprechen sich Vater und Sohn über die prinzipielle Differenz der politischen Bedingungen von „1968“ und der Gegenwart: Aus dem emanzipatorisch-utopischen Aufbruch in eine Gegenkultur ist die „ärgerliche“ Sehnsucht nach Arbeit, nach gesellschaftlicher Anerkennung und Transparenz geworden. Wo Jean-Pierre Léaud, der Darsteller des Pornofilmers, in diesen Momenten wie eine erschöpfte Erinnerung an Eustaches „Die Mama und die Hure““ (fd 18 393) wirkt, könnten die ernsthaften Jugendlichen auch aus Bressons „Der Teufel möglicherweise“ (fd 20 943) stammen; beide politischen Haltungen, die durch Idealismus gekennzeichnet sind, werden gegen die jungen Pragmatiker ausgespielt, die heute „Pornofilme wie Videoclips drehen“. Doch die Begegnung verändert Vater und Sohn, ebenfalls in Richtung eines Pragmatismus der bürgerlichen Privatheit: Während sich Joseph mit seinen Freunden überwirft und sich für die bürgerliche Ehe entscheidet, versinkt Jacques am Set in Depressionen, trennt sich von seiner Frau und beginnt, sich seinen Traum zu erfüllen und ein eigenes Haus zu bauen. Die immer ernsthafter werdenden Gespräche drehen sich um das Altern und das Wissen um die durch Lebensexperimente vergeudete Zeit. Eine kurze Montage von trostlosen Stadtansichten verdeutlicht, dass die den Figuren innewohnende Verzweiflung über das Scheitern von Utopien, über die Verhältnisse und – vielleicht – die eigene Existenz sich problemlos verallgemeinern lassen. Im dritten Teil dieses, wie Regisseur Bonello eingesteht, von einer Marc-Rothko-Ausstellung inspirierten Films gibt Jacques ein Interview, in dem er offen über sein Leben und seine Arbeit reflektiert. Die Journalistin hat wenig mehr als professionelles Interesse am Pornoregisseur und stellt nur dumme, verletzende, oder wie Jacques es empfindet, „wirklich obszöne“ Fragen. Bonellos „Pornograph“ ist ein ausgesprochen interessanter, vielleicht meisterhafter Film, der sich auf hintergründige Art und Weise den zentralen Fragen (Liebe, Entfremdung, Revolution, Resignation) mit den Mitteln der Kunst im Medium der Kunst zuwendet und dabei eine mehrfach gebrochene, hoch reflexive Einschätzung der Dinge formuliert. Vor 35 Jahren wäre Jacques ein Modefotograf im Swinging London gewesen, vor 20 Jahren ein Autorenfilmer an der portugiesischen Küste. Jacques weiß: „Ich bin auch nicht dümmer als andere. Ich weiß, dass es Bergman und Antonioni gibt und eine gewisse Modernität. Aber ich mache Pornofilme.“ So wie sich in der Vater-Sohn-Geschichte bestimmte Traditionslinien radikalen politischen Bewusstseins und Engagements rekonstruieren lassen, so schafft Bonello mit seinen Bildern, in denen das dunkle Grün herbstlicher Parks dominiert, einen durch die Pornografie vermittelten cinephilen Gedächtnisraum, dessen Eckpfeiler Robert Bresson, Jean Eustache, Pierre Garrel und auch Jean-Marie Straub und Daniele Huillet heißen und die hier genauso bemüht und obsolet wirken, wie Jacques Anstrengungen, einen „guten Porno“ zu drehen. Dass der Film jetzt doch in die hiesigen Kinos kommt, ist in mehrfacher Hinsicht ein begrüßenswertes Signal, zieht „Der Pornograph“ doch eine pessimistische Bilanz von 35 Jahren Politique d´Auteurs und deren Fortsetzung.
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