- | Frankreich/Italien 2002 | 120 Minuten

Regie: Otar Iosseliani

Ein in der französischen Provinz lebender Fabrikarbeiter bricht aus der Routine seines Lebens aus und begibt sich auf Reisen. In Venedig freundet er sich mit einem gleichaltrigen Mann an, kehrt aber, nachdem er gesehen hat, dass dessen Alltag ähnlich dem seinen verläuft, acht Monate später nach Hause zurück. Melancholische zivilisationskritische Komödie, die sich mit skurrilen und grotesken Momenten gegen jeden Anflug von Depressivität aufbäumt und ein Hohelied auf Freiheit und Individualismus anstimmt. Reich an Bezügen zu früheren Werken des Regisseurs, überzeugt der Film durch die impressionistische Inszenierung und eine entdeckungsfreudige Kamera, die Menschen und Dinge sowohl konkret als auch gleichnishaft zeigt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LUNDI MATIN
Produktionsland
Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Centre National de la Cinèmatographie/Cofimage 12/Gimages 4Le Studio Canal+/Mikado/Pierre Grisé Prod./Rhône-Alpes Cinéma
Regie
Otar Iosseliani
Buch
Otar Iosseliani
Kamera
William Lubtchansky
Musik
Nicolas Zourabichvili
Schnitt
Otar Iosseliani
Darsteller
Jacques Bidou (Vincent) · Anne Kravz-Tarnavsky (Vincents Frau) · Narda Blanchet (Vincents Mutter) · Radslav Kinski (Vincents Vater) · Dato Tarielachvili (Nicolas)
Länge
120 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
In einem seiner frühen Filme, „Es war einmal eine Singdrossel“ (1970), begleitete Otar Iosseliani einen jungen Mann durch den Alltag von Tiflis. Gia, der Held, war Musiker, aber viel mehr als die Disziplin der Orchesterproben liebte er die Freiheit des Herumschweifens. Weil er sich auf seinem Weg in den Konzertsaal viel Zeit für Freunde, Mädchen, alte Tanten und völlig fremde Leute nahm, ihnen zuhörte und half, kam er regelmäßig zu spät zur Arbeit. Am Ende des Films ließ ihn Iosseliani unter ein Auto kommen. Ein kurzes Leben, dem oberflächliche Betrachter wenig Sinn zubilligten, allerdings ohne begriffen zu haben, dass auch die scheinbare Ziellosigkeit ein Daseinszweck und dazu noch von eigentümlicher Schönheit sein kann. Vielleicht lebte Gia genau das aus, was Vincent in „Montag Morgen“ im tiefen Innern erträumt. Vincent, der auf dem Lande wohnende Fabrikarbeiter, ist einem erstickenden Gleichmaß unterworfen: Jeden Morgen schlurft seine Frau an ihm vorbei, zündet er sich eine Zigarette an, schlüpft in die Gummilatschen, steigt in das winzige Auto, fährt zum Bahnhof, hört das „Achtung!“ aus den Lautsprechern am Bahnsteig. Dann der Zug, das Betriebstor, das auf Hinweistafeln beschworene Verbot, in der Fabrik zu rauchen, die dampfgeschwängerte Luft der Hallen. Und am Abend der Weg zurück. Während Vincent arbeitet, vollziehen sich auch im Dorf die immer gleichen Rituale: Der Briefträger öffnet die ihm anvertraute Post über Wasserdampf, um sie nach der Lektüre wieder mit einem Bügeleisen zu verschließen; die Dorfjugend rast auf Fahrrädern durch die Gegend, die Frauen keifen und der Pfarrer schaut ihnen mit kaum verhohlener Lüsternheit nach. Iosseliani und Kameramann William Lubtchansky, der Vincents Universum mit schöner Zärtlichkeit ertastet und sowohl die konkrete als auch die allegorische Bedeutung der Dinge vermittelt, machen jene Routine transparent, die uns alle umgibt. Auf der Tonspur mischen sich die Laute des Dorfes und der Menschen zu einer Symphonie fast ohne Worte. „Montag Morgen“ beginnt als fabulierfreudiges Bilder- und Geräuschkino, das trotz grotesker und skurriler Details eine große Traurigkeit nicht verschweigt. Irgendwann bricht Iosseliani den Kreislauf: Eines Morgens betritt Vincent die Fabrik eben nicht mehr wie immer, sondern begibt sich auf Reisen. Das Ziel ist zunächst offen, es wird Venedig sein. Dort freundet er sich mit Carlo an, einem Arbeiter wie er, und erlebt, wie auch dieser jeden Morgen in die Fabrik fährt und vor dem Werkstor seine Zigarette löscht: Rauchen verboten! Das ist für Vincent wie ein Signal für die Rückkehr zu Frau und Sohn. Acht Monate sind inzwischen vergangen, und nichts hat sich verändert – scheinbar. Wer aus dieser wie getupft erzählten, kreisförmigen Fabel auf den Pessimismus des Regisseurs schließt, sieht sich getäuscht. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, bäumt sich Iosseliani fortwährend gegen jeden Anflug von Depressivität auf, und das nicht nur durch die unverhohlene Zuneigung für Vincents anarchistischen Aufbruch. Auch Kinder und Greise (vor allem Greisinnen!) stehen mit ihrer natürlichen oder wieder erlangten Naivität, ihrer Unverbrauchtheit und Lebenslust als Kontrast zur mittleren Generation. Die Söhne des neureichen Bauern scheren sich einen Teufel darum, wenn ihnen der Vater verbietet, ihre teuren Fahrräder an andere Kinder auszuborgen. Die Großmutter wagt einen Ausflug im Alfa Romeo. Und Vincents Sohn verziert, an der Wand der Dorfkirche, den Heiligen Georg mit einem Schnurrbart. Gegen alle politische Korrektheit verwendet Iosseliani auch noch das Rauchen als Metapher für Freiheit und Glück. Wer raucht, lebt und ist, wenn alles gut geht, ganz bei sich selbst. Immer wieder nimmt der Regisseur Bezug auf andere seiner Filme: Wie in frühen georgischen Arbeiten, in „Singdrossel“ oder „Blätterfall“, wird ausgiebig getrunken und gefeiert; aus dem afrikanischen Dorf des Films „Und es ward Licht“ (fd 28 335) könnte ein Krokodil in die französische Provinz gefunden haben, um hier fürs archaische Prinzip gegen die zerstörerische Kraft der Zivilisation zu stehen; und Nora Blanchet, die Schlossherrin in „Jagd auf Schmetterlinge“ (fd 30 089), ist auch diesmal wieder als Großmutter präsent, die auf ihrem eigenen Stil beharrt. Das Thema das Entfremdung durch Routine und die Dinge des Alltags war von Iosseliani schon in seinem kurzen, lange verbotenen sowjetischen Debütspielfilm „April“ (1962/73) angeschlagen worden. Im venezianischen Intermezzo von „Montag Morgen“ tritt der Regisseur dann sogar selbst auf: in purpurrotem Samtrock, als Marquis in einem Palazzo am Canale Grande. Im Laufe eines komischen Versteckspiels entpuppt sich der alte adlige Individualist als grandioser Schwindler, dem Iosseliani selbstironisch alle Ehre erweist. Vielleicht ist diese Szene ein wenig zu lang und verselbständigt sich zu einer eigenen „Nummer“ – aber schön ist sie doch. Nicht zuletzt kann „Montag Morgen“ als Hommage an Iosselianis offensichtliches Vorbild Jacques Tati betrachtet werden, dessen „Schützenfest“ (fd 12 552) weit über die Figur des Postboten hinaus eine cineastische Auferstehung feiert.
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