Elefantenherz

- | Deutschland 2001 | 100 Minuten

Regie: Züli Aladag

Ein 19-Jähriger aus Duisburg boxt sich in doppelter Hinsicht durch: Er will sich von seinem gewalttätigen Vater lösen und bastelt zugleich an einer Karriere als Profiboxer, wobei er in einem gescheiterten Box-Promoter mehr als nur einen fragwürdigen Ersatzvater findet. Sensibles Boxerdrama, das vor allem dank der beiden zentralen, präzise gestalteten und intensiv gespielten Charaktere überzeugt, deren seelische Befindlichkeiten, Nöte und Hoffnungen sich reizvoll in atmosphärisch dichten Stimmungsmomenten spiegeln. Demgegenüber bleiben die weit schematischer gezeichneten Nebenfiguren eher unglaubwürdig. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Cameo Film- und Fernsehprod./WDR
Regie
Züli Aladag
Buch
Züli Aladag · Jörg Tensing
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Eckhart Gadow
Schnitt
Andreas Wodraschke
Darsteller
Daniel Brühl (Marko Stemper) · Manfred Zapatka (Gerd Hermsbach) · Jochen Nickel (Axel Stemper) · Angelika Bartsch (Renate Stemper) · Erhan Emre (Bülent)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Während die Verleihfassung keine nennenswerten Extras beinhaltet, besticht die Kaufversion neben dem sorgfältigen Transfer des Films vor allem durch den analytischen Audiokommentar des Regisseurs und des Darstellers Manfred Zapatka. Die Edition ist mit dem "Silberling 2004" ausgezeichnet.

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Gleich in doppelter Hinsicht muss sich Marko durchboxen: Der 19-Jährige, der mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester in einer gigantischen Hochhaussiedlung am Stadtrand von Duisburg wohnt, hat die Schule geschmissen, verdient sein Geld mit Fensterputzen und widmet sich ansonsten ganz seinem Traum von einer erfolgreichen Boxkarriere. Vater Axel ist Alkoholiker, treibt ziel- und kraftlos durch den tristen Alltag, um seine Verbitterung ab und an in Prügelattacken gegen Mutter Renate zu kanalisieren, was Axel aufbrausen und auf Distanz gehen lässt. Sein eigentliches Zuhause ist ein kleiner deutsch-türkischer Amateurboxverein geworden, in dem er mit seinem besten Freund Bülent trainiert. Doch die Dinge stagnieren, Marko kommt nicht weiter, ist ungeduldig und jähzornig; was ihm an Box-Technik und Geduld (noch) fehlt, kompensiert er mit seiner Wut auf die Gegner, die er immer dann brachial zu Boden zwingt, wenn sie ihn attackieren. Eines Tages steht der dubiose Box-Promoter Gerd Hermsbach am Ring und zeigt sich fasziniert von Markos „Geberqualitäten“; er lädt ihn ein, in sein Trainingscenter für Profis zu wechseln. Marko zögert, will die Dinge sachlich und realistisch sehen; doch die immer unerträglichere Situation mit seiner zerrütteten Familie lässt ihn schließlich mit dem alten Boxverein und seinem Freund brechen. Mit Haut und Haar verschreibt er sich Hermsbach, der Marko aus unerklärlichen Gründen bevorzugt, fördert und regelrecht verführt. Prompt kommt der erste Profi-Kampf zu früh, Marko unterliegt und bekommt zur „Strafe“ alle Privilegien entzogen. Auf eine zweite Chance hoffend, jobbt er nun als Geldeintreiber für Hermsbach und verliert dabei allmählich jedes Gefühl für die Realität: Freundschaft und Verantwortung, Familie und Geborgenheit, Erfolg und eigenverantwortlicher Aufstieg – Marko droht die Kontrolle zu verlieren, nicht nur über die Ereignisse, sondern auch über seine Gefühle und Wertmaßstäbe. „Elefantenherz“ ist eine weitere von zahlreichen Coming-of-Age-Geschichten aus Deutschland, in denen junge Menschen nach ihrem eigenen (Aus-)Weg suchen und sich im Gestrüpp scheinbar vorgezeichneter Zwänge zu verlieren drohen. Die triste Stadt Duisburg wird hier zur Paraphrase auf Scorseses „Hexenkessel“ (fd 19 864), das Boxen einmal mehr zur Daseinsmetapher, der Daniel Brühl als ungestümer, zugleich aber lern- und erkenntnisfähiger „Rebell“ eindrucksvoll Konturen verleiht; ein wenig erinnert er mit seinem melancholischen Looser-Charme und seiner Präsenz an den jungen Dennis Quaid in „Der große Leichtsinn – The Big Easy“ (fd 26 732), ohne dass er es nötig hat, zu kopieren oder zu imitieren – als getriebener junger Mann ist er der stets präsente Dreh- und Angelpunkt des kleinen Boxer-Dramas und findet in Manfred Zapatka als dubiosem, an der Grenze zur Illegalität operierendem Promoter Hermsbach einen adäquaten Gegenpart. Hier der suchende junge Mann, dort der nur scheinbar die Fäden ziehende, beruflich wie moralisch aber längst gescheiterte Protegé, der sich als mehr als nur ein Ersatzvater für Marko erweist – das ist ein höchst fesselndes, spannungsgeladenes Duo, das selbst über manche Grobmotorik der Handlung hinweg die Intensität aufrecht hält. Demgegenüber wirken die übrigen Figuren eher eindimensional, sind sie doch manch hölzernem Dialogssatz hilflos ausgeliefert. In solchen Momenten büßt Züli Aladags Erstlingsfilm oft jene Glaubwürdigkeit ein, die er in stilleren, atmosphärisch dichten Szenen überzeugend konstruierte: den genauen Beobachtungen im tristen Amateurbox-Milieu, den geschickt mit „klassisch“ gemahnender Musik verbundenen Flügen über die Ghetto-artige Wohnszenerie, den fast meditativen Augenblicken des Rückzugs auf die Hochhausdächer, den Blickkontakten und Stimmungen, etwa in einer Disco. Hier finden die zentralen Charakterbilder ihre eigentliche glaubwürdige Unterfütterung, und gewinnt der Film jene Dichte und Sensibilität, die ihn interessant macht.
Kommentar verfassen

Kommentieren