Narren (2003)

- | Deutschland 2003 | 93 Minuten

Regie: Tom Schreiber

Ein gerade nach Köln umgezogener junger Architekt wird in den Strudel der Karnevalszeit hineingezogen und erlebt Gewalt, Lügen und falsche Liebe. Eine drastische und bittere Darstellung des Karnevals als Ausrede für das hemmungslose Ausleben von Gewalt und Aggressivität, die sich vor allem gegen jene richtet, die nicht mitmachen, was als quasifaschistische Intoleranz interpretiert wird. Dies untermauert der Film mittels Tod und Morbidität suggerierenden Motiven und einer düsteren Farbgebung. Ein technisch und darstellerisch beachtliches, inhaltlich mutiges Kinodebüt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Road Movies/WDR
Regie
Tom Schreiber
Buch
Ingo Haeb
Kamera
Hajo Schomerus · Olaf Hirschberg
Musik
Jakob Ilja
Schnitt
Andreas Radtke · Miriam Strugalla
Darsteller
Christoph Bach (Roman) · Victoria Deutschmann (Stella) · Hannelore Lübeck (Omma Bützer) · Markus John (Wolf) · Christian Tasche (Chef)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Neu-Kölner und alle, die aus einer karnevalsfreien Zone in eine vom Karneval beherrschte Stadt umgezogen sind, werden sich in Roman hineinversetzen können. Für den jungen Mann, nach Köln gekommen, um eine Stelle als Bauzeichner anzutreten, stellen die Tage vor Weiberfassnacht ein böses Erwachen dar in einer fremden, lauten und unangenehmen Welt. Menschen in monströsen Kostümen torkeln durch die Gassen der Altstadt, jeder einzelne Bürger scheint einem Amüsierzwang zu unterliegen, der auch ihm, dem schüchternen Außenseiter, dringend angetragen wird; alle Gesetze des üblichen Miteinanders scheinen schlagartig außer Kraft gesetzt. Roman ist eigentlich damit beschäftigt, seine kranke, verwirrte Großmutter zu pflegen, die gleichwohl unbedingt am närrischen Treiben teilhaben will. Gleich vor seinem Appartment hat jemand einen Nubbel aufgehängt, eine lebensgrosse Pappfigur mit düsterer Maske und einem Strick um den Hals, die nach Karnevalssitte für alle im Laufe der sechs Tollen Tage verübten Sünden am Ende büßen wird. Auf einer Feier unter Kollegen geht ein Taschendieb um; Roman hilft, ihn zu verfolgen, muss aber miterleben, wie die Bestohlenen den Jungen brutal zusammenschlagen. Und das hübsche Mädchen, das ihm am Ende des Abends bereitwillig nach Hause folgt und das er in den folgenden Tagen verzweifelt im Treiben suchen wird, ist auch nicht, was es vorgibt zu sein.

„Narren“ ist der wohl drastischste Köln- und Karnevalshasserfilm seit langem. Die Motive, die Kinodebütant Tom Schreiber und sein Autor Ingo Haeb für die Darstellung der Tollen Tage gewählt haben, suggerieren eher Tod, Teufel und Krankheit als schunkelnden Frohsinn: die Oma etwa, die nur mit Mühe von den Illusionen lebt, die ihr der Enkel vormacht und die schließlich stirbt; der Taschendieb, den dasselbe Schicksal ereilt, die Exkremente, die mehrfach auftauchen; der Nubbel am Galgen, der sich als Orakel herausstellt. Schreiber, aus dem bayerischen Freising stammend, reißt dem Karnevalstreiben rabiat die Maske herunter und offenbart darunter Entsetzliches. Zunächst zeigt er eine flächendeckende Gewaltbereitschaft, die sich die allgemeine Ausgelassenheit als Ausrede zunutze macht, ebenso wie der Drang zum Partnertausch: „Ihr seid doch nichts als geile Tiere“, predigt selbst der Pfarrer in der Kirche, und niemand widerspricht ihm. Aber Schreiber, der Wim Wenders als Produzenten gewinnen konnte, geht noch weiter. Für ihn legen die aggressiven Jecken einen quasifaschistischen Vereinnahmungswahn an den Tag, nach dem Motto: Wer nicht mit uns feiert, ist gegen uns. Schon im Prolog steht der überzeugende Darsteller des Roman, Christoph Bach, mit Hitler-Frisur und -Bärtchen da und proklamiert in typisch brüllendem Duktus einen Befehl an das deutsche Volk, sich gefälligst zu Amüsieren und alle Moral fallen zu lassen. Schließlich gibt sich dann auch noch der hochheilige Karnevalsprinz als ein von Termindruck und Tinitus, permanentem Kölschtrinken- und Wasserabschlagenmüssen geplagter Spaßverbreiter zu erkennen, der mit gewohnt bitterem Witz vom Kabarettisten Wilfried Schmickler dargestellt wird. Schreiber hat die Bilder verdunkelt und die bunten Karnvalsfarben fast ganz herausgefiltert, sodass eine visuelle Stimmung herrscht, als würde die Stadt kurz vor dem Pesttod stehen. Wie die Ästhetik sind auch die Dialoge, die Arbeit mit den Darstellern sowie die szenische Auflösung inmitten des wilden Treibens gekennzeichnet von beachtlicher Sensibilität, wie sie nicht oft zu beobachten ist im deutschen Film. Dort kommt es noch seltener vor, dass jemand ohne falsche Rücksichtnahmen den Finger auf gesellschaftliche Phänomene legt, die zumindest bedenkenswert sind. Dies verdient, egal wie man zum Karneval steht, hohen Respekt.

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