Lost in Translation

Drama | USA/Japan 2003 | 102 Minuten

Regie: Sofia Coppola

In einer gesichtslosen Hotelbar in Tokio begegnen sich ein in die Jahre gekommener amerikanischer Schauspieler und die gelangweilte junge Frau eines Fotografen: zwei Jet-Set-Gestrandete, die ihres Lebens überdrüssig sind. Leise Tragikomödie über Gleichgültigkeit und die Flüchtigkeit des Daseins; ein nuanciertes Kammerspiel, das nicht nur in der verhaltenen Annäherung seiner Protagonisten eine feine Mitte wahrt, sondern auch den fremden Spiegel des zeitgenössischen Japan als irreal-verträumten und zugleich tief emotionalen Widerschein einer metaphysischen Verlorenheit nutzt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LOST IN TRANSLATION
Produktionsland
USA/Japan
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
American Zoetrope/Elemental Films/Tohokashinsha Film Company
Regie
Sofia Coppola
Buch
Sofia Coppola
Kamera
Lance Acord
Musik
Brian Reitzell · Kevin Shields
Schnitt
Sarah Flack
Darsteller
Scarlett Johansson (Charlotte) · Bill Murray (Bob Harris) · Giovanni Ribisi (John) · Anna Faris (Kelly) · Akiko Takeshita (Miss Kawasaki)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (12 Min.).

Verleih DVD
Highlight Video (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Das Bild ist schwarz. Man hört die Geräusche einer modernen Großstadt. Dann sieht man den Torso einer jungen Frau, nicht ihr Gesicht, sondern den Körper von hinten. Es ist dunkel. Eine Flughafenansage ertönt: „Welcome to Tokio International Airport.“ Das Bild blendet zu einem Mann über, der im Taxi durch die glitzernde Kulisse der Metropole fährt. Er staunt. Und der Zuschauer mit ihm. Scarlett Johannson spielt in „Lost in Translation“ Charlotte, deren Ehe schon nach zwei Jahren in Routine erstarrt ist. Ihr Mann, ein Jet-Set-Fotograf, hat sich als ständig abwesender Workaholic erwiesen; seine Frau beginnt gerade zu begreifen, dass sie im Grunde nichts miteinander verbindet. „Ich weiß nicht, wen ich geheiratet habe“, sagt sie, und verbringt die Zeit dösend und lesend und meist gelangweilt im luxuriösen Hotelzimmer. Dort, mitten in Tokio, trifft sie abends an der Bar auf Bob, den Mann vom Anfang. Dieser ist ein US-Filmstar, der nach Tokyo kam, um Whisky-Werbung zu machen. Zunächst aber begleitet der Film seine beiden Figuren einzeln im Wechselspiel durch ihren Tag in fremder Umgebung, wobei man einige der schönsten, klügsten und witzigsten Szenen sieht, die das Kino zur Zeit zu bieten hat. Beispielsweise Bob bei den ersten Werbeaufnahmen: Stoisch sitzt er da, das Glas in ungelenker Pose in der sichtbar falschen, aber fotogeneren Hand. Endlos redet der Fotograf auf Japanisch auf ihn ein, immer lauter und völlig unverständlich. Der Film gönnt den Zuschauern keine Untertitel, um das völlige Verlorensein in der Fremde erfahren zu lassen. Die Dolmetscherin übersetzt in zwei Worten: „Mehr Intensität.“ Man darf lachen, wird zugleich aber die Absurdität des Lebens fühlen, die zu dieser kurzen Szene verdichtet ist. Dann imitiert Bob mit der Gleichgültigkeit des metaphysisch Obdachlosen die Posen, die ihm vorgegeben werden: Dean Martin, Sinatra, Roger Moore. Komiker Bill Murray alias Bob reflektiert hier auch über sich selbst und seine Karriere. Zuvor schon hatte man ihn in der Suite beim Zappen gesehen: Plötzlich begegnet er sich im Fernsehen selbst, japanisch sprechend, in einer 30 Jahre alten Rolle. Gelegentlich sieht man ihn mit seiner Frau telefonieren. Die Ehe ist distanziert, die Gespräche drehen sich nur noch um die Farbe der neuen Inneneinrichtung und den Geburtstag seines Sohnes, den Bob vergessen hat. Murray glänzt in diesem melancholischen Part als desillusionierter Star, ein trauriger Clown, der sich selbst abhanden kommt ist. Indem die Regisseurin diese Figur mit der wesentlich jüngeren Charlotte in den gesichtslosen Hotelräumen des hypermodernen Tokio zusammenführt, nimmt einmal mehr die nur scheinbar abgegriffene Geschichte vom alten Mann und dem Mädchen ihren Anfang; doch Sofia Coppola erzählt sie ganz neu und frisch, dabei keusch und in atemberaubend schönem Stil.

Ein Mann hätte diesen Film so nicht machen können. Am meisten verblüfft an „Lost in Translation“ die erstaunliche Reife der jungen Regisseurin, die von Anfang an Werke schafft, die in jeder Einstellung Individualität atmen, unverwechselbare Persönlichkeit. Immer noch holt sie ihr Name ein, als ob nicht offensichtlich wäre, dass Sofia Coppola ganz andere Filme macht als ihr berühmter Vater, dass sie dort, wo dieser das Schicksal von Generationen und Epochen in epischer Breite, mit geschichtsphilosophischem Anspruch ins Kino bringt, ganz private, intime Stoffe erzählt, sogenannte „kleine“ Geschichten. Das gilt bereits für ihre erste Arbeit, das Drehbuch zu „Life without Zoe“, den von ihrem Vater verfilmten Mittelteil des Episodenfilms „New York Stories“ (fd 27 833). Auch dort geht es unter der Oberfläche einer gutgelaunten Kindheit um Einsamkeit, um den Platz in der Welt, den man nicht findet. Und: Bereits dieser Film spielt – wie „Lost in Translation“ – größtenteils in einem Hotel, was kein Zufall ist, denn nur dort verbindet sich das Private, Intime so direkt mit Anonymität, Vergänglichkeit, dem Flüchtigen wie nirgendwo anders.

Das Flüchtige, Vergängliche ist ihr Thema. Auch in „The Virgin Suicides“ (34 539), ihrem Spielfilmdebüt, der Verfilmung eines Romans des damals unbekannten Jeffrey Eugenides, einem der merkwürdigsten, aber auch bemerkenswertesten Filme der späten 1990er-Jahre. Selten wurde die Generationserfahrung und Stimmung der heute 30-Jährigen so präzis eingefangen. Hier knüpft „Lost in Translation“ an. Das eigentliche Thema des Films ist die Einsamkeit inmitten des modernen Lebens. Der Versuch, aus Gleichgültigkeit und Entfremdung der menschlichen Verhältnisse auszubrechen. Wie Schlafwandler verbringen Charlotte und Bill, gequält von Jet Lag und Isolation, ihre Nächte in der Hotelbar, verlieren und verlieben sich. Tokio wird ihnen zum seltsamen Wunderland. Nachts streifen diese „Strangers in the Night“ durch eine neonstrahlende Stadt, durch lärmende Spielhöllen und Karaoke-Bars. Die Welt oder sich selbst entdecken sie dabei nicht neu; sie haben einfach einen unvergesslichen Abend. Ihre Beziehung bleibt genau in der Mitte zwischen platonischer Liebe und Affäre. Gerade in der Vagheit und Zögerlichkeit dieses Verhältnisses stecken exemplarische, authentische Gefühle. Sie sind Situationen abgetrotzt, die sie eigentlich nicht mehr ermöglichen; ein Triumph gegen die Wirklichkeit. „Lost in Translation“ ist ein Kammerspiel über den Verdruss, voller Gefühl für die Nuancen der Empfindungen. Der Film zeigt ein in romantische Melancholie getränktes Lebensgefühl, und amüsiert zugleich, denn er ist bei aller Tiefe doch auch eine gelungene Satire auf das Verhältnis des Westens zu Japan. Zahllos sind die Witze über zu kleine Duschen und zu schnelle Laufbänder, sonderbare Werbung und grelle Fernsehshows, die aus der Sicht des westlichen Besuchers auf Kosten des zeitgenössischen Japans gemacht werden, doch der Tonfall bleibt immer liebevoll, nie verächtlich. Sehr klug und sensibel erfasst Coppolas Blick die Schönheit eines Landes, das aus der Spannung zwischen Tradition und radikaler Moderne lebt. Die Erfahrung von Fremdheit muss dabei nicht immer etwas Gutes bedeuten. Nur findet man solche Fremdheit manchmal direkt in sich selbst. In „Lost in Translation“ bestimmt das Jet-Lag-Gefühl, das Herausgerissensein aus der Zeit, die Atmosphäre, bildet das heimliche Grundempfinden. Die Bilder, in die die Regisseurin und ihr Kameramann Lance Acord diese Erfahrungen tauchen, sind hell, pastellfarben, irgendwie verträumt und irreal, aber zugleich tief emotional. Zumindest an der Oberfläche erinnern sie an andere asiatischen Filme. Wie die Figuren driftet auch die Kamera durch die Nacht, unterstützt von präzis gewählter Elektro-Popmusik, die alles in Trance zu tauchen scheint. Schlafwandelnde Bilder. „Lost in Translation“ ist zart und versponnen, reserviert und scheu, ohne jede Hybris. Komödie und Tragödie treffen sich. Alles ist möglich in der zärtlichen Geschichte dieser beiden Gestrandeten, bis zum Ende. Aber es bleibt unspektakulär. Die letzten Worte, die sie austauschen, kann man nicht verstehen: Vielleicht treffen sie sich nächste Woche; wahrscheinlich aber nie wieder.

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