Der Schmetterling

Drama | Frankreich 2002 | 83 Minuten

Regie: Philippe Muyl

Ein alter Schmetterlingssammler fährt zu einer Expedition in die Provinz und entdeckt in seinem Auto die achtjährige Tochter seiner neuen Nachbarin. Zunächst nimmt er das Kind nur widerstrebend mit, dann aber wird durch dessen Anwesenheit der Kokon aufgebrochen, den er um seine vereinsamte Seele gelegt hat. Eine kleine Geschichte, aus der sich ein poetischer, psychologisch einfühlsamer Familienfilm mit tief empfundenen Wahrheiten über die existenziell notwendige Nähe zu anderen Menschen entwickelt. Vor der einfühlsamen Kamera agieren die beiden Hauptdarsteller ebenso sensibel wie eindringlich. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
LE PAPILLON
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Alicéléo/Canal +/Cofimage 13/France 2 Cinéma/Gimages/Natexis Banques Populaire Images 3/Rhône-Alpes Cinéma
Regie
Philippe Muyl
Buch
Philippe Muyl
Kamera
Nicolas Herdt
Musik
Nicolas Errèra
Schnitt
Mireille Leroy
Darsteller
Michel Serrault (Julien) · Claire Bouanich (Elsa) · Nade Dieu (Elsas Mutter) · Françoise Michaud (Kellnerin im Café) · Hélène Hily (Marguerite, Concierge)
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Alamode/Al!ve (16:9, 1.85:1, DD2.0 frz., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Elsa ist rothaarig, sommersprossig und nicht auf den Mund gefallen. In ihrem Kopf kreisen tausend Fragen zu kleinen und großen Dingen des Lebens; alles will die Achtjährige wissen, unendlich viel mehr, als ihre Mutter jemals beantworten könnte. Die ist nämlich stets in Eile, frühmorgens schnell aus dem Haus und abends oft noch nicht zurück. Es kann sogar passieren, dass sie Elsa auf der Parkbank vergisst, und das ausgerechnet nach dem Umzug in die neue Wohnung, für die das Kind keinen Schlüssel besitzt. So beginnt der Film, der nach einer knappen Exposition zwei Menschen zusammenführt, die zu oft allein sind. Elsa begegnet dem Uhrmacher und Schmetterlingssammler Julien, der in der Wohnung unter ihr lebt und sich zunächst durch die Geräusche eines hüpfenden Balls aus dem Raum über seinem Schlafzimmer belästigt fühlt. Michel Serrault, einer der großen Altstars des französischen Kinos, spielt den Greis als leisen, introvertierten Einzelgänger, der angesichts der neuen Nachbarn lieber einmal mehr die Augen verdreht, als sich bei der Concierge zu beschweren. Erst als sich Elsa in seinem Auto versteckt und ihre Mutter wieder einmal unerreichbar ist, wird der Kontakt zu dem Kind notgedrungen intensiver. Denn Julien entdeckt das Mädchen erst, als er Paris längst hinter sich gelassen hat, um in den Bergen nach einem seltenen Schmetterling namens „Isabelle“ zu Die Filme, von denen sich Philippe Muyl möglicherweise inspirieren ließ, reichen von Chaplins „The Kid“ (fd 4 037) bis zu Claude Berris „Der alte Mann und das Kind“ (fd 14 980), in dem sich ein eingefleischter antisemitischer Bauer (Michel Simon) während der deutschen Besatzung durch die Begegnung mit einem jüdischen Jungen zum Besseren wandelt. Solche Kinoklassiker beschreiben das Aufbrechen jener harten Schale, die sich Erwachsene oft im Laufe des Lebens und geprägt von schlechten Erfahrungen um ihren doch meist weit sensibleren Kern gelegt haben. Auch in „Der Schmetterling“ trifft Elsa dank ihrer Lebendigkeit und Heiterkeit den vereinsamten Julien mitten ins Herz: Nicht nur „Isabelle“, sondern auch das Mädchen ist für ihn ein lang gesuchter Schmetterling, der die Seele erwärmt. Zugleich bezieht sich der symbolträchtige Titel auf den alten Mann selbst: Auch Julien beginnt den Kokon abzulegen, der ihn einschnürte und über viele Jahre nicht „fliegen“ ließ. Solche Metaphorik wird freilich nicht ausgestellt; sie drängt sich nicht auf, sondern behält einen eher beiläufigen Charakter. „Der Schmetterling“ entfaltet eine natürliche Poesie, die auf einer psychologisch stimmigen Regie und der unspektakulären Kamera, vor allem aber auf dem sensiblen Zusammenspiel der beiden so unterschiedlichen Hauptdarsteller beruht. Claire Bouanich als Elsa stiehlt dem großen Michel Serrault dabei bisweilen sogar die Show, die er – in weiser Voraussicht – gar nicht erst anstrebt. Das Mädchen gibt dem Alten mit seiner unbezwingbaren Naivität die Lebenslust zurück, schmeichelt und schmollt, lacht, weint – und lernt: zum Beispiel, was Wilderer sind, warum manche Ehe buchstäblich am seidenen Faden hängt und warum es Arm und Reich gibt. „Weil Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zwar gut klingt, aber nicht funktioniert“, bringt Julien die Weltgeschichte der letzten 20. Jahrhunderte auf einen Punkt.

Schwächer wird der Film immer dann, wenn äußere Spannungsmomente in die Handlung einbrechen, etwa die Rettung des Mädchens aus einer Höhle: Da holpert die Dramaturgie und verliert ihr eigentliches Zentrum. Dagegen ist die Intensität der Geschichte kaum mehr zu überbieten, wenn Serrault in einem Schattenspiel zeigen darf, wie Gott die Menschen erschuf – und sie durch Kriege wieder wegnahm. Eine Szene, die direkt zur Erinnerung an den größten Verlust im Leben Juliens hinführt: Bei einer Bauernfamilie, während er noch einmal seinen Beruf ausübt und eine Uhr repariert, beginnt er vom Tod seines Sohnes zu erzählen. Viel Zeit ist seitdem vergangen, doch die Wunden sind nie geheilt. Muyl lässt das Mädchen zur heimlichen Zuhörerin werden. Gleich danach ruft Elsa nach langem, bewusstem Schweigen ihre Mutter an: Die verlorene Liebe des alten Mannes spiegelt sich in der – vielleicht – endlich gefundenen des Kindes.

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