The Return - Die Rückkehr

Drama | Russland 2003 | 110 Minuten

Regie: Andrej Swjaginzew

Ein Drama, das auf den ersten Blick eine Familiengeschichte erzählt: Als ein Vater nach zwölfjähriger Abwesenheit zurückkehrt, verharren seine beiden Söhne ihm gegenüber in Erwartung und Demut, aber auch in Ablehnung und Hass. Der Tod des strengen, seinen Willen brutal durchsetzenden Mannes erweist sich weniger als Moment der Befreiung denn als Start in eine ungewisse Zukunft. Das klar strukturierte, in atmosphärischen Landschaften angesiedelte Kammerspiel kann auch als Parabel gelesen werden, deren Bezüge zur russischen Historie des 20. Jahrhunderts, aber auch zu menschheitsgeschichtlichen Themen auf der Hand liegen. (Signis-Preis in Venedig 2003; Preis der Ökumenischen Jury in Cottbus 2003) - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WASWRASCHTSCHENIJE
Produktionsland
Russland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Ren Film
Regie
Andrej Swjaginzew
Buch
Wladimir Moisejenko · Alexander Nowotozki
Kamera
Michail Kritschman
Musik
Andrej Dergatschew
Schnitt
Wladimir Moguljewski
Darsteller
Wladimir Garin (Andrej) · Iwan Dobronrawow (Iwan) · Konstantin Lawronenko (Vater) · Natalja Wdowina
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Am Montag kehrte der Vater zurück. Der Film lässt offen, woher; irgendwann erfährt man, dass zwölf Jahre vergangen sind, seit er die Familie verließ, verlassen musste. Entscheidende Jahre für die beiden Söhne: Während sich Andrej, der Große, noch vage an gemeinsame glückliche Momente der frühen Kindheit erinnert, ist der Mann für den jüngeren Iwan ein Fremder. Einer, dem man mit Vorsicht und Misstrauen begegnen muss, weil er die Kinder einst allein ließ, nie eine Nachricht schickte und nun auch die Geheimnisse der Vergangenheit für sich behält. Vor allem aber, weil er eine neue Ordnung ins Leben der harmonischen Gemeinschaft von Mutter und Söhnen zu bringen versucht: eine autoritäre Ordnung mit Strenge und Strafen. Neue Machtverhältnisse, die auf Unnahbarkeit und Repression beruhen.

Auf den ersten Blick ist „The Return – Die Rückkehr“ ein Familienfilm, bei dem von vornherein feststeht, dass nichts gut gehen wird. Zu still plötzlich die Mutter, zu brutal der Vater, zu störrisch und abweisend der Sohn Iwan. Nur Andrej öffnet sich dem fremden Mann, blickt zu ihm auf, himmelt ihn an: der naive Stolz eines Jungen, der die Familie wiedererstanden glaubt. Andrej Swjaginzew siedelt seinen Debütfilm in einer kalten, grauen nordrussischen Gegend an. Das Ambiente mit seinem wolkenverhangenen Himmel, dem Nebel und dem bisweilen peitschenden Regen öffnet das Bewusstsein für die Gefühlslage der Figuren, ihr Alleinsein trotz körperlicher Nähe, die Zurückgeworfenheit auf sich selbst. Die Landschaft als Spiegel von Seelenzuständen. Dazu hat der vorzügliche Kameramann Michail Kritschman die atmosphärischen Bilder graublau getönt; selbst wenn der Himmel aufbricht oder die Kamera den Blick freigibt auf weite Gras- und Wasserflächen, bleibt dies der bestimmende Farbton. Eine Endzeitwelt, verwandt mit dem Universum eines Andrej Tarkowskij oder Alexander Sokurow. Anders als Sokurow transportiert Swjaginzew sein Symbolstück allerdings mit Hilfe einer handfesten Geschichte, deren Zeitumfang durch Inserts bestimmt wird: von Sonntag bis Samstag, sieben Tage, eine magische Zahl wie aus dem Märchen oder aus der biblischen Legende – in sieben Tagen kann eine Welt erschaffen, aber auch zerstört werden.

Der erste Tag, an dem es den Vater noch nicht gibt, eröffnet mit Hilfe einer auf einem Sprungturm spielenden Ouvertüre die Charaktere der anderen Figuren: Andrej, der sich lieber anpasst und Stärkeren unterordnet; der kleine Iwan mit seinen Ängsten und seiner Widerborstigkeit; die fürsorgliche Mutter. Nachdem am zweiten Tag der Vater erschienen ist, fällt die Mutter, die dramaturgisch nicht mehr gebraucht wird, aus der Handlung heraus. Auf der folgenden Reise des Vaters mit seinen Söhnen geht es bald nur noch um seinen Versuch, die schon geformten Charaktere neu zu prägen, die Jungen zu demütigen, um vor allem Iwans Willen zu brechen. „Die Rückkehr“ kann, ja muss also auch als Parabel über das Thema Zwang und Freiheit, Druck und Gegendruck, Sanftheit und Härte gesehen werden, über den Versuch, Menschen zu indoktrinieren und ihnen das Rückgrat zu krümmen. Dass es schließlich der „Diktator“ selbst ist, der mit zerschmettertem Kreuz am Boden liegt, hat seine zeitgeschichtlichen Parallelen – genau so wie die Schlussszenen, in denen die Söhne ihren toten Vater bergen wollen, als Gleichnis auf das russische 20. Jahrhundert interpretiert werden können: jene Momente, in denen selbst Iwan – der „russische Name“ schlechthin – endlich jenes „Papa! Papa!“ über die Lippen bringt, das der Vater ihm abzutrotzen hoffte. Nicht zuletzt die am Ende des Films eingeblendeten Fotografien verweisen auf den Gleichnischarakter in Bezug zur russischensowjetischen Historie: In der Galerie der Familienbilder taucht der Vater nur ganz am Schluss auf, als junger Mann, mit einem Baby im Arm – gewissermaßen vor seiner „Verirrung“, in einer „menschlichen Phase“. Ein Foto, das die Idee einer glücklichen Familie suggeriert, eine Utopie, die sich niemals verwirklichte.

Wem diese Interpretation zu direkt erscheint, findet auch andere Deutungen: religiöse, mythische. Vom Bezug zum biblischen Schöpfungsakt war bereits die Rede. Einmal kommt Abrahams Opferung des Isaak ins Spiel. Irritierend das erste „Auftreten“ des Vaters: schlafend, nackt, nur der Unterleib ist von einem weißen Laken verhüllt, fast wie ein aufgebahrter Heiliger. Zudem verweist die Szenerie auf ein Schattenreich zwischen Erde und Himmel. Gebiert hier etwa die Abwesenheit des Vaters Ungeheuer? Oder ist er selbst eine solches?

Für sein Kammerspiel in freier Landschaft fand Swjaginzew ausgezeichnete Darsteller: Konstantin Lawronjenko als namenloser Vater, wild, mit leichtem Bartwuchs, fast wortlos, und wenn, dann mit heftigen Zornesausbrüchen. Ein entlassener Verbrecher? Ein ausgemusterter Militär? So wenig dieses Geheimnis verraten wird, so wenig erfährt man, was sich in der Truhe verbirgt, die der Vater auf dem Reiseziel, einer Insel, heimlich ausgräbt. Wladimir Garin als Andrej ist dagegen ein blonder Lockenkopf mit Augen, aus denen Hoffnung und Liebe sprechen. Später, als der Vater ihn auch für Nichtigkeiten züchtigt, senken sich diese Augen, der offene Blick verfinstert sich, wenn auch nicht ganz. Schließlich Iwan Dobronrawow als Jüngster, der von Anfang an eher verbissen schaut: Er kneift die Lippen und beißt die Zähne zusammen, seine Mundwinkel sind stets herabgezogen. Anders als sein Bruder bringt er dem Fremden keinerlei Vertrauen und schon gar keine Liebe entgegen. Zwischen den beiden Jungen gibt es dafür bezeichnende Dialoge wie: „Wo kommt er her?“ „Egal. Er ist da.“ Oder: „Woher weiß ich überhaupt, dass das unser Vater ist?“ „Er ist unser Vater.“ Iwans Ablehnung schlägt mal mehr, mal weniger heftig aus; Dobronrawow, vom Regisseur vorzüglich geführt, zeigt sie in kleinen Gesten der Verweigerung ebenso wie in heftigen Zornesattacken. Die Kluft der Entfremdung zwischen Vater und Sohn scheint maßlos. Am Ende der Geschichte sagt Iwan dann einen Satz, der die feste negative Beziehungsstruktur durchbricht: „Ich könnte Dich lieben, wenn Du anders wärst. Aber ich hasse Dich!“ Der Vater stirbt dann genau in jenem Moment, in dem er seinem kleinen Sohn zum ersten Mal ein Gefühl entgegenbringt: die Angst um das vom Tod bedrohte Kind.

Das Stichwort des Todes fällt früh: „Wenn er mich noch einmal berührt, werde ich ihn töten“, sagt Iwan am Abend des fünften Tages im Zelt zu seinem Bruder, und er schreibt das auch in sein Tagebuch. Als Waffe wird ein Messer auserkoren. Dass der Tod sich schließlich als Unfall realisiert, ändert nichts an dem Vorsatz und nichts an der Schuld, die die Jungen empfinden. Die Rückkehr von der Insel, dem Niemandsland, auf der das alles geschah, ist zugleich eine Fahrt in eine ungewisse Zukunft. Das Boot mit dem Vater geht unter, das Seil, das es am Ufer halten sollte, versinkt – vielleicht etwas zu malerisch – in Zeitlupe. Ein befreiendes Finale? Wohl eher eines des Aufbruchs in eine Ungewissheit, die größer ist als jemals zuvor. Auch das könnte als Parabel auf die Gesellschaft gelesen werden.

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