Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2004 | 129 Minuten

Regie: Pepe Danquart

Dokumentarfilm über die "Tour de France" des Jahres 2003. Er heftet sich an die Hinterräder des deutschen Telekom-Teams, das zwar Weltklassefahrer verpflichtet hat, die jedoch wissen, dass sie nicht zu den ganz Großen ihres Metiers gehören. Mit drei Kamerateams wird die "Tour" beobachtet, was zu einem in vielen Einzelbeobachtungen packenden, visuell wie musikalisch eindrucksvollen Film führt, dessen Nähe zu den einzelnen Fahrern jedoch den Blick auf das Faszinosum "Tour des France" etwas verstellt. Zum Ende hin greift er immer mehr auf "offizielle" Fernsehbilder zurück. (Teils franz.m.d.U.) - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
HÖLLENTOUR
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Quinte Film/Multimedia/Dschoint Ventschr
Regie
Pepe Danquart
Buch
Pepe Danquart
Kamera
Michael Hammon · Wolfgang Thaler · Filip Zumbrunn
Musik
Till Brönner · Schumann & Bach
Schnitt
Mona Bräuer
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Spaghetti-Berge zum Frühstück, rasierte Männerbeine, Strapazen ohne Ende, Massagen, fast jungenhafte Gespräche und die bange Vorfreude auf den nächsten Tag. Das sind einige der eher banalen Elemente, auf die sich eines der weltgrößten Sportereignisse hinter den Kulissen reduzieren lässt: die „Tour de France“, die 2003 ihren 100. Geburtstag feierte. Pepe Danquart, dessen Eishockey-Film „Heimspiel“ (fd 34 115) für den Deutschen Filmpreis nominiert wurde, nimmt das Jubiläum zum Anlass, um sich an die Hinterräder des Teams Deutsche Telekom zu klemmen und Sportgeschichte quasi aus der Unterperspektive zu dokumentieren. Zwar fahren in den Magenta-Farben Spitzenleute wie Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden und der Kasache Alexander Winokurow, die allemal für Punkte und einen Etappensieg gut sind, doch der ganz große Wurf, der Gewinn der strapaziösen Rundfahrt, wird – das wissen sie selbst – so schnell niemandem von ihnen gelingen. So gibt sich das Team zu Beginn heiter-gelassen, rechnet sich bescheidene Chancen aus, scheint froh, nicht zu den Favoriten zu gehören. Gleich zu Beginn stürzt Klöden, schleppt sich dann aber doch bis fast ans Ende der Tour. Am selben Tag erringt Winokurow den Sieg, und so ist die abendliche Stimmung im Mannschaftsbus zwar gedämpft, aber nicht depressiv. Schwerwiegender ist, dass Sprintstar Erik Zabel am sechsten Tag stürzt und sich an der Hand verletzt. Vorbei der Traum vom „Grünen Trikot“ des Sprintbesten, denn in diesem Zustand kann ihn Kollege Aldag kaum noch an die Spitzengruppe heran fahren und den Sprint für den Freund „anziehen“.

Auf diese beiden, die seit Jahren im selben Zimmer wohnen, die „Macht“ über die TVFernbedienung aushandeln und von denen jeder die Schlaf- und Schnarchgewohnheiten des anderen kennt, konzentriert sich Danquarts Film: Er zeigt sie erschöpft und missmutig unter den lindernden Händen von Masseur „Eule“ Dieter Ruthenberg, niedergeschlagen nach einem Zeitfahren, bei dem das Wichtigste, nämlich Zeit, verloren wurde, deprimiert wegen der Verletzungen, die sich im Laufe der Rundfahrt häufen. Doch Danquart geizt auch nicht mit entspannten Szenen, etwa wenn beide Kumpel flachsen, sich gegenseitig auf den Arm nehmen, kichernd verpasste Chance und Träume Revue passieren lassen oder einfach nur vor dem Einschlafen quatschen und plaudern. Dann wirken sie wie große Jungs, die das Glück kaum fassen können, ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben.

Diese Nähe birgt gewiss auch eine Gefahr: Sie schafft Distanz. Distanz zum Geschehen selbst, dessen Faszination in dieser mikroskopischen Betrachtung ein wenig untergeht. Das könnte zur Entmystifizierung der „Tour“ beitragen, das harte und wohl kalkulierte Geschäft in den Vordergrund rücken, zu dem auch der unsägliche Reklame-Tross zählt, der Tag für Tag lange vor den Fahrern lärmend die Etappe aufrollt. Hier wirkt Danquart merkwürdig unentschlossen: Er konzentriert sich nicht auf die typischen Wasserträger, die ihre Kapitäne versorgen und Lücken zufahren, sondern zeigt Leistungsträger, die sich ihres Marktwerts durchaus bewusst sind und mit den richtigen Kapitänen ihren „Biss“ auch längst bewiesen haben. In der Person des „Tourhistorikers“ Serge Laget hat er zudem jemanden gefunden, der mit Anekdoten und Histörchen, einem enormen Archiv sowie seinem profunden Wissen gewiss nicht angetreten ist, den Mythos der Tour zu hinterfragen. Auch der Verlauf der Sportveranstaltung trägt dazu bei, den Blickwinkel des Berichterstatters zu verändern. Plötzlich zeichnet sich ein Duell ab, das zu Beginn kaum jemand für möglich gehalten hätte: Wiedereinsteiger Jan Ullrich fordert nach seiner Dopingsperre den haushohen Favoriten Lance Armstrong heraus. Im letzten Drittel kippt dann der Film, der nun immer mehr offizielle Fernsehbilder einbezieht und den sich über Tage hinziehenden Zweikampf an der Spitze in der Montage dynamisiert. Die eigentlichen Helden geraten dabei ein wenig in Vergessenheit, ebenso wie der Amerikaner Tyler Hamilton, der sich bereits beim Prolog das Schlüsselbein brach und trotzdem eine Etappe gewinnen konnte.

Erst ganz am Ende, in Paris, sind Aldag und Zabel wieder präsent: Erschöpft sitzen sie auf ihren Rennmaschinen und rollen dann aus dem Bild, zu anderen Einsätzen. Hier lugt noch einmal der Schalk zwischen den Bildern hervor, zeigt sich das unverstellte Jungenstaunen: es wieder geschafft zu haben, wirklich dazu zu gehören, verbunden mit der Hoffnung, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein, trotz aller Leiden und Strapazen. Der Stoff, aus dem die Helden sind, taugt eben kaum zur Mythenzertrümmerung.

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