Drama | Deutschland 2004 | 90 Minuten

Regie: Michael Klier

Eine junge Frau kehrt aus Berlin in ihre brandenburgische Heimatstadt zurück, weil sie sich um ihre Schwester kümmern will, die nach einem Autounfall im Koma liegt. Im Krankenhaus lernt sie den innerlich verhärteten Vater des Freundes ihrer Schwester kennen und muss sich auch mit ihrem Ex-Geliebten auseinandersetzen, der den Absprung aus dem Städtchen nicht geschafft hat. Ein in ruhigen, unprätentiösen Momentaufnahmen entfaltetes Drama über die Sehnsucht nach Glück, die Unfähigkeit, miteinander in Kommunikation zu treten und Augenblicke der Schönheit an gesichtslosen Orten. In der Hauptrolle überragend gespielt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Zero Film/RBB/WDR/arte
Regie
Michael Klier
Buch
Undine Damköhler · Michael Klier
Kamera
Hans Fromm
Musik
Neil Black
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Laura Tonke (Karla) · Richy Müller (Axel) · Daniel Brühl (Frank) · Karina Fallenstein (Birgit) · Thure Lindhardt (Julian)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein junges Mädchen, in rotem Lederdress und mit Cowboyhut. Dennoch befindet man sich nicht im Western. Die Grenze liegt unmittelbar vor Berlin, und selbst die Ausbruchsträume sind denkbar bieder. Das Mädchen, das lächelnd, aber mit leeren Augen ihren Werbetext für Fertighäuser aufsagt, passt auch hier nicht her. Dass sie sich unwohl fühlt, merkt man sofort: eine Fremde. Dann bekommt sie einen Anruf und muss heimkehren an den Ort, den sie einst verließ. Aufbrechen, Heimkehren, die Einsamkeit verlorener Kinder, die Fremdheit der Rückkehrer und die Depression der Daheimgebliebenen: Es sind tatsächlich Motive aus der Western-Mythologie, die hier dominieren. Selbst der Titel von Michael Kliers viertem Spielfilm lenkt das Unterbewusstsein in die Ferne der nordamerikanischen Prärie, lässt an Cowboyfilme und Road Movies denken. Doch „Farland“ ist nicht nur eine Stadt in Brandenburg, sondern in diesem Film auch ein ebenso namen- wie gesichtsloser Ort. Hierhin kehrt Karla nur zurück, weil ihre Schwester mit dem Auto verunglückt ist. Die Mutter ist verreist und einstweilen nicht aufzufinden. Bis dahin will sich Karla um die Verletzte kümmern, die im Krankenhaus im Koma liegt. Ob sie je erwacht, ist ungewiss. Im Krankenhaus ist auch der Ausnahmezustand Routine: Daten erfassen Lebenszeichen und Tod. Neben ihrer Schwester liegt deren Freund, der das Auto fuhr, gleichfalls im Koma. Ihn besuchen seine Eltern, die seit langem getrennt sind. Den Vater, einen erstarrten Mann, wird Karla in den nächsten Tagen etwas besser kennen, aber nicht lieben lernen.

In aller Ruhe entfaltet Klier diese Situation. Er beobachtet, wie Karla sich zögerlich in sie hineintastet, ein Bild zu gewinnen versucht. Er zeigt, wie sie sich im „Etap Hotel“, wo selbst der Portier durch einen Automaten ersetzt wurde, ein Zimmer mietet, weil sie nicht zuhause wohnen will. Er begleitet sie an Plätze, die sie von früher kennt: Eine Diskothek, die kaum besucht wird, ein ödes Shopping-Center. Lässt sie mit Menschen zusammen treffen, alten Bekannten, aber auch mit ihrem Ex-Freund Frank, den sie verlassen hat, und der den Absprung nicht mehr schaffen wird: „Du hast Dich verändert“, sagt er. „Du Dich nicht“ – damit ist alles gesagt. Klier vermeidet dabei alle Psychologisierung. „Was is’n besser ohne mich?“, fragt Frank. „Du bist halt so anstrengend.“ Dabei bleibt es. Stattdessen werden gesichtslose Häuser und einsame Straßen gezeigt, über denen sich ein weißgrauer Himmel wölbt; eine deprimierend hoffnungslose Welt. Es sind Etüden über die Leere, die Klier und sein Kameramann Hans Fromm in bezwingende, genau komponierte, zumeist statische Bilder fassen: viele Plansequenzen, wenige Großaufnahmen, kaum Schwenks. Ruhe, die zu bleierner Starre wird. Eine Starre, die in den Verhältnissen und Zuständen von „Farland“ begründet ist. Trotzdem ist „Farland“ ein Film, der nicht die Zeit zum Thema hat, sondern den Raum, und der sich damit gut in die Tendenz des neueren deutschen Kinos fügt. Während Wenders und Herzog und auf andere Weise auch Schlöndorff Zeit-Filme gemacht haben, begegnet man in den Werken des zeitgenössischen Kinos vor allem Raum-Konzeptionen und -Beobachtungen.

Fromm führte auch in fast allen Filmen von Christian Petzold die Kamera. Ein Vergleich von „Farland“ mit Petzolds letztem Film „Wolfsburg“ (fd 36 150) ist aufschlussreich. Auch dort geht es um die zaghafte Annäherung zweier Menschen, die durch ein Unglück verbunden sind. Auch dort bildet der Betrieb des Krankenhauses das Zentrum der Handlung. Doch wo Petzold symbolisiert und mehrere Filme gleichzeitig im Kopf hat, beschränkt sich Klier auf das Beobachten und Abbilden der vorgefundenen Wirklichkeit. Er verzichtet auf deren Stilisierung; höchstens die leitmotivisch eingesetzte Shopping-Mall könnte als solche verstanden werden. Dieses Zentrum des Konsums, ein Ort der „Amerikanisierung“ des Lebens und ein Symbol für die Eroberung Ostdeutschlands, ist eine ästhetische und eine soziale Erfahrung zugleich. So von allem Zauber befreit, in ihrer ganzen Tristesse und der unter Kitsch versteckten Depression hat man eine Mall im deutschen Kino noch nicht gesehen.

„Farland“ interessiert sich primär für Situationen und Personen, für die allgegenwärtige Atmosphäre aus Krise und Tristesse, Zukunftsangst und Kälte. Die Glückssehnsucht der Menschen ist spürbar, doch sie finden nur in sich Trost, nicht bei anderen. Schuld daran ist nicht falsche Coolness, sondern die Unfähigkeit zur Kommunikation. Auch der Umgang mit Gefühlen hat sich verändert. Vieles ist beliebig, Begegnungen bleiben kurz und scheu. Nur fragmentarisch enthüllen sie etwas von dem, was im Inneren der Menschen vor sich geht. Eine Geschichte entsteht aus diesen Momenten nicht, Beobachtungen überwiegen. Die Unsicherheit, das Tastende von Kliers Blick ist erlebbar. Ein wenig überwiegt zum Schluss gefällige Koma- Mythologie, die man auch aus anderen Filmen kennt: Koma als Metapher, um Menschen in Bewegung zu setzen. Der von Daniel Brühl gespielte Ex-Freund dient vor allem als Running Gag, und wenn Richy Müller als Vater am Ende zusammenbricht und alle Welt um Verzeihung bittet, hat dies nicht nur berührende, sondern auch unfreiwillig lächerliche Züge. Überragend hingegen Laura Tonke als Karla: Eine Verlorene, die trotzdem Stärke zeigt. Ihr glaubt man das stille Drama und die Verzweiflung, die lebensnotwendig ist. „Farland“ ist ein Film, der die Vergangenheit als einen Raum beschreibt, den man verlassen darf. Dass das Vergessen auch eine Tugend sein kann, ist lange mit gutem Grund im deutschen Kino nicht gesagt worden. Klier hat ein im besten Sinne existentielles Drama geschaffen: nüchtern und kühl, ohne kalt zu sein, präzise und manchmal wunderschön.

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