Die kalte See

Drama | Island/Frankreich/Norwegen 2002 | 109 Minuten

Regie: Baltasar Kormákur

Als der Besitzer einer Fischfabrik auf Island sein Lebenswerk durch Fangquoten und Globalisierung bedroht sieht, ruft er seine erwachsenen Kinder zusammen, um über die Zukunft des Betriebes zu beraten. Doch bei dem Familientreffen brechen alte Wunden auf, und es kommt zum Eklat. Eine präzise erzählte, von stimmungsvollen Bildern und überzeugenden Schauspielern getragene Familiensaga. Zu der düsteren Grundstimmung des Films und der in Einsamkeit und Verzweiflung gefangenen Protagonisten bildet der spezifische Humor ein wohltuendes Gegengewicht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HAFID | HAVET
Produktionsland
Island/Frankreich/Norwegen
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Blueeyes Prod./Emotion Pictures/Filmhuset Produksjoner
Regie
Baltasar Kormákur
Buch
Baltasar Kormákur · Olafur Haukur Simonarson
Kamera
Jean-Louis Vialard
Musik
Jon Ásgeirsson
Schnitt
Valdis Oskarsdóttir
Darsteller
Gunnar Eyjólfsson (Thordur) · Hilmir Snaer Gudnason (Ágúst) · Hélène de Fougerolles (Françoise) · Kristbjörg Kjeld (Kristín) · Sven Nordin (Morten)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein bemerkenswert informatives "Making of" (42 Min.), das allerdings nur englisch untertitelbar ist.

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 isl.)
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Diskussion
Nach „101 Reykjavik“ (fd 35 445), seiner schwarz-humorigen Satire um ein asoziales Muttersöhnchen, wählte der Schauspieler und Theaterregisseur Baltasar Kormákur für seinen zweiten Spielfilm ein Bühnenstück von Olafur Haukur Simonarson als Vorlage, das sich an Hand eines Familiendramas mit einem die Nation spaltenden Thema auseinandersetzt: der Quotierung in der isländischen Fischerei. Der Fischfabrikbesitzer Thordur weigert sich standhaft, seinen Betrieb an eine größere Firma zu verkaufen, um für sein Dorf die Arbeitsplätze zu retten. Dabei ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Globalisierung und Fangquoten seinem Lebenswerk den Todesstoß versetzen. Da er seinem Ältesten, Haraldur, der bereits die Geschäfte und hinter seinem Rücken Fusionsgespräche führt, nicht über den Weg traut, will er dem in Paris Ökonomie studierenden Jüngsten die Firmenleitung übergeben. Doch Ágúst hat längst sein Studium aufgegeben und hält sich mühsam als Songwriter über Wasser. Nur auf Drängen seiner schwangeren französischen Lebensgefährtin Françoise, die unbedingt seine Familie kennen lernen will, kehrt er in sein Heimatdorf zurück. Auch seine Schwester Ragnheidur, die einst im Ausland Film studiert hat und nun in Reykjavik lebt, trifft mit ihrem Mann sowie beider pubertierendem Sohn ein. Die scheinbare Familienidylle wird durch Kristin komplettiert, die Schwester von Thordurs verstorbener Frau, sowie ihre Tochter Maria. Obwohl jeder weiß, dass Thordurs Verhältnis zu Kristin schon während der Krankheit seiner Frau begann und Maria sein Kind ist, verleugnet er noch immer die Vaterschaft. Die innerfamiliären Konflikte werden noch verschärft, weil Maria Ágúst abgöttisch liebt, Haraldurs Frau Aslaug ständig betrunken ist und Großmutter Kata nörgelnd durchs Haus läuft. Schließlich brennt es lichterloh – nicht nur in der Fabrik, sondern auch in den Seelen. Die Ausgangssituation ist ähnlich wie in Thomas Vinterbergs „Das Fest“ (fd 33 486): Von überall folgen die Angehörigen dem Ruf des Familienoberhaupts, um dann die lange Zeit aufgestauten Konflikte auszuleben. Doch Kormákurs Inszenierung steht geradezu konträr zu den „Dogma“-Regeln. Die Bilder seines französischen Kameramannes Jean-Louis Vialard sind äußerst streng durchkomponiert, fangen stimmungsvoll das ständige Halbdunkel des isländischen Winters ein und verweisen in ihrer farblichen Tristesse von Beginn an auf den vorwiegend depressiven Gemütszustand der Protagonisten. Das Drehbuch zeichnet mit wenigen Strichen und knappen Dialogen die Figuren. So bedarf es allein eines einzigen Satzes von Françoise, um dem Zuschauer den Zustand ihrer Beziehung zu Ágúst zu verdeutlichen: „Du schreibst Liebeslieder und fühlst nichts für andere.“ Auch das offenbar seit der Kindheit gestörte Verhältnis zum Vater wird in dessen Erkenntnis, dass man nie etwas zusammen gemacht habe, zum Greifen deutlich. Deutlich orientiert sich „Die kalte See“ sowohl an klassischen Familiensagen als auch an psychologisierenden Beziehungsdramen, wobei sich der Film in seiner spröden Opulenz aber immer wieder nach außen öffnet. Kormakurs sarkastischer Humor manifestiert sich in jener großartigen Szene, als Ragnheidur ihrem nervigen Sohn das plärrende Computerspiel abnimmt und es mit der Frage „Ist die Landschaft nicht großartig?“ aus dem Autofenster wirft. Zugleich steht eine skurrile Gestalt wie die des Dorfpolizisten in bester isländischer Filmtradition, wobei Kormákur weder die komischen noch die dramatischen Elemente aus den Händen gleiten. Das verdankt er nicht zuletzt auch dem wie aus einem Guss spielenden Ensemble, in das sich die Französin Hélène de Fougerolles nahtlos einfügt. Warum sie freilich mit Ágúst englisch spricht, bleibt die einzige Ungereimtheit in dieser von Verzweiflung und Einsamkeit geprägten Familiensaga, deren Hoffnungsschimmer genauso spärlich „leuchten“ wie die Sonne auf dem unwirtlichen Eiland.
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