Alles auf Zucker!

Komödie | Deutschland 2004 | 95 Minuten

Regie: Dani Levy

Zwei seit Jahrzehnten verfeindete Brüder, der eine ein halbseidener Billardspieler, der andere ein orthodoxer Jude, sollen sich nach dem testamentarischen Willen ihrer verstorbenen Mutter versöhnen und gemeinsam deren Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof in Berlin organisieren. Weitgehend amüsante, hervorragend gespielte, eigenwillig-verschrobene Komödie, die vom jüdischen Leben in Deutschland erzählen will, dabei aber immer wieder in Richtung gehobenen Boulevard-Theaters tendiert und ihren Gegenstand angesichts des schwachen Drehbuchs nicht in den Griff bekommt. Das herausragende Darsteller-Ensemble wirkt dabei sichtlich unterfordert. - Ab 12 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
X-Filme Creative Pool/WDR/BR/arte
Regie
Dani Levy
Buch
Dani Levy · Holger Franke
Kamera
Charly F. Koschnick
Musik
Niki Reiser
Schnitt
Elena Bromund
Darsteller
Henry Hübchen (Jaeckie Zucker) · Hannelore Elsner (Marlene) · Udo Samel (Samuel) · Golda Tencer (Golda) · Steffen Groth (Thomas)
Länge
95 Minuten
Kinostart
06.01.2004
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12 möglich.
Genre
Komödie
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Jaeckie Zucker ist ein in die Jahre gekommener Stenz, ein professioneller Spieler, der nach dem Ende der DDR nicht viel Glück hatte und mit seinen Eskapaden nur deshalb durchkommt, weil er kesse Sprüche drauf hat und in Notsituationen einen lausbübischen Charme entwickelt. Dennoch hat er längst den Bogen überspannt und steht hoch verschuldet mit einem Bein im Gefängnis. Auch seine Frau Marlene ist mit ihrer Geduld am Ende und will die Scheidung. Jaeckies letzter Strohhalm ist ein hoch dotiertes Billard-Turnier, für das er allerdings erst einmal das hohe Startgeld zusammenschnorren muss. Ausgerechnet in dieser zugespitzten Situation – Jaeckie bleiben nur wenige Tage, um sein Leben zumindest ökonomisch in Ordnung zu bringen –, holt ihn seine verdrängte Vergangenheit in Form der Nachricht vom Tod seiner jüdischen Mutter ein. Diese, in Israel verstorben, möchte auf dem jüdischen Friedhof von Berlin beerdigt werden, wozu Jaeckie nicht nur das ungewohnte Gespräch mit Rabbi Ginsberg suchen, sondern auch die Familie seines Bruders Samuel vom Flughafen abholen muss. Unvermittelt steht so die lange Zeit verdrängte „Jewishness“ auf dem Plan, was für Jaeckie und sein säkularisiertes Milieu eine echte Herausforderung darstellt. Zumal familienintern noch einige Rechnungen offen sind: Unmittelbar vor dem Mauerbau war die Mutter mit dem kränklichen Samuel in den Westen gereist, aber die Sportskanone Jaeckie wollte lieber im Sportinternat bleiben, weshalb die Familie getrennt wurde. Jaeckie machte als Sportreporter Karriere in der DDR, der Rest der Familie emigrierte nach Israel. Die böse Überraschung folgt auf dem Fuß: Die Mutter hat in ihrem Testament nicht nur eine Aussöhnung der Brüder verfügt, sondern auch eine eventuelle Erbschaft davon abhängig gemacht, dass die traditionelle siebentägige Schiva-Trauerfeier abgehalten wird. Damit aber kommt sie Jaeckies Billard-Turnierplänen empfindlich in die Quere. Es dauert einige Zeit, bis Dani Levys Komödie über religiösen Pragmatismus in Krisenzeiten ihre Ausgangsbasis für die Verwicklungen einigermaßen tragfähig entwickelt hat. Wo auf der Seite der Orthodoxen ein engstirniger religiöser Dogmatismus vermutet wird, agiert Jaeckie ohne jeden Respekt gegenüber den Gefühlen seiner toten Mutter, simuliert Krankheiten und findet fadenscheinige Ausreden, um sich die Freiheiten zu sichern, sein Eigeninteresse verfolgen zu können. Natürlich erweist sich sein Zeitplan als zu knapp bemessen, um sich durch die einander ausschließenden Ansprüche hindurch zu lavieren. Bedenkenlos involviert er andere Menschen in seine Pläne oder lässt sich von verkleideten Freunden mit einem Rettungswagen „befreien“. Als Marlene schließlich in einer kurzen, aber prägnanten Szene im Krankenhaus bemerkt, wie egozentrisch Jaeckie handelt, scheint der Film plötzlich schmerzhaft werden zu wollen. Doch just, als Jaeckie vor versammelter Familie „entlarvt“ wird, als er die Erbschaft und das Preisgeld verspielt zu haben scheint, kommt ihm der unerwartete ökonomische Pragmatismus Samuels auf halbem Weg entgegen. Der angeschlagene Schwerenöter Jaeckie bekommt eine letzte Chance zum großen Auftritt. Die Idee, jüdisches Leben in der deutschen Gegenwart zum Thema eines Films zu machen, soll ein wichtiger Grund für die Beteiligung der Fernsehanstalten gewesen sein. Ursprünglich als Fernsehspiel konzipiert, sorgte die positive Resonanz bei Publikumsvorführungen dafür, dass der Film nun einen Kinostart erhält. So begrüßenswert dies ist, so bleibt doch zu fragen, inwieweit die Verbindung von Komödie und jüdischer Gegenwart glücklich gewählt ist, zumal die jüdische Gegenwart eigentlich ein blinder Fleck in der Komödienkonstruktion bleibt, die extrem von der Ausnahmesituation lebt. Mit Ausnahme von Jaeckie Zucker wirkt keine Figur ausgearbeitet, was dem Film eine blutleere Asymetrie verleiht: Die larmoyante Prä-Wende-Nostalgie reibt sich am Bild jüdischer Gegenwart, das allerdings gerade nicht aus Frankfurt/Main, sondern aus Jerusalem oder Tel Aviv stammt. Zugespitzt könnte man sagen: „Alles auf Zucker“ zeichnet ein Bild aktuellen jüdischen Lebens in Deutschland, in dem es zwar Rabbis und Judaica-Shops gibt, aber keine Juden. Ein weiteres Manko: Alles dreht sich in dem Film letztlich ums Geld. Die zentrale Annahme, Geld könne die drängendsten Probleme aus der Welt schaffen, erinnert in diesem Zusammenhang unfreiwillig an die rechten „Entschädigungspolemiken“ der 1950er- und 1960er-Jahre. Der zentrale Kulturkonflikt wird zum Gegenstand betont lustiger Gemmen, etwa wenn Samuel im Bordell von einer Araberin „verwöhnt“ wird oder sich Jaeckie und Samuel „auf Ecstasy“ näher kommen. Selbst der ultraorthodoxe Joshua, dessen Beharren auf Aufrichtigkeit und Respekt gegenüber der Religion in diesem Milieu fast schon liebenswert scheint, wird durch ein eilends aus dem Hut gezaubertes uneheliches Kind zum herrschenden Pragmatismus „überredet“. So erscheint ein bis in die Nebenrollen hervorragendes Darstellerensemble letztlich durch das schwache Drehbuch unterfordert, das nie die vorgetäuschte dramatische Fallhöhe einlöst und sich um die zentrale Problematik herumdrückt. Zahnlos schnurren die materialistischen Kapriolen Richtung gehobenes Boulevardtheater, wo – mit Verlaub – weder der vollmundig beschworene „jüdische Humor“ des Films noch die Darstellung aktuellen jüdischen Lebens in Deutschland einen angemessenen Ort hat.
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