Die Blutritter

Dokumentarfilm | Deutschland 2004 | 88 Minuten

Regie: Douglas Wolfsperger

Dokumentarfilm um eine Prozession, die alljährlich am Tag nach Christi Himmelfahrt im oberschwäbischen Weingarten ihren Lauf nimmt, eine Wallfahrt, an der regelmäßig 3.000 Reiter und 10.000 Pilger zu Fuß teilnehmen, um eine Reliquie des örtlichen Klosters zu verehren. Dabei wird das der Zeit entrückte Prozedere zum Aufhänger für das ebenso stimmungsvolle wie kurzweilige Porträt eines Landstrichs und seiner Bewohner, die trotz der Beschwörung von Tradition, Zusammenhalt und dem großen Miteinander keineswegs gegen Einsamkeit und Ausgrenzung gefeit sind. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Elkon-Südwest/BR/3sat
Regie
Douglas Wolfsperger
Buch
Douglas Wolfsperger
Kamera
Igor Luther
Musik
Haindling
Schnitt
Götz Schuberth
Länge
88 Minuten
Kinostart
30.09.2004
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Der Titel dieses Dokumentarfilms klingt martialisch, irgendwie nach einer Mixtur aus Kreuzritter-(Un-)Wesen und Ku- Klux-Klan. Wenn man im Vorspann in schwarz-weißen Archivbildern seltsame Gestalten zu Pferde durch weitgehend naturbelassene Landstriche traben sieht, dann scheint der anfängliche Argwohn keineswegs unangebracht. Dabei handelt es sich, wie dann satte Farbbilder bald deutlich machen, doch lediglich um das harmlose Spektakel einer Prozession, die am Tag nach Christi Himmelfahrt im oberschwäbischen Weingarten alljährlich ihren Lauf nimmt. Eine Wallfahrt, an der regelmäßig 3.000 Reiter und 10.000 Pilger zu Fuß teilnehmen, um eine Reliquie des örtlichen Klosters zu verehren, die angeblich einen echten Blutstropfen des gekreuzigten Christus birgt.

Douglas Wolfsperger, einst Schüler im klösterlichen Internat zu Weingarten, nimmt dieses seltsam Zeit entrückte Prozedere zum Aufhänger für ein stimmungsvolles Porträt jenes Landstrichs und seiner Bewohner. Die Hauptprotagonisten stellen sich jeweils mit Kurzbiografie und Bildern aus ihrem privaten Familienalbum vor und sind fortan bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu beobachten. Da sind der Metzger, der über den liebevollen Umgang mit dem (Schlacht-)Vieh spricht, und ein Restaurator, der aus seinem wechselvollen Leben erzählt. Hinzu kommen ein Mönch aus dem Kloster, ein fideler Bäckermeister, ein verwitweter Bauer, der allein auf seinem Hof außerhalb der Stadt lebt, sowie ein Bestatter, dessen ganze Passion dem Leben der nordamerikanischen Indianer gehört; weshalb der Mann nicht nur sein Haus zu einem Indianer-Museum gemacht hat, sondern auch hin und wieder mit Federhaube, Fransenhemd und Trommel auf sattgrünen Wiesen anzutreffen ist, wo er indianische Gesänge erklingen lässt. Ein buntes Völkchen, aber nicht unbedingt ein lustiges: „Wir Schwaben sind kein einfaches Volk“, erklärt der Metzger und spricht von einer wortkargen Verschlossenheit, die Fremden die Aufnahme in die Gemeinschaft arg schwer mache. Was auch der Krankenpfleger zu berichten weiß („Die erste Zeit war grausam“), den es einst der Liebe wegen aus Berlin in die oberschwäbische Provinz verschlug.

Wie schon in seinem Dokumentarfilm „Bellaria – so lange wir leben!“ (fd 35 675) lässt Wolfsperger seine Figuren erzählen, lässt ihre teils politisch nicht sonderlich korrekten Ansichten unkommentiert und verzichtet auch bei skurrilen Figuren wie dem Hobby-Indianer gänzlich darauf, sich über sie lustig zu machen. Dabei ist sein Film voll mit allen erdenklichen Formen der Situationskomik, die allerdings nie zu Lasten seiner Figuren geht. Da bekommt in einer Sequenz der ledige Bäcker Besuch von einem Bekannten nebst dessen erstaunlich dunkelhäutiger Frau, und während das Trio auf einer Bank sitzt und der Ehemann über die seiner Auffassung nach „völlig überzogenen“ Ansprüche deutscher Frauen referiert, sieht man die Hand seiner ebenso exotischen wie stummen Lebensgefährtin fortwährend auf dem Schenkel des entrückt lächelnden Bäckers ruhen. Ein wahrlich irritierendes Bild, das Wolfsperger in seiner ganzen Assoziationsbreite einfach stehen lässt. Für ironische Distanzierungen sorgen lediglich Montagewitz und die wunderbare Musik von Haindling alias Hans-Jürger Buchner, der die Indianer-Sequenzen auch schon einmal mit Klängen unterlegt, die an Martin Boettchers „Winnetou“-Musik erinnern.

Von der ominösen Reiter-Prozession ist dabei lange Zeit allenfalls am Rande die Rede, bis die Vorbereitungen für das Ritual gegen Mitte des Films konkrete Gestalt annehmen. Als dann am Tag der Tage der imposante Zug durch die pittoreske Landschaft zieht, entpuppt sich der Umzug als beeindruckendes Spektakel, das Kameramann Igor Luther in teils hinreißenden Totalen einfängt, die die Kinoleinwand füllen. Wo die Prozession zunächst Schlusspunkt des Films zu bilden scheint, fügt Wolfsperger noch eine Art Epilog hinzu. Da sieht man in einer anrührenden Szene den allein leben alten Bauern, dem die Frage, ob sein geliebtes Pferd ihn womöglich überleben könnte, die Tränen in die Augen treibt – schlicht, weil er sich darum sorgt, dass dem Tier nach seinem Ableben ein unverstanden einsames Leben bevorstehen könnte. Gegen Einsamkeit ist man als Mensch auch in Gegenden, wo viel von Tradition, Zusammenhalt und dem großen Miteinander die Rede ist, keineswegs gefeit. Wenn dann der Restaurator plötzlich mit seinem Lebensgefährten auftaucht und erzählt, wie er wegen seiner Homosexualität von der Gemeinschaft geschnitten wurde, bis er schließlich aus dem schönen Weingarten wegzog, dann bleibt von der ländlichen Idylle als paradiesischem Lebensraum nicht allzu viel übrig. Wolfsperger ist das ebenso stimmige wie kurzweilige Porträt eines wundersamen Mikrokosmos gelungen, bei dem er nur die Blut-Metaphorik arg übertreibt. So viele Schlachtungen wie hier zu sehen, hätte es wirklich nicht gebraucht.

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