Kindergesichter

- | Frankreich/Schweiz 1923-25 | 117 (TV 80) Minuten

Regie: Jacques Feyder

Nach dem Tod seiner Mutter zieht sich ein Zehnjähriger in seine Trauer zurück. Sein Vater heiratet erneut, doch der Junge begegnet seiner warmherzigen Stiefmutter mit Ablehnung, deren kleiner Tochter sogar mit Hass. Die Situation eskaliert, als das Mädchen durch die Schuld des Jungen in einem Schneesturm fast erfriert. An Originalschauplätzen im Ober-Wallis gedreht, besticht der Stummfilm vor allem durch die hervorragende Kameraarbeit. Die restaurierte und kolorierte Fassung überzeugt zudem durch die neu komponierte Musik (von 2003), die die Wucht und Aussage des Films angenehm untermalt. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
VISAGES D'ENFANTS
Produktionsland
Frankreich/Schweiz
Produktionsjahr
1923-25
Produktionsfirma
Mundus/Zoubaloff & Porchet/Les Grands Films Indépendants
Regie
Jacques Feyder
Buch
Jacques Feyder · Françoise Rosay · Dimitri de Zoubaloff
Kamera
Léonce-Henri Burel · Paul Parguel
Musik
Antonio Coppola
Schnitt
Jacques Feyder
Darsteller
Victor Vina (Pierre Amsler, Vater) · Jean Forest (Jean Amsler, Sohn) · Rachel Devirys (Jeanne Dutois, zweite Ehefrau von Pierre Amsler) · Pierette Houyez (Pierrette Amsler, Tochter) · Arlette Peyran (Arlette Dutois)
Länge
117 (TV 80) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (FF, DD5.1)
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Diskussion
Saint-Luc, ein abgelegenes Bergdorf im Oberwallis. Der zehnjährige Jean Amsler steht traumatisiert am Grab seiner Mutter. Nach kurzer Trauerzeit heiratet sein Vater, der Bürgermeister des Ortes, eine Witwe. Deren Tochter Arlette wird zum Hassobjekt des eifersüchtigen Jungen. Voller Wut wirft der eine Puppe aus dem Schlitten und schickt das Mädchen anschließend zur Suche in die Winternacht hinaus. Arlette verirrt sich und findet den Heimweg nicht. Als sie nach einem Lawinensturz halberfroren in der verschütteten Kapelle gefunden wird, straft der Vater den geständigen Übeltäter mit Kälte und Gleichgültigkeit. Der sensible Jean verlässt das Elternhaus und stürzt sich in einen reißenden Gebirgsfluss. Die alarmierte Stiefmutter findet ihn und unternimmt in letzter Minute einen gefährlichen Rettungsversuch. Der Stummfilm wurde von dem Belgier Jacques Feyder (1885–1948) an Originalschauplätzen in Grimentz, Vissoie und Cuimey gedreht. Bis vor wenigen Jahren galt er als verschollenes Meisterwerk. Der für seine Entstehungszeit ungewöhnliche, weil vollständig aus der Perspektive seines kleinen Hauptdarstellers aufgenommene Film überzeugt durch die authentische Kulisse der Schweizer Bergwelt, einer unaufgesetzten Natürlichkeit. Das sozialrealistische, der schwedischen Schule und dem lyrischen Naturalismus eines Victor Sjöström nahestehende Werk lebt von seiner stimmigen Atmosphäre und ethnografischen Ausrichtung. Für den gut akzentuierten Schnitt zeichnet der Regisseur selbst verantwortlich. Im Gegensatz zur zeitgenössischen grotesken Verformung der Bauten und Räume des Caligarismus setzt Feyder auf den direkten visuellen Effekt der Inszenierung. Dem auch für Abel Gance tätigen Kameramann Léonce-Henri Burel gelingt eine psychologisch eindringliche, impressionistische Bildästhetik. Das entbehrungsreiche Dasein in der strukturschwachen Berglandschaft spiegelt die Innenansichten, die Seelenwelten der Protagonisten, obgleich die Gesten der gut geführten Kinder bisweilen aufgesetzt, ja gedrillt wirken. Jean Forest, ein waschechter Straßenjunge aus Paris, gibt der Hauptfigur ein unverwechselbares, glaubwürdiges Gesicht. „Feyder hat es verstanden, seinen Kindergesichtern den Heiligenschein der Schlichtheit aufzusetzen, dessen es bedarf, um sie herauszuheben und in ihnen den unendlichen Schmerz zum Ausdruck zu bringen“, schrieb ein Kritiker nach der Uraufführung im Januar 1925. „Kindergesichter“ lebt von den traumhaften Landschaften der Schweiz. Die tiefgläubige, von Armut gezeichnete Bevölkerung gibt die Folie einer verlassenen Welt – wie in Luis Buñuels „Las Hurdas“ (1931–33). Den Komparsen war der Kinematograf während der Dreharbeiten noch unbekannt. Die von braun, gelb-orange, nacht-blau bis grün viragierten Ansichten der Alpen, die Lampenlichter bei der Suche nach dem verschwundenen Mädchen, die Lawinen, der Trauerzug und die Hochzeitsfeier – alles kommt ohne Stars aus. Aufgrund finanzieller Probleme beim Vertrieb kam der Film erst 1925 in die Kinos und wurde, vom Publikum verschmäht, ein kommerzieller Misserfolg. Ohne die üblichen zeitgenössischen Sentimentalitäten blieb er, trotz eines Happy End, ohne nennenswerten Unterhaltungswert. Nach einer ersten, unvollständigen Rekonstruktion durch die Cinémathèque Française gelang 1993 dem Amsterdamer Filmmuseum mittels zweier Nitratkopien die Komplettierung. Auch die für Feyder so wichtigen Farben und Zwischentitel sind nun wieder eingefügt. Einige mechanische Beschädigungen sind jedoch nach wie vor sichtbar. Die von Arte in Auftrag gegebene digitale Restaurierung der Fassung wurde für die Erstausstrahlung (10.12.2004) mit der neu komponierten Musik von Antonio Coppola eingespielt. Das Ensemble „Octuor de France“ entfaltet mit seiner Klavier- und Streicherbesetzung eine angenehme, traditionell angelegte Untermalung der Wucht und Aussage des Films.
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