- | Hongkong/Frankreich 2004 | 129 Minuten

Regie: Wong Kar-wai

Ein Schriftsteller schreibt in einem Hotelzimmer an einem Science-Fiction-Roman, wobei er immer tiefer in seine amourösen Erinnerungen eintaucht, sodass die Grenzen zwischen Gegenwart, Roman und Vergangenheit verwischen. Eine berauschende Eloge auf die Kraft sehnsüchtiger Liebe, die mit assoziativen Bildkaskaden, Dialog- und Gedankenfetzen und einer wehmütigen Musik einen melancholischen Erzählteppich webt, dessen fragmentarische Geschichten um Verlust und Trauer kreisen. Die meisterhafte Filmpassage durch Raum und Zeit grenzt ans Unbewusste. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
2046
Produktionsland
Hongkong/Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Block 2/Paradis Film/Orly Films
Regie
Wong Kar-wai
Buch
Wong Kar-wai
Kamera
Christopher Doyle · Lai Yiu-fai · Kwan Pun-Leung
Musik
Peer Raben · Shigeru Umebayashi
Schnitt
William Chang
Darsteller
Tony Leung (Chow Mo-Wan) · Gong Li (Su Li Zhen) · Takuya Kimura (Tak) · Faye Wong (Wang Jing Wen/wjw1967) · Zhang Ziyi (Bai Ling)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Paramount (16:9, 2.35:1, DD2.0 kanton., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Einst hatte sie einen philippinischen Liebhaber. Aber er starb. Er war wie ein Vogel ohne Flügel.“ Das wird über Lulu gesagt, die kokette Hostess eines Nachtclubs. Ein Satz mit Hintersinn. Denn die Prostitu‧ierte wird von Carina Lau gespielt, die in Wong Kar-wais „Days of Being Wild“ (fd 33 153) ein Mädchen war, das mit einem Jungen befreundet ist, der von Leslie Cheung dargestellt wurde. Cheung stürzte sich im Frühjahr 2003 aus einem Hochhaus – „wie ein Vogel ohne Flügel…“. Eine diskret verhüllte Hommage des Regisseurs an einen seiner Lieblingsschauspieler also, ein Spiel mit der Grenze zwischen Kino und Leben, mit der Erinnerung und mit Zeichen, die der Zuschauer entschlüs‧seln kann, aber nicht muss. Das ist typisch für den offenen Stil des Kinos von Wong Kar-wai, für sein Spiel mit Verweisen und Bezügen. In seinen Filmen kann man dem Regisseur ständig beim Fühlen und Erinnern zuschauen, beim Nachdenken über sich und das Kino. Sein jüngstes Werk „2046“ beginnt sehr abstrakt: aufregende Animationsbilder einer futuristischen Großstadt, „Metropolis“ ohne Expressionismus, „Blade Runner“ ohne Punk. „Die Liebenden nehmen den Zug“ – das gilt auch diesmal. Der Zug heißt 2046 und führt ins Reich der Erinnerungen, auch jener an die Zukunft, an den rasenden Stillstand der Melancho‧lie, an dem die Geschichte zu Ende ist, aber das Denken noch lange nicht. Ein Erzähler, der vielleicht selbst nur Teil einer Erzäh‧lung des eigentlichen Erzählers ist, spricht aus dem Off. Der Sog beginnt... „2046“ ist der paradoxe Fall eines Science-Fiction-Films, der sich in der Vergangenheit ereignet. 1966 leben Chow (Tony Leung) und Su Li Zhen (Gong Li) in Singapur und spielen ein Kartenspiel: „Wenn Du gewinnst, komme ich mit Dir...“. Natürlich verliert er. Später erfährt man, dass sie eine professionelle Spielerin ist. „Ich habe sie seitdem nie wieder gesehen.“ Dann befindet man sich für den Rest des Films die meiste Zeit über in Hongkong, am Ende der 1960er-Jahre, wobei dies immer wieder unterbrochen wird von Ausflügen in Zukunft oder Vergangenheit – eigentlich befindet man sich also in einem transitorischen Zeitraum, in dem Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart zu einer vierten Dimension komprimiert werden und die Zeit aus ihren Fugen fällt. „2046“, ein Film, der als Science-Fiction-Film angekündigt war, in drei verschie‧denen Städten spielen sollte und eine Fortsetzung von „In the Mood for Love“ (fd 34 577) versprach, ist beides zugleich und nichts davon: Die atemberaubende Geschichte einer unmöglichen Liebe, auf fragmentarische Weise erzählt, in losen, assoziativen, aber nuancierten Bildern, die sich gemeinsam mit der akzentuierten Farbdramaturgie (Grün- und Gelbtöne dominieren), Dialog- und Gedankenfetzen und Musik durch ausgeklügelte Montage zu einem dichten und genau rhythmisierten atmosphärischen Teppich fügen, wie er im gegenwärtigen Kino ohne Beispiel ist. Der Film streift die Terrains des Unbewussten wie des Unverständlichen, Nicht-Kommunizierbaren. Im Zentrum steht Chow, Journalist und Autor von populären Geschichten, zugleich ein Liebesdetektiv: Aufklärer, Flaneur und distanzierter Beobachter – und das Alter ego seines Regisseurs. Gespielt wird er in all seiner Charme ummantelten, kühlen Tristesse von Tony Leung. Chow ist ein naher Verwandter jener Figur, die Leung in „In the Mood for Love“ mimte, wenn auch kälter, hoffnungsloser als dort. Er hat eine unglückliche Liebe – womöglich die des letzten Films – hinter sich. Nun schläft Chow zwar mit vielen Frauen, doch Gefühle lässt er nicht zu, auch dann nicht, als ihm die wahre Liebe in Gestalt von Bai Ling (Zhang Ziyi) begegnet. Am Ende steht die Erkenntnis: „Liebe ist wirklich eine Frage des Timings.“ Um diesen Kern hat Wong mehrere andere Episoden gelegt, die den Hauptstrang unterbrechen, umgeben, fortfüh‧ren. Man weiß nicht genau, ob es sich bei all dem nur um das handelt, was der Autor schreibt, um seine Fantasien und Tagträume, eigene Erlebnisse und Erinnerungen – oder ob es doch Parallelwelten sind. Denn „2046“ ist zugleich auch das Jahr, in dem eine dieser Stories spielt: Ein Mensch verliebt sich dort in einen Cyborg. Vor allem aber bezeichnet der Titel einen Zustand melancholischer Untätigkeit, einen Ort, von dem, wie es heißt, noch keiner entkommen sei. „Du kannst 2046 nie verlassen. Du kannst nur hoffen, dass es Dich eines Tages verlässt. Niemand kam je zurück. Außer mir.“ „2046“ ist eine komplexe Passage durch Zeiten und Ideen, Fantasien und Realität – die Geschichte Hongkongs scheint immer wieder in kurzen Doku-Szenen auf, und der Titel verweist unter anderem auch auf das Jahr, in dem der 50-jährige Sonderstatus von Hongkong endet –, ein Roman der Erinnerung und Emotionen. Man erfährt, dass auch Maschinen vergessen können, taucht ein in die Vorhölle der Erin‧ne‧rung, ein Gemisch aus Opernmusik, Nacht, Neonlicht. Da sind Chinesinnen, die Japanisch lernen; ein Voyeur; Identitätskrisen; die Leere des Cyberspace; das Immergleiche, die ständige Wiederholung. Die Struktur des Films ist ungleich komplizierter, gewissermaßen eine Rückkehr zu der Erzählweise von „Chungking Express“ (fd 31 851). Ließ sich Wong damals hineinfallen in das Chaos der Metropole, ist es nun ein innerer Raum, das Chaos aus Erinnerungen und Wunschträumen. Selbst derjenige, der sich davon vielleicht überfordert fühlt und alles lediglich für eine akademische Kopfgeburt hält, wird sich dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck, der Dynamik und der kompositorischen Meisterschaft des Films nur schwer entziehen können. Kamera und Schnitt sind die eigentlichen Hauptdarsteller. Schon in „Chungking Express“ und „Fallen Angels“ (fd 32 321) war das so, den Filmen des Regisseurs, die am ehesten vom gegenwärtigen Hongkong handeln, dem Flirren der Metropole und der fragmentarisch-melancholischen Wirklichkeitswahrnehmung der Gegenwart. Wurde dort schnell geschnitten, mit Reißschwenks und endlosen Fahrten der Handkamera gearbeitet, scheinen die letzten Filme Wongs ruhiger geworden. Sanft streicht die Kamera durch die engen Räume, fängt, obwohl fast ständig in Bewegung, wie beiläufig knappe Beobachtungen ein, bewegt sich im Rhythmus der Musik. Ein Tanz mit dem Zuschauer. Zum Teil wird sehr niedrig gefilmt, unter Kopfhöhe der Personen, von denen manchmal nur Gesichtshälften zu sehen sind, mal nur Beine, Hände, andere Körperteile. Zugleich ist „2046“ auch klassisches Starkino, voller Glamour. Einmal etwa sieht man Carina Lau in einer Tür stehen und eine Zigarette rauchen – die Zeitlupe gibt einem alle Zeit der Welt, sie zu betrachten, dem Rauch aus ihrem Mund langsam an die Decke zu folgen. Etwas Berührenderes als der letzte der vielen Abschiede zwischen Tony Leung und Zhang Ziyi war in letzter Zeit im Kino kaum zu sehen. Es ist das reine Unglück, das die ewige Frage formuliert: „Warum kann es nicht so sein, wie es früher war?“ Vor allem aber ist diese Szene die Verdichtung aller Werke Wong Kar-wais. „2046“ ist ein meisterhaft gemachter Film, der sich ganz auf sein Medium verlässt: auf Bilder, die sich nicht in Worte fassen lassen, sondern nur in Gefühle.
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