Drama | USA 2001 | 108 Minuten

Regie: Tim Blake Nelson

Eine Gruppe ungarischer KZ-Häftlinge, die im Herbst 1944 mit der KZ-Leitung kooperierte, um ihre eigene Exekution aufzuschieben, plant den Ausbruch und versucht, ein junges Mädchen zu retten, das die Vergasung überlebt hat. An die Autobiografie eines ungarischen Arztes angelehnte Verfilmung eines Bühnenstücks, die eine extrem realistische Nachgestaltung von Vorgängen im KZ Auschwitz-Birkenau unternimmt. Die Methode kann nur Ansätze zur Bewältigung des Themas liefern, die konsequente Herausarbeitung der inneren Konflikte und Schuldkomplexe verdient jedoch Respekt und Beachtung. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE GREY ZONE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Millennium Films/Killer Films/The Goatsingers/Martin Holding
Regie
Tim Blake Nelson
Buch
Tim Blake Nelson
Kamera
Russell Lee Fine
Musik
Jeff Danna · Johannes Brahms · Johann Strauß
Schnitt
Michelle Botticelli · Tim Blake Nelson
Darsteller
David Arquette (Hoffman) · Daniel Benzali (Schlermer) · David Chandler (Rosenthal) · Steve Buscemi ("Hesch" Abramowics) · Allan Corduner (Doktor Miklos Nyiszi)
Länge
108 Minuten
Kinostart
27.01.2005
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit sechs im Film nicht verwendeten Szenen (5 Min.).

Verleih DVD
Legend (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
The Grey Zone“ ist kein Film von Steven Spielberg. Deshalb ist kaum zu erwarten, dass er die Diskussion über die Möglichkeit einer realistischen Dramatisierung der KZ-Verbrechen neu aufflammen lassen wird. Im Zusammenhang von „Schindlers Liste“ (fd 30 663) ist auch alles schon gesagt und geschrieben worden, was für oder gegen einen solchen Versuch ins Feld geführt werden kann. „Die Grauzone“, ein Film, der ein wesentliches Kapitel aus Primo Levis Memoiren aufgreift, ohne sich direkt auf sie zu berufen, verweigert sich von vornherein der Einsicht, dass den Ungeheuerlichkeiten der Konzentrationslager auch mit besten Absichten und größtmöglicher Genauigkeit nicht beizukommen ist. Das Kapitel der Sonderkommandos, die Juden für ein paar Vergünstigungen und den Aufschub ihrer eigenen Exekution zu Helfershelfern eines unmenschlichen Systems machten, war zudem bereits Gegenstand von Claude Lanzmanns Dokumentation „Shoah“ (fd 25 510), wo es die einzig adäquate filmische Darstellung erfuhr, indem nämlich überhaupt nicht „dargestellt“, sondern auf die authentische Erinnerung von Überlebenden rekurriert wurde. Die Frage, ob jede Ästhetisierung der Krematorien nicht automatisch deren Trivialisierung bewirkt, muss nach Dutzenden von Filmen, die sich ihr auf diese oder jene Art gestellt haben, nicht mehr diskutiert werden. Sie ist beantwortet. Sich einem Film wie „Die Grauzone“ zu nähern, der dazu auch noch auf einem Bühnenstück beruht, setzt gleichermaßen das Eingeständnis wie das Einverständnis voraus, sich mit etwas als unmöglich Erkanntem zu beschäftigen. Von vornherein ist klar, dass Tim Blake Nelsons Konzept, Auschwitz mit den Mitteln des Spielfilms nachzuvollziehen, im besten Fall nur eine Annäherung bewirken kann. Ein solches Vorhaben an der histori-schen Wirklichkeit zu messen, ist unmöglich; es in seinem Gelingen oder Versagen kritisch zu bewerten, ist nur aus dem Bewusstsein heraus vollziehbar, dass hier der ehrenwerte Versuch gewagt wird, der Nachwelt einen Ansatz zu eigener Beschäftigung und Gewissenserforschung zu liefern. Viele amerikanische Kritiker haben sich die Sache leicht gemacht, indem sie das Konzept als solches verworfen und damit den Film als misslungen bezeichnet haben. So einfach darf man es sich wohl nicht machen. Die Frage muss vielmehr lauten: Was kommt auf der Leinwand noch herüber, und wie kann es auf Zuschauer – vor allem auf jene, die sich mit dem Thema bisher wenig befasst haben – wirken? „Die Grauzone“ orientiert sich an überlieferten Fakten, u.a. daran, dass es tatsächlich zwei Sonderkommandos gelang, eines der Krematorien in die Luft zu sprengen. Die Details werden hingegen in einer Mischung aus Fakten und Fiktionen erzählt, wobei der Film stets darum bemüht ist, Figuren und Ereignisse so nah wie möglich an realen Personen und Geschehnissen auszurichten. Der von Josef Mengele ausgewählte jüdische Arzt, der an medizinischen Experimenten teilnimmt, um sich und seiner Familie das Leben zu retten, wurde der Autobiografie des Ungarn Miklos Nyiszli entlehnt; andere Figuren sind Kompilationen aus zeitgenössischen Berichten und Dokumenten. Da der Film der traditionellen Vorstellung folgt, eine Handlung erzählen zu müssen, konzentriert er sich auf eine Gruppe von ungarischen Häftlingen, die sich im Herbst 1944 für das 12. Sonderkommando in Auschwitz-Birkenau anwerben ließen, um anderen Todeskandidaten die Harmlosigkeit der als Duschen getarnten Gaskammern vorzugaukeln und nach der Vergasung die Leichen in Krematorien und Massengräbern zu beseitigen. Von der KZ-Leitung erhielten sie dafür den Verhältnissen entsprechend opulente Vergünstigungen und einen erfahrungsgemäß bis zu vier Monate dauernden Aufschub ihrer eigenen Hinrichtung. Der lange vorbereitete Plan des Sonderkommandos, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen, wird gefährdet, als ein junges Mädchen wie durch ein Wunder die Vergasung überlebt und von einem der Ungarn vor der Entdeckung bewahrt wird: eine Gelegenheit für den zuständigen Oberscharführer, der davon erfährt, Informationen über den geplanten Ausbruch zu erpressen. Tim Blake Nelson lässt die handelnden Figuren von Schauspielern darstellen und bemüht sich um eine detailgetreue Rekonstruktion der KZ-Anlagen und aller darin betriebenen Aktivitäten. Was andere KZ-Filme durch Abstraktion oder Symbolismus zu erreichen versuchen, will er durch schockierende Genauigkeit in den Griff bekom-men: die Gaskammern, die Krematorien, den Vernichtungsprozess, die Folterungen und Massenerschießungen. Aber je mehr sich der Film um Präzision bemüht, umso schwerer wirken vereinzelte Unebenheiten und Unglaubwürdigkeiten, die – zumindest in der Originalfassung – bis hinein in die verwendete Sprache reichen. Mit Handkamera und grauen, verwaschenen Farben versucht Nelson, den Örtlichkeiten auch noch den geringsten pittoresken Anstrich zu nehmen, und mit der insistierenden Konzentration auf die Gewissenskonflikte aller beteiligten Personen veranlasst er den Zuschauer zu beständiger Reflexion jenseits der emotionalen Anteilnahme. Was der Film trotz aller Unzulänglichkeit des realistischen Konzepts in der Tat zu thematisieren versteht, ist die innere Zerrissenheit der Inhaftierten, die sich auf eine Zusammenarbeit mit dem teuflischen System eingelassen haben, und die geradezu perverse Manipulation, mit der Verzweiflung und Überlebenstrieb der Todgeweihten dem Funktionieren der Vernichtungsmaschinerie dienstbar gemacht wurden. Je länger er dauert und je vertrauter man mit den Figuren wird, umso mehr tritt der Konflikt, den alle beständig mit sich auszutragen haben, in den Mittelpunkt: die Vergegenwärtigung des inneren Feindes, der Menschen in einer entmenschten Situation zu Taten veranlassen kann, mit deren Belastung das Weiterleben kaum noch möglich erscheint. Es ist die konsequente Herausarbeitung dieses Aspekts, der die kalkulierte psychologische Berechnung eines menschenverachtenden Systems und die ausweglose Lage der Betroffenen zum hervorstechenden Thema werden lässt, die „Die Grauzone“ von anderen KZ-Filmen unterscheidet und ihn zu einem Anschauungsobjekt macht, das Respekt und Beachtung verdient.
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