Drama | Kroatien 2004 | 88 Minuten

Regie: Zrinko Ogresta

Kaleidoskop um fünf Menschen in Zagreb, die nichts miteinander zu tun zu haben, durch die filmische Struktur aber in ein Netz voller indirekter Beziehungen eingebunden sind. In ihren Gesichtern und Schicksalen spiegeln sich die Folgen des Bürgerkrieges. Ein sparsam, aber wirkungsvoll inszeniertes Seismograf politischer und psychologischer Verwerfungen in Ex-Jugoslawien. (O.m.d.U.) - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TU
Produktionsland
Kroatien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Interfilm Zagreb/Hrvatska Radio-Televizija/Jadran
Regie
Zrinko Ogresta
Buch
Zrinko Ogresta · Jozip Mlakic
Kamera
Davorin Gecl
Schnitt
Josip Podvorac
Darsteller
Jasmin Telalovic (Kavi) · Marija Tadic (Duda) · Zlatko Crnkovic (Josip) · Ivo Gregurevic (Boris) · Ivan Herceg (Karlo)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die kroatische Hauptstadt Zagreb am Anfang des 21. Jahrhunderts: Westliche „Normalität“ hält langsam, aber sicher Einzug in die Balkan-Metropole. Konsum und Mobilität boomen, der Zerfall Jugoslawiens und der blutige Bürgerkrieg scheinen einer dunklen Vergangenheit anzugehören, derer man sich erfolgreich entledigt hat. Doch inmitten der pulsierenden Urbanität bewegen sich einzelne Individuen, die so gar nicht zu diesem äußerlichen Eindruck passen. Ein einsamer Alter, in einer schäbigen Pension abgestiegen, fragt täglich, aber vergeblich an der Rezeption nach Post und wird vom Personal mit subtilen Grausamkeiten terrorisiert. Eine junge Frau jagt rastlos durch die Stadt, auf der verzweifelten Suche nach Geld, das ihr die nächsten Augenblicke des Heroinrausches ermöglichen kann. Boris, gefeierter Star zahlreicher Fernsehserien, stürzt Nacht für Nacht in die Abgründe seines Doppellebens als Alkoholiker, verbaut sich konsequent die letzten Kommunikationsstränge zu jenen Menschen, die er liebt. Ein noch junger Mann in Armeejacke und bereits ergrautem Haar umkreist das Haus, in dem die von ihm getrennte Frau mit dem gemeinsamen Kind lebt; zuletzt setzt er sich in eine Fußgängerzone, unentschlossen, ob er zum Bettler oder Kriminellen werden soll. Ebenso verloren wirkt ein anderer, etwas älterer Mann, obwohl er Heim und Familie sein eigen nennen kann: Nacht für Nacht steht er sprachlos im dunklen Raum, raucht und blickt auf die ewig gleiche Vorstadtstraße. Um Mitternacht dudelt dazu – bittere Ironie – die kroatische Nationalhymne aus einem billigen Transistorradio: „Unser schöne Heimat, ihr uralter Ruhm möge von ewiger Freude gesegnet sein...“ „Hier“ fächert ein loses personelles Kaleidoskop auf: fünf Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, die sich auf merkwürdige Weise als miteinander verbunden erweisen. Regisseur Zrinko Ogresta (Jahrgang 1962) hat sie in ein geheimes Geflecht von indirekten oder zufälligen Beziehungen eingebunden. So spricht der Alte an einer Bushaltestelle mit der rastlosen jungen Frau ein paar belanglose Worte. Die Drogenabhängige ist die Schwester einer unglücklich mit dem trinksüchtigen Fernsehstar verheirateten Krankenschwester. Später sitzt sie unbeteiligt in einem Café, als der Mann in Uniformjacke Streit mit ihrem mafiösen Begleiter bekommt und eine Handgranate zückt. Andere Begegnungen zwischen den Hauptfiguren vollziehen sich noch beiläufiger, geschehen punktuell, sind fast versteckt in Szene gesetzt. Zwingend kausale Verknüpfungen ergeben sich dabei nicht. Kein Joker wird gezückt, der die einzelnen Stränge plötzlich auf wundersame Weise miteinander verquickt und tröstende Erklärungen liefern würde. In den besten Momenten erinnert der Stil Ogrestas tatsächlich an die Schwerelosigkeit seines großen Vorbilds Kieslowski. Neben den fünf in Zagreb spielenden Episoden gibt es jedoch noch ein sechstes, zeitlich vorgelagertes Kapitel, das damit als eine Art Prolog dient. Dieses liefert immerhin so etwas wie den Schlüssel für die kollektive Verlorenheit der Charaktere. Bevor die eigentliche Handlung einsetzt, erlebt man eine von Zerstörungen heimgesuchte Landschaft, brach liegende Gleisanlagen, vernagelte Ruinen, Soldaten in einem Unterstand beim Kartenspielen und Biertrinken; eher beiläufig schlagen hin und wieder Granaten ein. Mit sparsamen und wirksamen Mitteln reflektiert Ogresta den jugoslawischen Krieg der 1990er-Jahre. Ähnlich wie die aus dem benachbarten Slowenien stammenden „Industrial“-Pioniere von „Laibach“ identifiziert der kroatische Filmemacher diesen Konflikt als Teil eines anhaltenden Bürgerkriegs, den „alle gegen alle“ unbewusst auch in so genannten Friedenszeiten fortsetzen und der alle Beziehungen nachhaltig zu kontaminieren droht. Ogresta bietet keine Lösungsvorschläge an. Sein Film ist gerade deshalb ein wichtiges Seismogramm politischer und psychologischer Verwerfungen.
Kommentar verfassen

Kommentieren