Beyond the Sea

- | USA/Kanada/Großbritannien/Deutschland 2004 | 119 Minuten

Regie: Kevin Spacey

Eigenwilliger biografischer Film über das Leben des Swing-Sängers und Schauspielers Bobby Darin, der den Aufstieg des Stars aus ärmlichen Verhältnissen, seine Erfolge, aber auch sein künstlerisches wie privates Scheitern zeigt. Hauptdarsteller und Regisseur Kevin Spacey gelingt das ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Porträt einer amerikanischen Karriere, das neben zahlreichen Musiknummern raffinierte Reflexionen über persönliche Erinnerung und populären Star-Mythos bietet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BEYOND THE SEA
Produktionsland
USA/Kanada/Großbritannien/Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Lions Gate/Trigger Street/Archer Street (Beyond the Sea)/QI Quality International
Regie
Kevin Spacey
Buch
Kevin Spacey · Lewis Colick
Kamera
Eduardo Serra
Musik
Christopher Slaski · Bobby Darin
Schnitt
Trevor Waite
Darsteller
Kevin Spacey (Bobby Darin) · Kate Bosworth (Sandra Dee) · John Goodman (Steve Blauner) · Bob Hoskins (Charlie Cassotto Maffia) · Brenda Blethyn (Polly Cassotto)
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen sehr fundierten und informativen Audiokommentar des Regisseurs und des Produzenten Andy Paterson.

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Erinnerungen können im Rückblick wie ein Film geschnitten und montiert werden, müssen es wohl auch, um eine Identität aus ihnen zu konstruieren. Doch sie kommen bisweilen auch ungebeten und lassen sich selten ganz beherrschen. Das gilt für das eigene Leben, aber auch für das Gedenken an andere Menschen, zumal an Stars, aus denen nach ihrem Tod Legenden werden. Stars wie Bobby Darin: Er war einer der großen Entertainer im Amerika der späten 1950er- und 1960er-Jahre. 1936 als Walden Robert Cassotto in den Bronx geboren, stieg er mit Hits wie „Splish Splash“, „Mack the Knife“ oder „Dream Lover“ aus ärmlichen Verhältnissen in die Rock’n’Roll-„Hall of Fame“ auf – obwohl er aufgrund einer Herzschwäche nur 37 Jahre alt wurde. Neben seinen Auftritten als Musiker war er als Schauspieler im Kino zu sehen (etwa in Cassavetes’ „Too Late Blues“ oder Don Siegels „Hell Is for Heroes“), brachte es zu einer „Oscar“-Nominierung und großer Popularität. Darins Leben zu schildern, war für Kevin Spacey ein Herzensanliegen, das er nach langen Jahren endlich umsetzen konnte – ausgehend von Darins Musik, die er sich in Sessions mit seinen Musikern, dem Musikproduzenten Phil Ramone und Musikdirektor John Wilson aneignete. Sein Film ist dank der vielen, von Spacey selbst bemerkenswert gut gesungenen Musiknummern nicht zuletzt eine Hommage an den Künstler. Aber „Beyond the Sea“ ist alles andere als ein Zeugnis rückhaltloser Heldenverehrung; vielmehr scheint Spaceys Interesse an Bobby Darin auch darauf zu beruhen, dass er in seiner Biografie neuralgische Punkte wiederfindet, an denen er sich bereits in anderen Filmen abgearbeitet hat und die direkt auf die Schattenseiten amerikanischer Befindlichkeit verweisen. Sein Film ist denn auch mehr als das Porträt eines Mannes: eine Reflexion über persönliche Erinnerung und populäre Mythen. Und über Glanz und Elend einer amerikanischen Karriere. Der Film entwirft Darins Biografie als artifizielles Konstrukt: Man sieht ihn eine Nachtclubbühne betreten und vor Publikum singen; dann entpuppt sich der Ort als Kulisse. Offensichtlich soll hier ein Film über Bobbys Leben gedreht werden. Kritiker merken an, dass es wohl kaum angeht, dass sich der alte Darin selbst als jungen Mann verkörpert; dessen Bruder und Vertrauter Charlie hält dagegen, dass wohl niemand Bobby wahrhaftiger verkörpern könne als er selbst. Aber was ist „wahrhaftig“? Diese Frage stellt ein Junge, der auf magische Weise in den Kulissen auftaucht und sich als kindliches Alter Ego Darins erweist. Zusammen betreten der alte und der junge Bobby die Vergangenheit, die schäbige Bronx-Straße, in der Darin aufgewachsen ist, wie eine weitere Bühne, auf der sich die Kindheit des Stars entrollt: die Krankheit, die zum Herzleiden führt, und das liebevolle Verhältnis zur Mutter, die ihn zur (Swing-)Musik hinführt. Seine ersten Fans sind die Nachbarn aus der Bronx, die wie im Musical auf der Straße zu tanzen anfangen, wenn Mutter und Sohn drinnen am Klavier üben. Dann mischt sich statt des jungen der alte Darin mit einem Koffer in der Hand unter die Tanzenden – die Kindheit ist vorbei, und Bobby geht daran, singend die Welt zu erobern. Elemente wie diese Musical-Szene, die den Realitätsstatus der erinnerten Lebensgeschichte in Frage stellen, durchziehen den Film. Auch plötzliche Kostüm- und Ortswechsel mitten in Szenen oder Wechsel von Schwarz-weiß- zu Farbfilm machen die Künstlichkeit der Erinnerungen deutlich: Mondstrahlen, mit denen man tun kann, was man will. Eine ganz ähnliche Maxime scheint sich Bobby für sein Leben und seine Karriere gesetzt zu haben: sich selbst zu erfinden, das zu werden, was er sein will, ist der sehr amerikanische Traum, den er konsequent zu verwirklichen trachtet. Seine Ambitionen sind für seinen Aufstieg mindestens so wichtig wie die Liebe zur Musik, ja in seiner Musik spiegelt sich die Sehnsucht zu gefallen, nähert diese sich doch, je nach aktueller Mode, verschiedenen Genres an. Dass er beim Streben nach Ruhm an Authentizität verlieren könnte, merkt Darin erst, als er mit einer direkten Lüge in seiner Biografie konfrontiert wird: Seine „Schwester“ Nina offenbart ihm, dass sie in Wirklichkeit seine Mutter ist, sich aber nach seiner Geburt nicht zutraute, ihn selbst als Kind aufzuziehen. Dies stürzt Bobby in eine tiefe Krise, lässt ihn nach der eigenen Wahrheit fragen – worauf er reagiert, indem er sich einmal mehr neu entwirft: Im Zuge der Hippie-Bewegung ändert er sein Outfit und zieht sich in einen Wohnwagen am Meer zurück, wo er Folk-Songs gegen den Vietnam-Krieg komponiert. Dass diese faszinierenden Selbst(er)findungen zerstörerische Seiten haben, zeigt sich in Darins Verhältnis zu den Frauen, vor allem zu der von Caroline Aaron bewundernswert eindringlich verkörperten Figur der Nina, einer leicht ordinären, nicht ins schicke Star-Leben passenden Frau, die sich von ihrem Bruder-Sohn zurückgewiesen sieht. Auch die Ehefrau Sandra Dee muss hinter Bobbys Karriereplänen zurückstecken. Wenn dieser rücksichtslos alle Sehnsüchte Sandras zunichte macht, in der Villa des Paares ein trautes Familienidyll zu schaffen, blitzt hinter Spaceys Bobby Darin ein Stück Lester Burnham durch, jenes Charakters, den Spacey in „American Beauty“ (fd 34 066) verkörperte: Einerseits stößt einen die Rücksichtslosigkeit seines Tuns ab, andererseits bewundert man die Radikalität, mit der er versucht, sich selbst und sein Leben neu zu gestalten. Die Sehnsucht nach dem perfekten Leben geht für Bobby nicht auf; zwar kann er noch einmal bei Showauftritten in Vegas in der Gunst des Publikums schwelgen, aber wer ist denn nun der „echte“ Bobby Darin? Gibt es den überhaupt? Spacey gelingt ein bemerkenswerter Spagat. Mit feinem Gespür legt er die Schattenseiten seines Idols frei, offenbart die Trivialitäten, die Grausamkeit und den Schmerz hinter der beschwingten Fassade von Bobbies Lebenstraum, der im Swing musikalische Form annimmt – und trotzdem entdeckt er in Bobbys Leben so etwas wie ein unzerstörbares utopisches Potenzial. Der Entertainer gelangt in der Schlussszene, die wieder ganz surreale Züge annimmt, zu einer Art Apotheose, wenn er mit seinem jungen Alter Ego die Reise in die Vergangenheit abschließt. Eigentlich müsste dort der Tod stehen, aber: Erinnerungen sind wie Mondstrahlen. Der Mann mag menschlich gescheitert sein, der Künstler, der über seinen Tod hinaus Millionen von Zuhörern mit seiner Musik begeistert hat, ist es nicht.
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