Die Wittelsbacher

- | Deutschland 2004 | 90 Minuten

Regie: Stephan Hartwig

Ein Münchner Obdachloser nimmt sich eher widerwillig eines bulgarischen Mädchens an, das aus einem Kinderporno-Ring geflohen ist. Als es von dessen Betreiber wieder eingefangen wird, machen sich der Obdachlose und sein polnischer Freund auf, um das Mädchen zu retten. Stimmiger Low-Budget-Film, bei dem ein gelungenes Drehbuch, überzeugende Darsteller und eine konsequente filmische Umsetzung zusammenwirken, um eine berührende Geschichte zu erzählen, die trotz ihrer Nähe zum Obdachlosenmilieu keine triste Sozialstudie ist. - Ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
lupo media
Regie
Stephan Hartwig · Bohdan Graczyk
Buch
Stephan Hartwig · Bohdan Graczyk
Kamera
Markus Ziegler
Musik
Dieter Holesch
Schnitt
Agape von Dorstewitz
Darsteller
Wilfried Labmeier (Theo) · Laura Juds (Alina) · Bohdan Graczyk (Bronek) · Vladimir Torbica (Uwe) · Bernd Ebel (Werner)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
lupo media
DVD kaufen

Diskussion
Belege dafür, dass Filme trotz eines gigantischen Budgets scheitern können, gibt es mehr als genug. Umgekehrt gilt Ähnliches. Stephan Hartwig und Bohdan Graczyk beispielsweise zeigen in ihrem gemeinsamen Regiedebüt „Die Wittelsbacher“, dass eine gute Geschichte auch mit einfachsten Mitteln funktionieren kann, solange sie mit der nötigen Hingabe erzählt wird. Schon die außergewöhnliche Entstehungsgeschichte verdeutlicht, dass es sich bei dem im Münchner Obdachlosenmilieu angesiedelten Spielfilm um keine Routineproduktion handelt. Graczyk, der als Regieassistent bei Oskar Roehler und Mika Kaurismäki beschäftigt war, und sein Mitstreiter Hartwig wandten sich mit einem Treatment über die aus der Not geborene Freundschaft zwischen einem Münchner Obdachlosen und einem zehnjährigen bulgarischen Mädchen an Michael Wolf, weil sie „für ihren Antrag zur Drehbuchförderung einen bayrischen Produzenten benötigten“. Die Förderung kam jedoch trotz Wolfs Unterstützung nicht zustande. Der Film wurde dennoch gedreht, weil das gesamte Filmteam zunächst auf Gagen verzichtete. Besonderes Engagement bewiesen Hartwig und Grazcyk auch bei ihren Recherchen. Für mehrere Wochen zogen die beiden Filmemacher unter die Wittelsbacherbrücke an der Isar in München, mit nichts als einer Isomatte und einem Schlafsack sowie 284 Euro in den Tasche, dem monatlichen Sozialhilfehöchstsatz. Später drehten sie dann mit digitaler Videokamera und einfacher Ausrüstung an den Originalschauplätzen. Die Obdachlosen unter der Wittelsbacherbrücke stellten nicht nur ihren Lebensraum für die Dreharbeiten zur Verfügung, sondern halfen teilweise auch als Beleuchter oder Komparsen mit. Diese Nähe zum Thema und zur Lebenswelt der Wohnungslosen schlägt sich im fertigen Film spürbar nieder, aber sie drängt sich nicht auf. Bewusst gehen die Autorenregisseure auf Distanz; optisch wie inhaltlich. Großaufnahmen werden konsequent ausgespart. Die ruhige, oft statische Kamera meidet einen hektischen Dokumentarstil, hält Abstand und blickt wie durch ein mobiles Fenster auf die Bühne einer rauen sozialen Wirklichkeit. Gleichzeitig entwickelt sich „Die Wittelsbacher“ aber nicht zum Obdachlosendrama. Weit entfernt davon, eine schwer verdauliche gesellschaftskritische Studie zu entwerfen, erzählen Hartwig und Grazcyk vor allem eine unterhaltsame, anrührende Geschichte. Seit fast sieben Jahren lebt Theo als Penner unter der Wittelsbacherbrücke. Eher beiläufig erfährt man den Grund: Theos Tochter war bei einem Autounfall ums Leben gekommen; er selbst saß am Steuer, mit 1,0 Promille Alkohol im Blut. Auch wenn er es sich nicht eingestehen will, fühlt er sich doch schuldig am Tod seines Kindes. Zu seiner Frau hat er keinen Kontakt mehr. Stattdessen säuft er und wartet fast sehnsüchtig darauf, irgendwann in einer kalten Winternacht unter der Brücke zu erfrieren. Theos hoffnungslos geordnetes Leben wird durcheinander gewirbelt, als eines Abends ein zehnjähriges bulgarisches Mädchen bei den Obdachlosen Zuflucht sucht. Anfangs will Theo nichts wissen von dem Kind, das seine Tochter sein könnte. Aber anstatt sie zur Polizei zu bringen, nimmt er Alina dann doch lieber mit zum Betteln. Nach und nach kommen sich die beiden näher. Theo beginnt, durch die väterliche Freundschaft zu Alina seine eigene, schmerzliche Vergangenheit aufzuarbeiten. Aber dann ist das Mädchen plötzlich verschwunden. Ein Brückenmitbewohner hat sie gewaltsam zu jenem obskuren Mann zurückgebracht, vor dem sie davongelaufen ist. Erst jetzt finden Theo und sein polnischer Freund Bronek (eindrucksvoll verkörpert von Regisseur Grazcyk) heraus, warum Alina geflohen ist: sie wurde sexuell missbraucht und von einem Kinderpornohändler festgehalten. Entsetzt beschließen Theo und Bronek, das Mädchen auf eigene Faust zu befreien. So spannend und bis auf wenige Ausnahmen schlüssig der Plot auch gestaltet ist, bleibt dennoch unübersehbar, dass die ästhetische Qualität des Films unter dem geringen Budget leidet. Erstaunlicherweise jedoch stört das nicht. Im Gegenteil: Ausgefeilte Action-Sequenzen, elaborierte Kamerafahrten, brillant ausgeleuchtete Szenerien wären hier genauso fehl am Platz wie eine Starbesetzung. Die unbekannten Gesichter und die in den Nebenrollen manchmal auch etwas ungelenken Darstellungen machen den eigentümlichen Charme dieses kleinen, lebendigen Filmes aus. Hartwig und Grazcyk, so scheint es, haben nicht nur ihre Mittel dem Thema angepasst, sondern auch die Story ihren Mitteln. Nur so kann man wohl mit schmalem Budget einen anspruchsvollen, runden Film drehen. „Die Wittelsbacher“ ist in diesem Sinne – dank des ausgeklügelten Drehbuchs, stimmiger Dialoge, einer zärtlichen Musik und der hervorragenden schauspielerischen Leistung Wilfried Labmeiers, dem man sofort abnehmen würde, dass er Theos Schicksal selbst durchlitten hat – ein Glücksfall des Low-Budget-Kinos.
Kommentar verfassen

Kommentieren