The Nomi Song

Musikfilm | Deutschland 2004 | 100 Minuten

Regie: Andrew Horn

Die Karriere des Countertenors Klaus Sperber, der mit seiner schillernden Kunstfigur Klaus Nomi in den 1970er-Jahren Popgeschichte schrieb und 1982 völlig isoliert als eines der ersten prominenten AIDS-Opfer starb. Der vielschichtige Dokumentarfilm nähert sich nicht nur einer umstrittenen Persönlichkeit voller Bewunderung an, sondern spiegelt auch die Stimmung der damaligen Zeit in Form einer kurzweiligen Hommage. Videoaufnahmen früherer Auftritte, Plakate, wenig bekannte Fotos und die Atmosphäre der jeweiligen Auftrittsorte belegen Nomis Hang zur Theatralik und würdigen zugleich eine prägende Phase der jüngsten Popgeschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE NOMI SONG
Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
CV Film/Cameo Film
Regie
Andrew Horn
Buch
Andrew Horn
Kamera
Mark Daniels
Schnitt
Angela Christlieb · Guido Krajewski · Eric Schefter
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Arsenal (1.78:1, DD2.0 engl.)
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Diskussion
Wenn man ihm bei seinem letzten Münchner Konzert mit großem Orchester in das kalkweiß geschminkte Gesicht sieht, sind darin nicht nur die Spuren des HIV-Virus zu erkennen, sondern auch die eines für das Popgeschäft der späten 1970er-Jahre erstaunlichen Aufstiegs: Der Countertenor Klaus Nomi alias Klaus Sperber, 1944 in Bayern geboren, wurde in New York mit einer gewagten Mischung aus Opernarien und New-Wave-Pop zum schillernden Star der dortigen Underground-Szene. Statt Discomusik waren hier Punk und kalte Synthesizer-Klänge angesagt, grelle Outfits gehörten zum guten Ton. Zwischen all den Bands, die sich auf wenig mehr als ihren Lebensekel und programmatischen Dilettantismus verließen, umgab Klaus Nomi seine Auftritte mit heiligem Ernst. Er schuf die seit Davis Bowies’ Ziggy Stardust exzentrischste Kunstfigur der Popgeschichte: einen androgynen Roboter, der mit weit aufgerissenen Augen und unverkennbar herbem deutschem Akzent Lieder vom bevorstehenden Weltuntergang zum Besten gab, und das in einem Kastratensopran, der seine bizarre, an Figuren aus Oscar Schlemmers Bauhaus-Balletten erinnernde Erscheinung umso glaubhafter machte. Selbst auf den Punk-Bühnen des schockresistenten East Village war das damals „far out“. Nicht ohne ironischen Unterton bilden Ausschnitte aus dem trashigen Science-Fiction-Klassiker „Gefahr aus dem Weltall“ („It Came From Outer Space“, fd 3480) die Klammer von „The Nomi Song“. 22 Jahre nach Nomis AIDS-Tod hat der Dokumentarfilmer Andrew Horn mit einigen seiner Weggefährten, so sie noch aufzuspüren waren, gesprochen. Diese erzählen von den wechselnden Gesichtern des im Privaten schüchternen, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Sängers, der Ende der 1960er-Jahre in West-Berlin Gesang studierte, Bühnenräume aber nur als Platzanweiser der Deutschen Oper betreten durfte. Sein seltener Countertenor stand einer klassischen Karriere im Wege. Damals schwärmte er für Elvis Presley genauso wie für Maria Callas. New York bot ihm nach Jahren der Entbehrungen und Selbstzweifel schließlich den passenden Ort für seine Verwandlung zum Gesamtkunstwerk. Es ist der ungeschminkte Nomi, dem Horns Interesse gilt. Es gelang ihm, einige seltene Interviews aufzustöbern, in denen Klaus Sperber mit erstaunlicher Bodenhaftung über seine Arbeit spricht, sich verletzlich zeigt und die Maske der permanenten Selbststilisierung für kurze Momente ablegt. Sperber traf nicht zuletzt wegen seiner Verankerung in der travestieverliebten Schwulen-Szene den neuen Zeitgeist und erlebte einen kometenhaften Aufstieg, vom „Saturday Night Live“-Act an der Seite von David Bowie bis zum blassen Auftritt bei Thomas Gottschalks „Na so was!“. Aufschlussreich ist die Trennung zwischen der unpersönlichen Bühnenfigur und dem Leben als normaler Schwuler, der in seiner Freizeit gerne backte und mit Vorliebe „Darkrooms“ besuchte. Mit der Unterzeichnung eines Plattenvertrags bei einem französischen Label setzt Horn einen Wendepunkt. Nomi ließ seine frühen Mitstreiter und Freunde fallen und ersetzte sie durch professionelle Studiomusiker. Experimentierfreude und Enthusiasmus genügten seinen Ansprüchen nicht mehr. Er strebte in den Mainstream und war kurz davor, sein Geheimnis zu verlieren. Der frühe Tod verhinderte den Kurswechsel und machte den Außenseiter zur Legende. Ganz nebenbei fängt der Film die angstbesetzte Stimmung der ersten HIV-Welle ein, denn Klaus Nomi gehörte zu den prominenten Opfern des „gay cancer“, einer Krankheit, die erst später ihren Namen bekam: AIDS. Völlig isoliert starb er 1982 in einem Krankenhaus. Seine letzte Platte trug den bezeichnend prophetischen Titel „Simple Man“, eine Art Infragestellung seines Images als unnahbares Wesen, das ihn zum Schluss buchstäblich zu einem Aussätzigen machte. Vor allem die privaten Videoaufnahmen früher Auftritte in New Yorker Clubs lassen nachvollziehen, woraus sich die Faszination Nomis nährte. Wenn er Marlene Dietrichs Klassiker „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, im Frack und mit nach hinten gekämmtem Haar, mit sonorer Stimme sang, klingen auch Reminiszenzen an die große Tradition deutschen Kabaretts der frühen 1930er-Jahre an. Plakate, selten gezeigte Fotos und Einblicke in die jeweiligen Auftrittsorte belegen Nomis Hang zur theatralischen Geste. Bis zum Schluss liegt ein Staunen in den Bildern: über so viel Hingabe und Mut zum Abnormen. Ohne die tragische Seite von Nomis märchenhafter Karriere als einsamer Sonderling zu leugnen, ist „The Nomi Song“ ein parteiischer Film, der keinen Hehl aus seiner Bewunderung macht. Das Resultat ist eine packende, zugleich kurzweilige Hommage an einen zutiefst vom Erfolg abhängigen Selbstdarsteller, den selbst die, die er enttäuscht hatte, weiterhin verehren; und es ist eine längst fällige Würdigung einer kurzen, aber nachhaltig wirkenden Phase der jüngeren Popgeschichte.
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