Drama | Deutschland 2005 | 108 Minuten

Regie: Andreas Dresen

Ein Magdeburger Autohändler, der sich im wiedervereinten Deutschland gut eingerichtet hat, verliert unerwartet den sicher geglaubten Boden unter den Füßen. Als ihn russische Einbrecher überfallen, seine Ehe in die Brüche geht und die Geliebte eigene Wege beschreitet, steht er vor den Trümmern seines Lebens. Das Drama eines (ost-)deutschen Schicksals überzeugt durch seine lebensnahen Figuren ebenso wie durch den sozialen Realismus seiner Geschichte. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
UFA/Studio Babelsberg/MDR/WDR/arte/SWR/Trebitsch Prod.
Regie
Andreas Dresen
Buch
Laila Stieler
Kamera
Michael Hammon
Schnitt
Jörg Hauschild
Darsteller
Axel Prahl (Bernd Willenbrock) · Inka Friedrich (Susanne Willenbrock) · Anne Ratte-Polle (Anna) · Dagmar Manzel (Vera) · Christian Grashof (Maler Waldersee)
Länge
108 Minuten
Kinostart
17.03.2005
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, ein ausführliches "Making of" (40 Min.) sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (31 Min).

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Das Geschäft floriert, doch blühende Landschaften sehen anders aus. Der Himmel über Bernd Willenbrocks Gebrauchtwagenhandel ist verhangen, ein einsamer Container steht inmitten eines kargen, mit Autos vollgeparkten Areals, die neue Ausstellungshalle harrt noch ihres Richtfestes. Grau ist die Grundfarbe dieses wirtschaftlichen Aufschwungs, und dass in der letzten Nacht zum wiederholten Male eingebrochen wurde, rundet die Sache zur politischen Metapher ab. Willenbrocks Magdeburger Firma ist ein Umschlagplatz für die ostdeutschen Hoffnungen nach dem Mauerfall: Die Verlierer der Einheit machen hier ihren Besitz zu Geld und bekommen den Wertverlust ihrer Träume auf den Cent genau berechnet; der westlich wirtschaftende Händler streicht die Gewinne ein, und die Russen-Mafia zweigt sich ungefragt das Ihre ab. Man versteht bei diesem Bernd Willenbrock sofort, warum er als Gebrauchtwagenhändler groß geworden ist. Er ist stets auf seinen Vorteil bedacht und dabei in allem so durchschaubar, dass man ihm das auch als Glaubwürdigkeit durchgehen lassen kann. So richtig böse ist ihm letztlich niemand: weder der ehemalige DDR-Maler, der ihm seinen Wagen unter Preis verkaufen muss, noch seine von ihm hintergangene Frau oder seine langjährige Geliebte. Hinter der Fassade des Schwerenöters steckt die Naivität eines Gemütsmenschen, der einfach nicht anders kann. Willenbrock liebt seine Frau und betrügt sie doch. Zur heimlichen Abbitte hat er ihr eine Modeboutique gekauft. Als er sich an die Studentin Anna heranmachen will, gibt er ihrem Vater einen Job. Am nächsten Tag lädt er sie zur Probefahrt im Alfa Romeo ein. Das Unverhohlene ist Willenbrocks größtes Kapital, und es ist auch das größte Kapital in Andreas Dresens Film. Wäre sein Protagonist nur eine Spur gerissener, ginge die Rechnung des Regisseurs nicht auf. Mit „Willenbrock“, einer Verfilmung des gleichnamigen Romans von Christoph Hein, schreibt Dresen seine Chronik der vereinigten Bundesrepublik aus ostdeutscher Perspektive fort. Nachdem er sich in „Halbe Treppe“ (fd 35 604) dem Leben der sprichwörtlichen kleinen Leute von Frankfurt an der Oder widmete und in seinem Dokumentarfilm „Herr Wichmann von der CDU“ (fd 35 890) der Vergeblichkeit gegenwärtiger Politik einen Namen gegeben hat, versucht er letzteres nun auch mit der Katerstimmung nach den Jubelfeiern der Vereinigung. So sehr sein Protagonist dem prallen Leben zu entstammen scheint, so symbolisch ist zugleich dessen Statur. In Willenbrock sind Ost und West etwas schief, aber unverbrüchlich zusammengewachsen. Als Nachhut des kleinen Unternehmertums hat sich der Autohändler im importierten Wohlstand behaglich eingerichtet und die Lebenslügen des westdeutschen Mittelstands gleich mit übernommen. Deshalb geht die gesamtdeutsche Ernüchterung auch an ihm nicht spurlos vorüber. Dresen packt seinen Protagonisten dort, wo es weh tut: am Gefühl der Sicherheit. Mit einem Einbruch in sein Wochenendhaus fängt alles an. In Schlafanzug und Unterrock retten sich die Willenbrocks mit knapper Not vor zwei russischen Eindringlingen und können das Gefühl der Bedrohung danach nicht mehr abschütteln. Ganz allmählich gleiten dem Macher Willenbrock die Dinge aus den Händen: Seine Ehe geht in die Brüche, seine Studentin will nicht so, wie er es will – und schließlich endet er allein mit einem Fisch auf einer verschneiten Elbbrücke. So wie ihm der Boden unter den Füßen des vertrauten Lebensalltags weggezogen wird, mag es auch den zigtausend Arbeitslosen im Osten ergangen sein. Das ist jedenfalls die Deutung, die Dresen seinem Publikum auf dem silbernen Tablett serviert. Man kann diese Art, auf die gesellschaftliche Metapher in der Midlife-Krise zu schielen, für vordergründig halten und doch eine Menge Wahrheit in ihr finden. Denn Dresens Ensemble ist nicht nur das politische Sprachrohr seines Regisseurs, sondern auch eine Ansammlung von Figuren aus Fleisch und Blut. Wie sein Held versucht Dresen dabei, nicht mehr zu scheinen als er ist: Der soziale Realismus steht seinen Schauspielern ins Gesicht geschrieben, aber es ist ein Realismus mit humoristischen Zügen. Ein wenig kommt Dresen damit natürlich dem ethnologischen Interesse entgegen, das der Westen immer noch für den Osten hegt. Doch auch das ist eine Einsicht dieses Films: Mit Bernd Willenbrock sind die neuen Länder wieder ein Stück näher an die alten herangerückt.
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