Tony Takitani

Drama | Japan 2004 | 76 Minuten

Regie: Jun Ichikawa

Während ein technischer Zeichner seine sozialen Kontakte auf das Notwendigste reduziert, versucht seine Frau, ihre innere Leere durch den zwanghaften Konsum teurer Designer-Kleidung zu kompensieren. Erst als sie bei einem Autounfall ums Leben kommt, findet er zu einem schmerzlichen Neuanfang. Die Geschichte eines Menschen ohne Eigenschaften verdichtet sich zur stimmigen Parabel über die Einsamkeit und setzt den ruhigen Erzählfluss der literarischen Vorlage überzeugend um. Klar und sanft entwickelt, spiegelt der Film die Verlorenheit des Einzelnen in einer modern-urbanen Umwelt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TONY TAKITANI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Wilco Co.
Regie
Jun Ichikawa
Buch
Jun Ichikawa
Kamera
Taishi Hirokawa
Musik
Ryûichi Sakamoto
Schnitt
Tomoo Sanjyo
Darsteller
Issei Ogata (Tony Takitani/Takitani Shozaburo) · Rie Miyazawa (Konuma Eiko/Hisako) · Shinohara Takahumi (Tony Takitani als Kind) · Hidetoshi Nishijima (Erzähler) · Yumi Endo
Länge
76 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein ausführliches und kaum "werbelastiges" "Making of" (68 Min.)

Verleih DVD
Alamode (16:9, 1.85:1, DD2.0 jap./dt.)
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Diskussion
Die Ehe ist reparaturbedürftig; zwischen der mädchenhaften Eiko und Tony, dem verschlossenen Einzelgänger, kriselt es. Mechanisch absolviert er seine Arbeit als technischer Zeichner. Den Abend verbringt er mit Eiko, begleitet von der lähmenden Angst, das Glück mit ihr zu verlieren. Für den traumatisierten Tony ist familiäres Zusammensein ein Fremdwort. Durch den frühen Tod der Mutter und das Desinteresse des Vaters, der sich ausschließlich seiner Leidenschaft für Jazz widmete, kennt er nichts anderes als das Alleinsein. Zudem rief sein amerikanischer Vorname schon immer Ressentiments hervor und machte ihn zum Außenseiter. Tony ist sich selbst der beste Freund, seine sozialen Kontakte sind auf das Notwendigste reduziert. Seine Wohnung ist minimalistisch eingerichtet und gleicht einer funktionalen Wohnmaschine. Obwohl er mit seinen Zeichnungen gutes Geld verdient, führt er das Leben eines Einsiedlers. Dass er überhaupt in Kontakt mit einer Arbeitskollegin, der strahlend schönen Eiko kam, grenzt an ein Wunder. Es gibt zwar immer wieder innige Szenen zwischen den beiden, beim wortlos zelebrierten Frühstück, wenn das Paar zärtliche Blicke wechselt, aber stets scheint ein Fluch über dem fragilen Glück zu liegen. Die 15 Jahre jüngere Eiko kompensiert ihre innere Leere und eine undefinierbare Sehnsucht mit einer Obsession: Sie ist süchtig nach teurer Designer-Kleidung. Hin und wieder versucht sie, den zwanghaften Kaufrausch zu unterdrücken, mit dem fragwürdigen Ergebnis, dass ihr inzwischen ein Zimmer für die Kleidung nicht mehr ausreicht. Tony ist besorgt um seine Frau und hilflos: Er bittet sie um Mäßigung und versetzt ihr damit den Todesstoß. Nach Tagen der Enthaltsamkeit und tiefer Depression macht sie sich mit ihrem Wagen auf den Weg zum Shoppen und kommt unterwegs um. Für Tony bricht mit Eikos Tod der Kontakt zur Außenwelt völlig zusammen. Wie James Stewart in Hitchcocks „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ (fd 7835) trauert er seiner Liebe nach, indem er eine Fremde die Rolle der Verstorbenen übernehmen lässt. Das wichtigste äußere Kriterium bei der Auswahl der passenden Kandidatin sind für ihn die Körpermaße. Schließlich soll die Doppelgängerin die Kleider tragen, die nutzlos im gespenstisch verlassenen Ankleideraum auf unzähligen Garderobestangen hängen. Erst als die Auserwählte beim Anblick der vielen kostbaren Kleider in Tränen ausbricht, bemerkt Tony die Vergeblichkeit seines Unterfangens. Er entsorgt sämtliche Designerstücke, so wie er sich auch der vielen Jazz-Platten seines Vaters entledigt. Was bleibt, sind die Erinnerungen und die allzu vertraute Einsamkeit. „Tony Takitani“ ist die Verfilmung einer älteren Erzählung des Erfolgsautors Haruki Murakami, der hierzulande als bekanntester Vertreter japanischer Gegenwartsliteratur gilt. Die bevorzugten Themen seiner Geschichten sind Einsamkeit, Entfremdung und Verlust in der Moderne; sein Stil orientiert sich an amerikanischen Vorbildern. Nach einem Abschluss an der Filmhochschule gründete Murakami einen Jazzclub, entschied sich später aber fürs Schreiben. Zum Film ist er nie zurückgekehrt. Dafür verwundert es umso mehr, dass erst jetzt einer seiner durchaus kinotauglichen Stoffe den Weg auf die Leinwand findet. Der Regie von Jun Ichikawa, mit 56 Jahren im gleichen Alter wie Murakami, ist der Respekt vor der Vorlage deutlich anzusehen. Klar und sanft sind seine Bilder, die Dekors und Kostüme eingetaucht in verwaschene, reduzierte Grau-Blau-Töne. Die Kamera gleitet mit Vorliebe von links nach rechts an den wie in einem Puppenhaus arrangierten Innenräumen vorbei, wodurch der Eindruck unmittelbarer Anteilnahme entsteht. Die beiden Hauptdarsteller übernehmen gleich zwei Rollen und verlieren damit jegliche Individualität, die ihren Figuren ohnehin abgeht. Sie sind Menschen ohne Eigenschaften, die vorgegebene Lebensmuster kopieren. Der introvertierte Tony versucht noch nicht mal, eine angebotene Identität anzunehmen, und bezahlt seine Weigerung mit dem Preis fortschreitender Gefühlskälte. Weite und offene Schauplätze wie Shopping-Mals und anonyme Büroviertel ähneln urbanen Wüsten, die ihre Spiegelung in der Verlorenheit der Menschen erfahren, die sie bevölkern. Trotz des bedrückenden Themas vermeidet Ichikawa allzu düstere Töne, schafft aus dem Fluss des Lebens in der Stadt ein entrücktes Märchen um Selbstfindung und Selbstverlust. Eine sanfte Melancholie legt sich durch den Einsatz dezenter Klaviermusik über das Geschehen. Ichikawa zeigt die Versäumnisse seiner Helden auf, die allesamt an einem Phantomschmerz leiden, vermeidet aber ihre Verurteilung. Den ruhigen Duktus der literarischen Vorlage integriert er kunstvoll in die Erzählung, indem er einen Off-Sprecher einsetzt, der im scheinbaren Dialog mit Tony die Ereignisse kommentiert; eine weitere Dopplung, die dessen Leben ins Exemplarische überhöht. „Tony Takitani“ ist eine stimmige Parabel über die Einsamkeit, die sich über Generationen fortsetzt, eingefangen in eine Bildsprache und Eleganz, die der Vorlage mehr als gerecht werden.
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