Ewige Schönheit - Film und Todessehnsucht im Dritten Reich

Dokumentarfilm | Deutschland 2003 | 91 Minuten

Regie: Marcel Schwierin

Film-Essay über die Bild- und Filmästhetik des Nationalsozialismus, das rund 100 verschiedene Topoi auflistet und in ihren Zusammenhängen analysiert. Ein aufschlussreicher Kompilationsfilm, der das NS-Regime als antimodernistisches Gesamtkunstwerk interpretiert, durch seine Detailfülle allerdings mehr als Materiallager denn als ausgereifte Theorie funktioniert. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Marcel Schwierin Prod.
Regie
Marcel Schwierin
Buch
Marcel Schwierin
Schnitt
Christoph Girardet
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (FF, Mono dt.)
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Diskussion
Vom Nationalsozialismus geht bis heute eine merkwürdige Faszination aus, die sich nicht ohne weiteres erklären lässt. Von den monströsen Ansprüchen des tausendjährigen Reiches blieben nur ein zerstörter Kontinent, Hekatomben von Leichen und eine bis dato unbekannte kollektive Schande zurück, auf die der Morgenthau-Plan vielleicht die angemessenste Antwort gewesen wäre – katastrophaler hätte das historische Experiment nicht ausfallen können. Trotzdem interessieren diese Zeit und ihr verbrecherisches System – je länger, desto mehr. Was den gegenwärtigen medialen Boom der NS-Zeit dabei so irritierend macht, ist weniger seine Tendenz zur moralischen Exkulpierung als vielmehr die ästhetische Unreflektiertheit im Umgang mit dem historischen Material. Dabei hatte keine Diktatur zuvor und wahrscheinlich auch nicht danach so viel Energie auf ihre visuelle Gestalt verwandt wie das Hitler-Regime. Diesen exzessiven Hang zur allumfassenden Selbstinszenierung unterwirft Marcel Schwerin in seinem aufschlussreichen Film-Essay einer analytischen Deutung, die sich nicht mit funktionalen Argumenten wie Machterhalt oder Selbstdarstellung begnügt, sondern den Nationalsozialismus in seiner Gesamtheit als ästhetisches Phänomen begreift: als Gesamtkunstwerk einer visionären Welt voller Ordnung, Größe und Schönheit, in der die Unübersichtlichkeit und Disharmonie der Moderne vollständig überwunden sind. In zwölf Kapiteln entfaltet Schwerin in einer stupenden Kompilation von Filmausschnitten aus den Jahren 1919 bis 1945 seine These einer monströsen Scheinwelt, die in den magischen Lichtdomen der Reichsparteitage ihre treffendste Allegorie fand: eine gigantische Show ohne jede Substanz, die nur im heroisch inszenierten Untergang vor der Desillusionierung gerettet werden konnte. Den Künsten kam in diesem Konzept eine grundlegend andere Bedeutung zu: Sie waren nicht mehr autonom, sondern Teil der radikalen Umgestaltung einer primär räumlich gedachten Welt. Architektur und Großplastiken nahmen dementsprechend die erste Rolle ein, weil sie reale Räume schufen und dem „Dritten Reich“ am augenfälligsten Gestalt verliehen. Ihnen ebenbürtig war allenfalls der „epische Dokumentarfilm“ à la Leni Riefenstahl, in dem inszenierte Realität und ihre Überhöhung das Bild eines monumentalen, kampfbereiten Volkes schufen, in dem die Organismus-Idee des „Volkskörpers“ für alle eindringlich sichtbar wurde. Schwierin lotet auch den historischen Untergrund dieser Flucht ins „Ornament der Masse“ aus: die Demütigung imperialer Großmachtfantasien im Gefolge des Ersten Weltkrieges und den Widerwillen der „Nationalen“ gegen die Weimarer Republik. Fritz Langs „Die Nibelungen“ erschien ihnen wie das „flammende Fanal eines neues Tages“, in dem das Inferno des Krieges die wahre Größe, nämlich Treue und Opfer, enthüllte. Werte, die auch in Arnold Fancks Bergfilmen mythisch latentes Potenzial frei setzten. Auch die psychosexuelle Textur dieser Filme klingt an: das Phantasma von Raub und Schändung anständiger Frauen, der Verlust von Reinheit und Unschuld, die in der strikten Geschlechtertrennung der Nazis eine seltsam defensive Abwehr erfuhr – filmisch gespiegelt in der Verherrlichung athletischer Körper und kriegerischer Härte, während Frauen auf Anmut und Fruchtbarkeit reduziert wurden, was allenfalls in der Vorliebe für Bilder von leicht bekleideten Turnerinnen eine gewisse Sublimierung erfuhr. Erotische Untertöne finden sich sonst höchstens noch im Bezug auf die „Heimat“, dem illusionären Subjekt der nationalen Identität, wobei in der Sprachform von „Blut und Boden“ auch der archaische Kreislauf anklingt, demzufolge die Toten den realen Humus für das Leben ihrer Enkel bilden. Von dort aus ist es nur ein kleiner Sprung zur umfassenden Apotheose des Opferbegriffs, der im arischen Helden zu sich kommt: dessen Größe liegt nicht im Sieg, sondern im Opfer – das die Volksgemeinschaft in raunenden Ritualen pathetisch glorifiziert. Ein solch monströses Projekt zur Schaffung des neuen Menschen verlangte fast notwendigerweise nach einem universellen Anti-Bild, auf das all das projiziert werden konnte, was man an sich oder der Welt hasste oder nicht bewältigte: den „Juden“ als Inbegriff des Unreinen, Widersprüchlichen und Ausgeschlossenen - mit dessen „Ausmerzung“ dann auch nicht lange gefackelt wurde. Insgesamt trägt Schwierin rund 100 verschiedene Elemente der NS-Ästhetik zusammen und untermauert sie filmisch. So entsteht ein komplexes, (film-)historisch sehr differenziertes und zeitgeschichtlich anspruchsvolles Bild, das freilich eher als eine Art Materiallager betrachtet werden muss. Die aus dem Off vorgetragene Argumentation ist schlüssig, aber keine ausgereifte Theorie, wenngleich die These, den Nationalsozialismus als antimodernistisches Gesamtkunstwerk zu begreifen, kreative Energien freisetzt. Man schmälert die Verdienste des Film-Essays nicht, wenn man die streckenweise sehr kunstvoll gearbeitete Montage (etwa im Kapitel „Schönheit der Arbeit“) als filmisches Exzerpt zu einer umfangreichen Doktorarbeit versteht, an der Schwerin gegenwärtig arbeitet. Die Lektüre dieses Textes oder verwandter Abhandlungen würde den Nachvollzug des Gesehenen erleichtern und erweitern, wie auch die Kenntnis der zitierten Filme und Wochenschau-Ausschnitte die Argumentation des Films auf eine breitere Basis stellen würde. Nichts desto trotz wünscht man sich den sperrigen Film auch auf einem prominenten Sendeplatz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, weil er die dort übliche anekdotenhafte Verharmlosung eines todessüchtigen Systems der Lächerlichkeit überführt und die gegenwärtigen Bildverwalter an ihre Verantwortung erinnert: Es gibt keine „unschuldigen“ Bilder, erst recht nicht aus einer Diktatur, die sich so perfekt auf deren sorgfältige Inszenierung verstand.
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