Accordion Tribe

Musikfilm | Österreich/Schweiz 2004 | 87 Minuten

Regie: Stefan Schwietert

Dokumentarfilm über die fünf Akkordeon-Spieler des "Accordion Tribe". Deren Europa-Tournee nutzt er nicht nur, um mit der mitreißenden Musik vertraut zu machen, sondern auch als musikgeschichtlichen und -philosophischen Abriss. Zugleich werden die fünf eigenwilligen Künstler als Persönlichkeiten vorgestellt, die ganz in ihrer Kunst aufgehen. In Form eines musikalischen Road Movie wird eine "Weltmusik" vermittelt, die sich zwischen Improvisation, Folklore und Neuer Musik bewegt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ACCORDION TRIBE
Produktionsland
Österreich/Schweiz
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Maximage/Fischer Film
Regie
Stefan Schwietert
Buch
Stefan Schwietert
Kamera
Wolfgang Lehner
Schnitt
Stephan Krumbiegel
Darsteller
Guy Klucevsek · Lars Hollmer · Maria Kalaniemi · Bratko Bibic · Otto Lechner
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Ventura (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Vielleicht sollte man die Bilder der lustigen, stets die Zähne bleckenden und adretten Volksmusikanten, die mittlerweile fast täglich aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen grinsen, nicht unterschätzen. Aber gibt es wirklich noch Menschen, die das Akkordeon ausschließlich mit dieser ihr Publikum verachtenden, artifiziellen „Volksmusik“ in Verbindung bringen? Der Schweizer Dokumentarist Stefan Schwietert jedenfalls legt einen weiteren filmischen Gegenbeweis vor – und eine begeisternde, mitreißende Musikdokumentation dazu. Nach „A Tickle In The Heart“ (fd 32 249) und „El Acordéon del Diablo“ (fd 34 734) begleitet er diesmal eine Gruppe von Musikern während ihrer Europatournee und ergänzt diese schönen Reise-Bilder durch Einzelinterviews und Hausbesuche. Einmal mehr geht es um das Akkordeon, dem Instrument, das im 19. Jahrhundert eine große Karriere als Klavier der armen Leute absolvierte, in zahlreichen authentischen Volksmusiken prominent vertreten ist, ab 1950 aber zunehmend an Popularität verlor, bevor es Mitte der 1970er-Jahre – etwa durch Flaco Jiminez in der Ry Cooder Band, durch Astor Piazzolla oder durch die TexMex- und Cajun-Moden der frühen 1980er-Jahre – erneut an Ansehen gewann. Der New Yorker Akkordeonvirtuose Guy Klucevesek hat Avantgarde-Stücke im Stil der Modernisten Steve Reich oder Morton Feldman komponiert und spielte bereits früh mit Musikern der New Yorker Downtown-Szene wie John Zorn, Fred Frith oder Arto Lindsay oder auch dem Kronos Quartet zusammen. 1996 verwirklichte Klucevesek dann sein Traumprojekt: Er stellte den Accordion Tribe zusammen, ein Quintett von Akkordeonisten, deren Virtuosität und Eigensinn ihm aufgefallen oder zugetragen worden waren: der Schwede Lars Hollmer, die Finnin Maria Kalaniemi, der Slowene Bratko Bibic und der blinde Österreicher Otto Lechner. Diverse, sehr unterschiedliche Folklore-Traditionen treffen auf Jazz und Neue Musik. Schwietert hat die fünf Musiker des Accordion Tribe während der triumphalen Europatournee 2002 begleitet, hat musikalische und menschliche Impressionen gesammelt und diese durch biografische Selbstauskünfte der Musiker ergänzt. Dabei geht es zunächst um die unterschiedlichen Motive der Instrumentenwahl, um das Verhältnis zwischen traditionellen Spielweisen und modernen Klangforschungen, um die Bedeutung der Melodie für die Innovation, kurz: um Musikphilosophie und -geschichte. Sämtliche Musiker wissen um die Bedeutung der Tradition, haben sich aber auf unterschiedliche Weisen als Neuerer hervorgetan. Allerdings präsentiert Schwieterts Film solche Erkundungen nicht als trockenen Stoff, sondern vielmehr als Hohelied kollektiver Kunstproduktion, die zum Teil des Lebens wird. Wiederholt sieht man Otto Lechner in Begleitung anderer Musikerkollegen beim Einchecken in Hotels oder beim Besuch des Frühstücksraumes. Einmal erzählt Lechner von seinen Gefühlen, als er auf Solotour allein auf einem Bahnhof ankam, in einem Land, dessen Sprache er nicht sprach, und seine Kontaktperson ausblieb. Heute lacht er über seine Panikattacke, aber hängen bleibt sein Satz, dass man sich als blinder Musiker auf der Bühne in Sicherheit weiß. Auf der Habenseite hat „Accordion Tribe“ also nicht nur die absolut mitreißende Musik, sondern auch die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beteiligten Musiker. Da ist der intellektuelle und reflektierte Kluscevsek, der stets ironische und mit einem eigenwilligen Humor gesegnete Lechner, die spirituelle Kalaniemi, der besessene Bibic und der freundliche Hollmer, wobei der Film deutlich macht, dass jedes der gerade gewählten Adjektive auch auf allen anderen Musiker zutrifft. Nicht zuletzt aber ist „Accordion Tribe“ äußerst sehenswert, weil er einen impressionistischen Einblick in eine undogmatische Musikerszene bietet, die sich zwischen Improvisation, Folklore und Neuer Musik bewegt, global vernetzt ist und einer Vision von „Weltmusik“ folgt, die nicht kommerziell, sondern kulturell begründet ist. Man kann natürlich auf ein Konzert des „Accordion Tribe“ in seiner Nähe warten, aber wenn man zuvor Schwieterts musikalisches Road Movie gesehen hat, dürfte man entschieden mehr vom Konzert haben.
Kommentar verfassen

Kommentieren