Katze im Sack

Drama | Deutschland 2005 | 86 Minuten

Regie: Florian Schwarz

Ein undurchsichtiger Landstreicher und ein alternder Sicherheitstechniker verlieben sich in eine Leipziger Barfrau, die selbst nicht weiß, was sie will, und die wie ihre Verehrer zwischen Sehnsucht und Selbstzerstörung schwankt. Der düstere Film noir beschreibt unter ständigen Perspektivwechseln die Verlorenheit seiner Protagonisten, ohne gesellschaftspolitische Analysen anbieten zu wollen. Überragende Darsteller, eine überzeugende Kameraarbeit, sinnliche Eleganz und der Mut zu Pathos und Übertreibungen machen den Film zum Erlebnis. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Filmakademie Baden-Württemberg
Regie
Florian Schwarz
Buch
Michael Proehl
Kamera
Philipp Sichler
Musik
Fabian Römer
Schnitt
Florian Drechsler
Darsteller
Jule Böwe (Doris) · Christoph Bach (Karl) · Walter Kreye (Brockmann) · David Scheller (Sandro) · Torsten Michaelis (Barkeeper Roy)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, des Drehbuchautors, des Kameramanns und des Produzenten Alexander Bickenbach.

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Das Kino Europas, zumal das deutsche, träumt viel zu wenig; nicht einmal mehr die Träume der Nacht, die einmal die seinen waren. Kein noch so kleiner Schatten des Expressionismus fällt auf das international zu Recht gefeierte, in der Heimat aber oft geschmähte junge deutsche Kino, das derzeit an den Filmhochschulen entsteht. Fast nichts mehr zu spüren ist auch von der existenztiellen Hoffnungslosigkeit und der romantischen Spannung des Film Noir; statt leerer Angst haben die Menschen nun soziale Probleme – „zwischen Herz und Hartz IV“ hieß verräterisch präzise die Formel, mit der die „Perspektive deutsches Kino“ bei der diesjährigen „Berlinale“ warb. Dort lief auch „Katze im Sack“, ein Ausnahmefilm in dieser Landschaft. Ein Beweis, dass es neben jenen ästhetischen Wahlverwandten, die man in Paris schon als „Berliner Schule“ feiert, auch noch ein anderes junges deutsches Kino von künstlerischem Rang gibt. Ein Film, der nichts von jener Fernsehästhetik hat, die so vieles knechtet, der nicht stromlinienförmig, nicht gut gelaunt, nicht pädagogisch wertvoll, aber auch nicht spießig rebellisch sein will. Der aber eben auch keine langen Einstellungen, keine betonte Konzentration und Nüchternheit, keine Bresson- und Antonioni-Zitate vorzuweisen hat. „Katze im Sack“, das mit 80.000 Euro produzierte Debüt des Ludwigsburger Filmhochschülers Florian Schwarz, steht näher bei Truffaut, Preminger oder Melville und ist von der Erzähltradition des Film Noir nicht fern. Ein Film Noir in Leipzig – das kann, denkt man, eigentlich nicht gut gehen. Anfangs holpert „Katze im Sack“ auch spürbar. Geduld muss man aufbringen, bis die drei Personen die Geschichte, die sie suchen, auch gefunden haben. Aber schon in dieser frühen Phase ist spürbar, dass man es hier mit etwas Besonderem zu tun hat, einem Willen, aufs Ganze zu gehen, dem Mut, eigenen Empfindungen zu vertrauen, sich von Atmosphären und nicht von der Plot-Rationalität der Drehbuchkurse leiten zu lassen. Wenn dann alles in die Gänge gekommen ist und die drei Figuren in einem Raum zusammen getroffen sind, entpuppt sich der Film als absolute Entdeckung, als ein Werk, das durch seine Haltung ebenso überzeugt, wie handwerklich durch seine herausragende Kamera und den eleganten Schnitt. Die Story wirkt rätselhaft: Man weiß als Zuschauer nicht, wohin es geht, was werden wird, an welchen Personen man sich orientieren soll – und ist deswegen von allen seltsam fasziniert. Ein undurchsichtiger Landstreicher, vielleicht sogar Gefängnisausbrecher, und ein alternder Sicherheitstechniker, der innerlich längst am Ende ist, sind auf die gleiche Frau scharf: Doris, die als Barfrau arbeitet und mindestens ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Der Junge hat sie im Zug getroffen, der Alte liebt sie unglücklich. Sie selbst weiß nicht, was sie will, schwankt wie die beiden anderen Verlorenen hin und her zwischen Lust und Laster, Sehnsucht und Selbstzerstörung, langer Einsamkeit und kurzen Tröstungen. Alles dies ist präsent, doch nie aufdringlich in jenem großartigen Mittelteil des Films, der die Drei virtuos in einer Bar zusammenführt, bevor sie weiter durch die Nacht irren. Vorzüglich gelingt dabei besonders die Figur des Überwachungsexperten Brockmann. Walter Kreye verströmt die Melancholie des Erfahrenen, Wissenden. Er spielt diesen wüsten alten Mann, der sich und sein Leben gerade noch so festhält, voller Nonchalance. Ähnlich wie bei Bill Murrays Auftritt in „Lost in Translation“ (fd 36 315) trägt auch dieser Darsteller all die Rollen und Figuren mit herum, die er seit 20 Jahren im Fernsehen gespielt hat – sie sichtbar zu machen und durchscheinen zu lassen, ist die Kunst dieses Schauspielers, aber auch seines Regisseurs. Unter ständigen Perspektivwechseln verknüpft der düstere Thriller das Schicksal seiner Figuren; mehrfach werden sich alle drei finden und wieder verlieren, wobei ihnen die Liebe, aber auch der Tod begegnet, vor allem aber die eigene Verzweiflung. Ohne wohlfeile Diagnosen und gesellschaftspolitische Kataloge ist „Katze im Sack“ wahrhaftiger und in seiner Haltung radikaler als die meisten deutschen Filme mit ihren folgenlosen Revolten gegen fett gewordene 68er-Väter. Weit mehr als von seiner Story – beim Max-Ophüls-Festival 2005 wurde das Skript mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet – lebt Schwarz’ Film aber von der Musik (Slut, 2raumwohnung) und einer flirrenden, „musikalischen“ Kamera, die bis zum Schluss neugierig bleibt und damit ein Geheimnis bewahrt. Atmosphärisch ist der Film stellenweise ein Meisterwerk durch die Art, wie er zwischen Hoffnung und Enttäuschung oszilliert, zwischen Traum und Erwachen, Schund und Pop. Schwarz gelingen magische Momente voller Glück und Resignation, wie sich der Film insgesamt durch seinen unverwechselbaren Ton auszeichnet. Das Ergebnis ist ein märchenhafter, vielleicht auch wahnsinniger Liebesfilm, der die Moral aller Liebesfilme, die ewige Hochzeit, dementiert, dessen Inszenierung sinnliche Eleganz, Mut zu Pathos und Übertreibung hat, und der die Schönheit der Bewegung feiert. Kino, das nach Fatalität schmeckt, aber auch nach Erwartung.

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