Dokumentarfilm | Frankreich/Israel 2004 | 98 Minuten

Regie: Simone Bitton

Dokumentarfilm über die Entstehung der Mauern und Zäune entlang der palästinensisch-israelischen Grenze. Neben den Erklärungen des zuständigen Generals und Äußerungen von Bewohnern der Region stehen unkommentierte Impressionen der Landschaft, die das Ausmaß der Zerstörung sichtbar machen, sowie Beobachtungen der legalen und illegalen Grenzgänger. Ein beeindruckender, zugleich persönlicher und sachlicher Film über eine politische Katastrophe. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MUR
Produktionsland
Frankreich/Israel
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Ciné-Sud Promotion/CNC/TV 5/Arna Prod.
Regie
Simone Bitton
Buch
Simone Bitton
Kamera
Jacques Bouquin
Schnitt
Jean-Michel Perez · Catherine Poitevin-Meyer
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Verleih DVD
Ventura (16:9, 1.78:1, DD2.0 arab. & hebr.)
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Diskussion
Blauer Himmel ist zu sehen, darunter eine trockene, staubige, aber belebte und bebaute Landschaft, aufgelockert durch ein wenig Grün. Dass von diesem Blick nichts übrig bleiben wird, ist vom Anfang der Szene an der Tonspur zu entnehmen. Unerbittlich rattert und scheppert ein Baukran und setzt einen ersten gigantischen Betonmonolithen in die Landschaft. Es folgt ein zweiter, dann noch einer, die Kamera bewegt sich noch immer nicht. Schließlich ist nur noch Beton zu sehen: Für diesen Abschnitt ist das Ziel erreicht, Israel und Palästina sind geteilt – wie es scheint für immer. Dies sind die stilistischen Mittel, derer sich die „arabische Jüdin“, wie sie sich nennt, Simone Bitton, bedient: Impressionen, Momentaufnahmen und Gespräche, zusammengeschnitten in sehr gemächlichem Rhythmus. Die Dokumentarfilmerin scheint bestrebt zu sein, so abrupt wie möglich zu vermitteln, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem die Politik kläglich versagt hat und Nachbarn kollektiv zu Feinden erklärt werden. Was nicht heißt, dass sie nicht sehr präzise arbeitet. Ihre Kameraperspektiven liefern Bilder, die so eindeutig wie kaum zuvor das ganze Ausmaß, die Hässlichkeit und Grausamkeit der „Mauer“ dokumentieren, die sich wie eine nicht verheilende Narbe durch das Heilige Land zieht. Bitton hat sich sehr nahe an den Todesstreifen herangewagt, während einer der Bewohner der Grenzregion die erste Stacheldrahtsperre überwindet, um ihr alles zu zeigen. Wie dieser Streifen gestaltet worden ist, lässt sich die Filmemacherin vom zuständigen General im Verteidigungsministerium erklären: ein System aus Stacheldraht – kein Viehdraht, sondern ein als „Nato-Draht“ bezeichnetes Klingengeflecht –, Gräben, Zäunen, Türmen, Sensoren, gepflasterten Straßen, damit die Truppen schnell herbeieilen können. Insgesamt ergibt sich ein identisches Abbild der monströsen DDR-Grenzanlagen. Warum gibt es die Mauerstücke?, fragt Bitton. Um zu verhindern, dass auf jüdische Siedlungen und Autobahnen geschossen werde, ist die Antwort. Dieses Gespräch zieht sich durch den gesamten Film, hinzu kommen Stimmen von dies- und jenseits der Mauer, die nicht immer leicht der jüdischen oder arabischen Seite zuzuordnen sind. Da ist einer, der den gesamten Gazastreifen als Open-Air-Gefängnis beschreibt, ein anderer, der die da drüben, wohl die Araber, nur deswegen nicht umbringen will, weil sie ja auch Kinder hätten; dann einer, der die Wachtürme gebaut und mit gestaltet hat; ein weiterer, der erklärt, wieso so viele Araber hier die Mauer mitbauen, und einer, der, als ein Palästinenser zwei jüdische Kinder vor dem Ertrinken gerettet hat und dabei selbst ertrunken ist, über alle Hindernisse hinweg eine Freundschaft mit den arabischen Nachbarn aufgebaut hat, was jetzt wieder verhindert wird. Hinzu kommen immer wieder jene „No Comment“-Bilder, die ganze Familien dabei zeigen, wie sie sich durch Schlupflöcher und vorbei an schräg stehenden Betonplatten einen Weg auf die andere Seite bahnen, die noch immer zum bisherigen Lebens- und Arbeitsraum gehört, oft sogar zum eigenen Besitz. Bitton, in Marokko geborene Jüdin, hat schon mehrfach in der Region gedreht. Porträts über den Dichter Mahmoud Darwich sowie die Politiker Azmi Bishara und Ben Barnka sind so entstanden, meistens fürs Fernsehen. Diesen Film nun wollte sie unbedingt ins Kino bringen, um das Ausmaß der Zerstörung fühlbar zu machen. Anders als das Projekt „Route 181“ (fd 36 463), das überwiegend aus Interviews bestand, ist „Mauer“ eine eher stille Beschreibung des Verschwindens einer Welt aus dem Blickfeld der anderen, ein persönlicher Film, der, so Bitton, keine politischen Botschaften abgibt, sondern nur mitteilen will, was sie selbst empfindet. Wobei sie mit jenen sympathisiert, die den Beton nicht auch in ihren Köpfen haben. Aber vielleicht ist es ja bloß der Zuschauer, dem diese Stimmen inmitten des ganzen Elends am nächsten sind.
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