Que Sera? Jung und Alt im Heim

Dokumentarfilm | Schweiz 2004 | 90 Minuten

Regie: Dieter Fahrer

Beobachtungen in einem Seniorenheim bei Bern, dessen Bewohner regelmäßigen Kontakt mit den Kindern eines Kindergartens pflegen, der in demselben Gebäude untergebracht ist - keine altenpflegerische Therapiemaßnahme, sondern ein sozialpolitisches Experiment, das an die Strukturen der Großfamilie erinnert und Formen der Ausgrenzung zu umgehen versucht. Der mitunter anrührende Dokumentarfilm unterstreicht, dass gegenseitiger Respekt unabdingbare Voraussetzung für ein befruchtendes Miteinander ist. (O.m.d.U.) - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
QUE SERA?
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Balzli & Fahrer/DRS/SRG SSR idée suisse/ARTE
Regie
Dieter Fahrer
Buch
Dieter Fahrer
Kamera
Dieter Fahrer
Schnitt
Maya Schmid
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Kinderlachen und das Getrappel kleiner Füße schallt durch die Korridore des Seniorenheims Schönegg bei Bern und hellt die morgendliche Tristesse auf. Gerade erst sind die Medikamente ausgegeben worden, nun sitzen die Alten auf ihren Stühlen, hängen Erinnerungen nach und warten. Worauf? Auch auf die Kinder der Tagesstätte „mixmax“, die wieder einmal zu Besuch kommen, um mit einigen Bewohnerinnen des Domizils in der Vorweihnachtszeit zu backen. Dies ist nicht der Auftakt zu einem Dokumentarfilm über eine gerontologische Therapie aus der Schweiz, sondern umreißt ein sozialpolitisches Experiment, das sich dem Zusammenleben von Alt und Jung verschrieben hat. Ein Experiment, das keinen starren Strukturen verpflichtet ist, sondern in erster Linie dem Zufall, da der Kindergarten im ersten Stock des Hauses untergebracht ist, dessen Parterre die Senioren bewohnen – und der Neugier der Kinder, die ihre unmittelbare Umwelt erkunden wollen, auch oder gerade weil sie sie mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. In erster Linie interessiert sich Regisseur Dieter Fahrer für die Alten, die ihm nach einer Gewöhnungsphase bereitwillig Auskunft über ihre Vergangenheit geben, Schrullen offenbaren und ihre Hinfälligkeit nach und nach eingestehen. Doch Fahrer versteht es ebenso, aus den Funken Kapital zu schlagen, die der sporadischen Begegnung von Drei- mit 90-Jährigen geschuldet sind. Es sind weniger die gemeinsamen Aktivitäten wie Musizieren, Malen, gelegentliches Spielen, die diese so interessant machen, als vielmehr das schlichte Aufeinandertreffen von Menschengenerationen, die sich (noch) nicht so viel zu sagen haben, deren Blicke aber Bände sprechen. Man merkt, dass ganz behutsam gegenseitiger Respekt aufgebaut werden konnte, Beziehungen, in die die Kinder ihre Unbefangenheit einbringen und die die Senioren nutzen könn(t)en, um ihre Verbitterung abzubauen. Da zu den Akteuren auch „Aktivposten“ im zwischenmenschlichen Handeln gehören – Erzieherinnen, Pfleger, Verwandte, die wohlweislich im Hintergrund bleiben –, illustriert der Film die Wiedergeburt der Großfamilie unter anderen Vorzeichen, in der jeder seinen Platz hat, die Alten nicht abgeschoben und die Kleinen nicht ausgegrenzt werden. Auch wenn nicht alles reibungslos funktioniert, vermittelt der Film in seinen dichtesten Momenten den Eindruck, als träfe Pergament auf Palimsest: unbeschriebene Blätter, die mit neuen Erfahrungen gefüllt werden wollen. Immer wieder bricht sich auch der (Abschieds-)Schmerz der Senioren Bahn. Etwa wenn sie sich an Kindheit und Jugend erinnern, kleine Bosheiten in ihren Gesprächen aufflackern, eine Frau mitunter grantig auf die Kinder reagiert, fast alle den Verlust der eigenen vier Wände beklagen, oder wenn eine Neue kommt, die sich mit ihrer plötzlichen Isoliertheit nicht abfinden kann. Das sind die Momente, in denen „Que sera?“ anrührt – ein leiser, dem Sujet mit seiner zurückhaltenden Kameraarbeit jederzeit angepasster Film, der die Nähe zu seinen Protagonisten sucht und benötigt, ihnen aber ihre Privatsphäre lässt. Er beschwört eine kleine Utopie und trauert ihr gleichzeitig nach, will keine revolutionären (Lebens-)Modelle einfordern, sondern an sie erinnern. Wie man sich im Winter an den Sommer erinnert, der nie mehr genauso werden wird. In Hitchcocks „Der Mann, der zuviel wusste“ (fd 5338) singt Doris Day: „Que sera?“ („Was wird sein?“). Auch Fahrer stellt diese Frage in Hinblick auf eine Gesellschaft, die ihre Probleme an die Ränder drängt, sich stets nur auf die produktive Mitte konzentriert, und der ganzheitliche (Lebens-)Modelle zu mühsam erscheinen. Der ebenso schöne wie wichtige Film demonstriert anschaulich, dass jeder von jedem lernen kann, über alle Altersunterschiede hinweg. Dazu gehören freilich Geduld, gegenseitiger Respekt und der Mut der Generationen, aufeinander zu zugehen und sich ohne falsche Rücksichtnahme auseinander zu setzen.
Kommentar verfassen

Kommentieren